II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 276

9. 3. Der vruene Kakadu


Sheuter
T2NUU 19
Dekadenztragödie.

Unser Berliner Theaterreferent schreibt
unse
Frau Tilla Durieux, gewiß nicht die
bedeutendste Persönlichkeit, aber wahrscheinlich
die sicherste Könnerin auf der heutigen deutschen
Bühne, ist nun eben zum zweitenmal dem
Lessing=Theater verpflichtet. Um ihr
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eine bequeme, eigentlich allzu bequeme An¬
trittsrolle zu bieten, hatte Direktor Bar¬
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nowsky zwei sehr bekannte, tragikomische Ein¬
akter der letzten Generation herausgesucht.
Denn perverse Aristokratinnen, das ist Tilla
Durieux' Spezialität. So war sie erst Fräulein
Julie in dem berühmten Einakter des jungen
Strindberg. Um den Zorn auf todesreifen,
überkultivierten Adel zu entladen, muß diese
Julie ein sehr verderbtes und kühles Geschöpf
sein — um den tragischen Schluß zu liefern,
muß aber ihr Fall sie bis zu völliger Besin¬
nungslosigkeit entwurzeln. Es geht nicht recht
zusammen — aber die einzelnen Teile macht die
Durieux natürlich glänzend. Nachher ist sie (mit
einer unnötigen Nüance von Dummheit, aber
sonst sehr witzig) die Marquise in Schnitzlers
„Grünem Kakadu“. Es ist kein
Zufall, daß das in skeptischer Genußsucht
aufgelöste Wiener Spielertum
niemals
wieder etwas so Starkes zustande gebracht
hat wie in diesem Akt. mit dem es eine
Art Selbsthinrichtung vollzogen hat. Das Stück
wird denn auch — was doch nur ganz weni##e
Werke der Modernen von sich rühmen können —
in zwei Jahrzehnten zum fünften Male von
einer Berliner Bühne aufgenommen, und es
wirkt noch immer fast so stark wie bei seiner
Uraufführung. Die war eine der glänzendsten
Vorstellungen Otto Brahms. Josef Kainz stand
damals vor seinem Abgang nach Wien zum
letztenmal in einer Berliner Premiere auf der
Bühne. Und wie er als Schauspieler Henry
seinem Prinzipal zurief: „Ihr wißt gar nicht,
was für ein Künstler in mir steckt!“, und dieser,
den berühmten Kainzschen Ton kovierend, ihm
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entgegenschrie: „... gewiß wissen wir es!“ —
da unterbrach das jubelnde Parkett für Mi=
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nuten die Vorstellung. Einer der in Berlin ganz
seltenen Fälle von Schauspielerovationen großen;
Stils im Theater.
Der Darsteller des Wirtes war heute noch
oder wieder derselbe wie damals: Hans
Fischer, ausgezeichnet in der leichten Komik
des Schmierenvaters, hinter der schwer und ge¬
fährlich der echte Revolutionär droht. Die Evi¬
gonen neben ihm hielten den Vergleich mit dem
größeren Geschlecht nicht gut aus. Starke Hoff¬
nung knüpft sich nur an den Darsteller, der mit
dem sentimentalen Strolch Schnitzlers und
schon mit dem brutalen Lakaien Strindbergs sich
als Erbe des unvergeßlichen Rudolf Rittner vor¬
stellte. Eugen Klöpfer hat wohl nicht dessen
scheu verschlossene Tiefe, sein Temperament
kommt leichter an die Oberfläche des bunten
Theaters, aber es hat etwas von der echten, ge¬
fährlichen Naturkraft, der drohenden Wucht und
scheinbar auch von dem wilden Humor jenes
größten Realisten aus Brahms Ensemble. Eugen
Klöpfer bedeutet zweifellos die wertvollste Be¬
reicherung der Berliner Schauspielkunst in dieser
Inlius=Bad.
Spielzeit.