II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 330

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10. baschtnis
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Doeren Zeilung,

S
Wiener Theater.
Aus Wien schreibt uns unser L. F.=Korrespondent:
Das Thermometer steigt wie die fremde Valuta —
stürmisch nennt das der poetische Jargon des Tages — aber
die Theatersaissn yerliert nicht an Intexesse. Im Gegen¬
teil; sie hatssich füt diese spckten Tageein paar Pikanterien
aufgespart, (die dench## wrste werden. So vor allem
die „Kiki7 dex Flau Hathe Dorsch, die hier ihr
Publikum ebonsg bezaubert wie in Berlin und von dieser
enthusiastischen, Empfänglichkeit vermutlich ebenso bezaubert
ist wie in ihrer künstlerischen Heimat. Und dann die sehr
geschätzten Mitbringgeschenke ihrer Berliner Kollegen, die
jetzt in Wien gastlich zusammen kamen und sich jede Woche
in einer neuen Rolle zeigen: Max Gulstorff, Ernst
Stahl=Nachbaur und vor allem Moissi, Moissi,
Moissi! Er macht derzeit halb Wien verrückt, sämtliche
Wienerinnen und einen genügenden Teil der Wiener-
Kritik.
Dann gab es noch eine Pikanterie: Luise
Kartousch, die beliebteste Wiener Operettensoubrette, ist
im Schauspiel aufgetreten.
Das Umgekehrte haben wir in Wien in diesem Spiel¬
fahr öfters erlebt; Künstler der ernsten Schauspielbühnen
gastierten in der Operette. Denn bei der großen Zahl der
Operettentheater ergeben sich immer wieder Lücken in der
Besetzung, zumal wenn eine hervorragende Novität in allem
erreichbaren Glanz der Darstellung in Szene gehen soll.
So waren denn heuer die Namen Otto Treßler,
Hans Thimig, Kurt Ehrle und andere, bei Schiller
und Goethe zu ziemlichen Ehren gekommene Kunstgenossen
auf den Theaterzetteln unserer Operettenbühnen zu lesen.
Die Schauspieler lockte die operettenmäßige Höhe des
Honorars; im übrigen hatten sie das Gefühl, mit diesen,
so tief unter ihrem gewohnten Niveau stehenden Aufgaben
im Handumdrehen fertig werden zu können. Aber es kam
nun etwas, das für den Theaterkenner sehr interessant war:
diese ausgezeichneten Schauspieler drehten und drehten ihre
erfahrenen Hände und wurden nicht fertig mit ihren
Rollen. Das heißt, sie erreichten nicht dieselbe Wirkung
wie ihre — mit einem leisen ironischen Lächeln betrachteten
Kollegen von der Operette. Ob sie gerade ihr
kultivierterer Geschmack hemmte, ihre strengere schauspieleri¬
sche Disziplin, ihre künstlerische Scheu vor dem Parkett, das
die Kunst des Schauspiels wegleugnet und die Kunst der
Operette charmant umschmeichelt? Eins ist gewiß: es sind
zwei ganz verschiedene Techniken, die Darstellung des
Schauspiels und der Operette.
Nun hat also Fraulein Luise Kartousch einmal den
umgekehrten Weg versucht. Das ist kein Novum. Käthe
Dorsch ist ja ein höchst lebendiges Beispiel für die Zweck¬
mäßigkeit dieser Wegrichtung, ebenso Max Pallenberg und
Willi Thaller. Der kleine Ausflug ins Sittliche ist
Fräulein Kartousch sehr gut bekommen. Er fand gelegent¬
lich der von Dr. Beer im Raimundtheater be¬
sorgten Neuinszenierung von Arthur Schnitzlers
Schauspiel „Das Vermächtnis statt, die einen
Nachtrag zur Feier von Schnitzlers sechzigstem Geburtstag
bedeutete. Das Stück ist ein Jugendwerk des Dichters, sein
zweiter Erfolg am Burgtheater. Der Sohn eines vor¬
nehmen Bürgerhauses bittet sterbend seine Eltern, seine
Geliebte und sein Kind in ihr Haus aufzunehmen. Das
geschieht mit wortreicher Humanität und tiefem, innerem
Widerwillen. Dieser bricht vollends durch, als das Kind
stirbt; der Mutter des Kindes weist man die Tür. Die ganz
Vereinsamte folgt dem Geliebten in den Tod.
Das in kurzen Worten der Inhalt. Man fühlt die Zu¬
sammengehörigkeit mit Schnitzlers frühen Werken; der
Protest gegen die Enge bürgerlicher Moralbegriffe, die Ver¬
klärung der freien Liebe — zugegeben, daß das alles heute
schon ein bißchen antiquiert wirkt, ein bißchen gar zu selbst¬
verständlich, zu evident, man darf nur nicht vergessen, daß
es ja auch Schnitzlers Verdienst ist, dieser natürlicheren Auf¬
fassung zur Geltung geholfen zu haben. Auch künstlerisch
gehört das Stück nicht zu Schnitzlers besten, gewiß nicht zu
seinen lebendigsten Werken. Aber der Geschmack des künst¬
lerischen Vortrags und die warme Menschlichkeit seines
Gefühls sichern ihm auch heute noch die Teilnahme eines
denkenden Publikums. In Wien war diese Teilnahme,
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einem bereits tatsächlich erfolgten Abkommen beruht, in die
Erscheinung treten soll. Es dürfte sich, nach den Mit¬
teilungen Direktor Bernaus, um ein Austauschver¬
fahren handeln, das da wie dort den Spielplan beleben und
ergänzen soll. Aber nicht nur einzelne Schauspieler sollen
als Austauschprofessoren funktionieren; ganze Inszenie¬
rungen werden den Weg hinüber und herüber finden,
Direktor Bernau hat sich verpflichtet, einige Stücke in
Berlin zu inszenieren, Regisseure des Deutschen Theaters
werden bei uns zu Gaste sein, bis zur Geltung des Ver¬
trages, die am 1. Arpil 1923 beginnt, soll die beiden
Unternehmungen „ein amikales Verhältnis“ umschließen.
Klar ist es, daß diese Abmachungen für beide Theater
wesentliche materielle Vorteile mit sich bringen; denn der
Austausch unbeschäftigter Mitglieder entlastet das einzelne
Unternehmen von der Honorierung eines ihm momentan
unnützen Mitgliedes.