uene Kakadu
De
9.3
Strindbirg und Schnitzler.
Neueinstudierungen im Lessingtheater.
„Der grüne
„Fräulein Julie" von Strindberg —
Katadu“ von Schnitzlei. Zwei Stücke Vergangenheit von sehr
verschiedtner Ait, zusammengestellt durch die raune eines Theater¬
abends: beide ein weng auf Aklugnilät hin aus der Versenkung
gehoben.
„Fräulein Julie“ ist naturalistischer, theoretischer Stuind¬
berg. Der spatele, der nur von sich redet, ist uns naher: das Spiel
zwischen Fraulein Julie, der Absteigenden, und Jean, dem
Aufsteigeneen, mit bewußter Technik von außen gestaltet,
das Theoietische
wo duich
nur da noch,
spricht
das Elementare durch bricht, der Haß der Geschlechter, der Wille
des Tschandalamenschen zum Empor — wo der Naturalismus
von Si#indbergzugen abgelöst witd. Die Geschichte dei Grafen¬
tochter, die sich in der Jovannisnacht dem Diener gibt und dann
hingeht und sich den Hals abschneidel, ist letzten Endes schon ein
Stück Lileraturgeschichte: einen Schein von Attualität bekemmt nie
durch den Gegensp eler Jean, den Protelarier, der hinauf will und
doch unter dem Willen dei Höreren zusammenkntat. Aber das ist
nur eine Lalbe Alualitat, die mben einem ebenso großen Stück
Vergangenbeit steal. Es bleibt der despett vol der Kiast, die solch
ein Stück Leben der blassen Liteialur der Ibsenzeil entgegenstellte:
eine innere Berührung erglbt sich nicht mehr.
Fiäulein Julie war Frau Durieux. Ebenso wie Gertrud
Eyfoldt, die einst bei Reinhardt die Roue spielte, ein Fraulein Julie
aus der Stadt, nicht vom Lande: Dekadenz nicht aus altem Beut,
sondern aus eigenen Erlebnissen. Die Julie, die Frau Durteux in
der ernen Hälfte gab, hätte sich über eine solche Kleinigkeit bestimmt
nicht meht din Hals abgeschnitlen. (Dei Zuschauer dentt überhaupt
zuweilen: Wozu der Läim in Gesühlen?)
Seur eigenartig Herr Klopfet als Jan. So bewußt unsym¬
path'sches Z vischenglied zwischen den Standen, daß die Beziehung
nach oden wie nach unten, zu Julie wie zu Christtne, schwer ver¬
sta dlich wald. Ausgezeichnet die innere Freude an der eigenen
Brutalilät, an der er sich hält, das Versagen des Willens, das ge¬
falscht Aristokratische; ein paar leere Stellen zeigten eine letzte
Fremoheit dem Ganzen geger über. — Fläulein Stüning als Christine
war ganz in sich geschlossene Selbstsicherheit: ein Mensch, dir noch
die inneten Bande des Standes, die ihn tragen, nicht angekührt
hat und daium unverwundbar ist.
Zum Saluß Schnitzlers „Grüner Kakadu“, die Reoo¬
lut ourbariation übei das Trema: „Wir spielen immer; wer es weiß,
Fift klug: Reine Lneiakur, zu Ansang scon etwa verstaubl, in der
zweilen Hälste so geschickl gemacht, daß sie noch immer wirlt, troß
der Pf#eu bultualital der Ba#lesturms. Unter den Darstellern wieder
Hil K.öpfel sehr anmani all Tantenmnor er: nur daß er zu sehr
Sgauspieter d#ied, statt mütig einen anderen Reoliiatsgrad zu tiingen.
Pressekonzert im Reichstag.
Der Abend im Reichstag, der nach altem Sinne alljährlich den
eigentlichen Auftalt für den Berliner Getellschaftswinier gibt, war
am Sonntag gleichteitig eine Art gesellschaftlicher Feuervrove der
jungen Republit. Sie hat sie bestanden, auch ohne Umformen und
ohne Lorbeerhaine; es sind im vergangenen Jahre genug Uniformen,
allzuviel, in diesem Haus des deutschen Volkes gewesen! Ein!
Deutsche allgemeine Zeitung, Berlin
3—N0V 1975
box 15/3
110 Lessing=Theater. #.
(2-X000
Strindberg=Schnitzler=Abend.
„Fräulein Julie.“ —„Der grüne Kakadu.“
Strindberg ist nicht tot, er lebt. Das bestätigte
die Einstudierung des naturalistischen Trauerspiels
vom beklagenswerten Schicksal des Edelfräuleins.
Schnitzler stirbt ab. Das war die (nicht angenehme)
Entdeckung bei der Wiederaufunge der Groteske, die
uns immer als eine der lehendigsten Schnitzler=Arbeiten
in der Erinngstück gele##“
Zu sagen oleibt#skerdings: bei Strindberg half
wuchtigste schmtpielerische Kraft, bei Schnitzler ver¬
sähte die Schauspielkunst.
Bei Strindberg: Fräukein Julie: Tilla Durieux,
der Diener: Eugen Klöpfer. In Erinnerung
an seine Leistung sprach ich von wuchtigster
schauspielerischer Kraft. Er scheint der geborene Dar¬
steller für Viechkerls (ein schauspielerisch verfeinerter
Jannings). Man denkt daran, wie er in den Schablonen¬
schwank von den „Letzten Rittern“ einen solchen un¬
geschlachten Gesellen hineingestemmt hat. Den Diener
Jean bei Strindberg (der nicht gerade Erdgeruch an
sich hat, mehr gedachte Inkarnation aller Gesühls¬
roheit ist) faßt er etwas psychologischer an
Julie soll nicht als
und gibt ihm Nüancen.
die nach jedem Manne Lüsterne erscheinen,
ein gewisses Etwas
ihr Jean muß schon
haben, das ihren Trieb erklärlich macht. Wie Klöpfer
dies gewisse Etwas bringt (bis zur Verführung), das
hat unendlich viele künstlerische Reize. Er kopiert
den Mann von Welt, ohne die Niedrigkeit der Her¬
kunft ganz abstreisen zu können, mit solcher
Selbstverständlichkeit, daß es kaum noch verwunderlich
ist, wie das Fräulein ihm verfallen kann. Nachher
aber: mit rücksichtsloser Brutalität bricht das Mann¬
tier durch und peitscht durch alle Stadien kalter
Herzlosigkeit das Opfer in den Selbstmord hinein.
Unvergeßliche Unterbrechung: wie beim Klingelzeichen
des Grafen der Lakai ihm in den Nacken fährt.
Die Durieux das Opfer. Mit großem Elan ist
sie zur Bühne zurückgekehrt. Das durch die Johannis¬
nacht gesteigerte Triebhafte kommt ohne Prüderie, mit
animalischer Selbstverständlichkeit, — die Reue und
Ratlosigkeit, das völlige Verfallensein mit einer tragi¬
schen Kraft und Erschütterung, einer so völligen seeli¬
schen Hingabe, wie ich sie früher bei der Durieux nicht
erlebte.
Die Christine der Grüning steht neben beiden
in wertvoller künstlerischer Selbstbescheidung.
Nach der großen Strindberg=Erschütterung die große
Schnitzler=Enttäuschung. Enttäuschung infolge Absterbens
des Dichters oder Versagens der Darsteller oder der Regie?
Ich wage es nicht zu entscheiden, will nur sagen, daß
ich mir diese Groteske ganz, ganz anders gespielt
denke, als es hier geschah. Sollte es dafür
kein anderes Ausdrucksmittel geben als parodierendes
Pathos? Das nicht einmal immer erkennen
läßt, ob es parodistisch gemeint ist? Und nichts segte
vom großen Sturmlänten der Revolution durch die
Szeue, nirgends klaffte der soziale Gegensatz,
uirgends brach der grimme Humor durch, der
Die
sich hinter gespielter Grobheit verbirgt.
Aristokratie blaß, die revolutionären Schauspieler
Uebergang
ohne satirische Schärfe, und der
vom Spiel zum blutigen Ernst selbst in Konrad
Veidts Darstellung verpuffend. Ich werde diesen
Schnitzler lesen, um mich zu überzeugen, ob er wirklich
abstirbt oder ob ihn hier Schauspieler gemordet haben
(die den Strindberg, scheint's, noch lange am Leben
erhalten werden).
Franz Köppen.
De
9.3
Strindbirg und Schnitzler.
Neueinstudierungen im Lessingtheater.
„Der grüne
„Fräulein Julie" von Strindberg —
Katadu“ von Schnitzlei. Zwei Stücke Vergangenheit von sehr
verschiedtner Ait, zusammengestellt durch die raune eines Theater¬
abends: beide ein weng auf Aklugnilät hin aus der Versenkung
gehoben.
„Fräulein Julie“ ist naturalistischer, theoretischer Stuind¬
berg. Der spatele, der nur von sich redet, ist uns naher: das Spiel
zwischen Fraulein Julie, der Absteigenden, und Jean, dem
Aufsteigeneen, mit bewußter Technik von außen gestaltet,
das Theoietische
wo duich
nur da noch,
spricht
das Elementare durch bricht, der Haß der Geschlechter, der Wille
des Tschandalamenschen zum Empor — wo der Naturalismus
von Si#indbergzugen abgelöst witd. Die Geschichte dei Grafen¬
tochter, die sich in der Jovannisnacht dem Diener gibt und dann
hingeht und sich den Hals abschneidel, ist letzten Endes schon ein
Stück Lileraturgeschichte: einen Schein von Attualität bekemmt nie
durch den Gegensp eler Jean, den Protelarier, der hinauf will und
doch unter dem Willen dei Höreren zusammenkntat. Aber das ist
nur eine Lalbe Alualitat, die mben einem ebenso großen Stück
Vergangenbeit steal. Es bleibt der despett vol der Kiast, die solch
ein Stück Leben der blassen Liteialur der Ibsenzeil entgegenstellte:
eine innere Berührung erglbt sich nicht mehr.
Fiäulein Julie war Frau Durieux. Ebenso wie Gertrud
Eyfoldt, die einst bei Reinhardt die Roue spielte, ein Fraulein Julie
aus der Stadt, nicht vom Lande: Dekadenz nicht aus altem Beut,
sondern aus eigenen Erlebnissen. Die Julie, die Frau Durteux in
der ernen Hälfte gab, hätte sich über eine solche Kleinigkeit bestimmt
nicht meht din Hals abgeschnitlen. (Dei Zuschauer dentt überhaupt
zuweilen: Wozu der Läim in Gesühlen?)
Seur eigenartig Herr Klopfet als Jan. So bewußt unsym¬
path'sches Z vischenglied zwischen den Standen, daß die Beziehung
nach oden wie nach unten, zu Julie wie zu Christtne, schwer ver¬
sta dlich wald. Ausgezeichnet die innere Freude an der eigenen
Brutalilät, an der er sich hält, das Versagen des Willens, das ge¬
falscht Aristokratische; ein paar leere Stellen zeigten eine letzte
Fremoheit dem Ganzen geger über. — Fläulein Stüning als Christine
war ganz in sich geschlossene Selbstsicherheit: ein Mensch, dir noch
die inneten Bande des Standes, die ihn tragen, nicht angekührt
hat und daium unverwundbar ist.
Zum Saluß Schnitzlers „Grüner Kakadu“, die Reoo¬
lut ourbariation übei das Trema: „Wir spielen immer; wer es weiß,
Fift klug: Reine Lneiakur, zu Ansang scon etwa verstaubl, in der
zweilen Hälste so geschickl gemacht, daß sie noch immer wirlt, troß
der Pf#eu bultualital der Ba#lesturms. Unter den Darstellern wieder
Hil K.öpfel sehr anmani all Tantenmnor er: nur daß er zu sehr
Sgauspieter d#ied, statt mütig einen anderen Reoliiatsgrad zu tiingen.
Pressekonzert im Reichstag.
Der Abend im Reichstag, der nach altem Sinne alljährlich den
eigentlichen Auftalt für den Berliner Getellschaftswinier gibt, war
am Sonntag gleichteitig eine Art gesellschaftlicher Feuervrove der
jungen Republit. Sie hat sie bestanden, auch ohne Umformen und
ohne Lorbeerhaine; es sind im vergangenen Jahre genug Uniformen,
allzuviel, in diesem Haus des deutschen Volkes gewesen! Ein!
Deutsche allgemeine Zeitung, Berlin
3—N0V 1975
box 15/3
110 Lessing=Theater. #.
(2-X000
Strindberg=Schnitzler=Abend.
„Fräulein Julie.“ —„Der grüne Kakadu.“
Strindberg ist nicht tot, er lebt. Das bestätigte
die Einstudierung des naturalistischen Trauerspiels
vom beklagenswerten Schicksal des Edelfräuleins.
Schnitzler stirbt ab. Das war die (nicht angenehme)
Entdeckung bei der Wiederaufunge der Groteske, die
uns immer als eine der lehendigsten Schnitzler=Arbeiten
in der Erinngstück gele##“
Zu sagen oleibt#skerdings: bei Strindberg half
wuchtigste schmtpielerische Kraft, bei Schnitzler ver¬
sähte die Schauspielkunst.
Bei Strindberg: Fräukein Julie: Tilla Durieux,
der Diener: Eugen Klöpfer. In Erinnerung
an seine Leistung sprach ich von wuchtigster
schauspielerischer Kraft. Er scheint der geborene Dar¬
steller für Viechkerls (ein schauspielerisch verfeinerter
Jannings). Man denkt daran, wie er in den Schablonen¬
schwank von den „Letzten Rittern“ einen solchen un¬
geschlachten Gesellen hineingestemmt hat. Den Diener
Jean bei Strindberg (der nicht gerade Erdgeruch an
sich hat, mehr gedachte Inkarnation aller Gesühls¬
roheit ist) faßt er etwas psychologischer an
Julie soll nicht als
und gibt ihm Nüancen.
die nach jedem Manne Lüsterne erscheinen,
ein gewisses Etwas
ihr Jean muß schon
haben, das ihren Trieb erklärlich macht. Wie Klöpfer
dies gewisse Etwas bringt (bis zur Verführung), das
hat unendlich viele künstlerische Reize. Er kopiert
den Mann von Welt, ohne die Niedrigkeit der Her¬
kunft ganz abstreisen zu können, mit solcher
Selbstverständlichkeit, daß es kaum noch verwunderlich
ist, wie das Fräulein ihm verfallen kann. Nachher
aber: mit rücksichtsloser Brutalität bricht das Mann¬
tier durch und peitscht durch alle Stadien kalter
Herzlosigkeit das Opfer in den Selbstmord hinein.
Unvergeßliche Unterbrechung: wie beim Klingelzeichen
des Grafen der Lakai ihm in den Nacken fährt.
Die Durieux das Opfer. Mit großem Elan ist
sie zur Bühne zurückgekehrt. Das durch die Johannis¬
nacht gesteigerte Triebhafte kommt ohne Prüderie, mit
animalischer Selbstverständlichkeit, — die Reue und
Ratlosigkeit, das völlige Verfallensein mit einer tragi¬
schen Kraft und Erschütterung, einer so völligen seeli¬
schen Hingabe, wie ich sie früher bei der Durieux nicht
erlebte.
Die Christine der Grüning steht neben beiden
in wertvoller künstlerischer Selbstbescheidung.
Nach der großen Strindberg=Erschütterung die große
Schnitzler=Enttäuschung. Enttäuschung infolge Absterbens
des Dichters oder Versagens der Darsteller oder der Regie?
Ich wage es nicht zu entscheiden, will nur sagen, daß
ich mir diese Groteske ganz, ganz anders gespielt
denke, als es hier geschah. Sollte es dafür
kein anderes Ausdrucksmittel geben als parodierendes
Pathos? Das nicht einmal immer erkennen
läßt, ob es parodistisch gemeint ist? Und nichts segte
vom großen Sturmlänten der Revolution durch die
Szeue, nirgends klaffte der soziale Gegensatz,
uirgends brach der grimme Humor durch, der
Die
sich hinter gespielter Grobheit verbirgt.
Aristokratie blaß, die revolutionären Schauspieler
Uebergang
ohne satirische Schärfe, und der
vom Spiel zum blutigen Ernst selbst in Konrad
Veidts Darstellung verpuffend. Ich werde diesen
Schnitzler lesen, um mich zu überzeugen, ob er wirklich
abstirbt oder ob ihn hier Schauspieler gemordet haben
(die den Strindberg, scheint's, noch lange am Leben
erhalten werden).
Franz Köppen.