II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 288

9. 3. Der
ruene Kakadu
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Schlesische Zeitung, Breslau
2 6. Apr. 4024.
Theater und Konzerte.
Lobetheater. Neu einstudiert: „Der grüne Kakadu“. Am
Sonnabend zum ersten Male ergänzte Arthur Schnitzlers
wirkungsvolle, hier seit 1922 nicht mehr gespielte Groteske das
Romain Rollandsche „Spiel von Tod und Liebe“ zu einem
vollständigen revolutionsdramatischen Abend. Bei chrono¬
logischer Anordnung hätte die Groteske — sie spielt am Tage des
Bastillesturms — an erster Stelle kommen müssen, durch das
Gesetz der Effektsteigerung war sie an die zweite verwiesen. Und
sie bewährte sich in der von Paul Barnay besorgten Inszenierung
auch wieder als dramatischer Schlager. Die Vorgänge in der
stimmungfördernd ausgestatteten Spelunke des vormaligen
Theaterdirektors Prospère, die sich allerdings im ersten Teil manch¬
mal etwas rascher hätten abwickeln dürfen, ließen trotz der Komik,
die durch den bunten Wechsel und das Ineinandergreifen von
Theaterspiel und realem Leben entsteht, etwas von der politischen
Gewitterschwüle jenes 14. Juli 1789 verspüren, und wuchtig wirkte
weiterhin besonders das „Spiel von Liebe und Tod“ zwischen dem
Schauspieler Henri, seiner jungen Frau Léocadie und dem Herzog
von Cadignan, das blutigen Ausgang nimmt. Die Hauptgestalten?
der Aristokratengruppe und des „Volkes“ wurden in ihrer mentalen?
und äußeren Gegensätzlichkeit vortrefflich charakterisiert: der
Prospère des Herrn Barg hatte in seinem ganzen Auftreten und
„Art seiner als Scherz maskierten Entladungen verhaltener
Gut etwas Monumentales an sich, der Herzog von Cadignan des
errn Werner Rafael war ein Muster von Eleganz und
leganter Frivolität, temperamentvoll verkörperte Walter Gynt
den in Liebe und Haß gleich ungestümen Schauspieler Henri; die
ganze Frivolität des französischen Rococo sprach auch aus Eva
Fiebigs Schauspielerin Leokadie und Lili Bredas Marquise
von Lausac. Aus der Reihe der übrigen Mitwirkenden verdienen
noch Julius Arnfeld (Grasset), Robert Meyn (Grain) und
Fritz Eßler (Scävola) besondere Hervorhebung. Der Beifall des
vollen Hauses war sehr lebhaft, ebenso wie vorher schon nach dem
Rollandschen Stück, dessen Darstellung diesmal ausdrucksvoller
erschien als bei der Erstaufführung.
Konzert. Der Reichsverband Deutscher Ton¬
künstler und Musiklehrer E. V. (Ortsgruppe Breslau)
veranstaltete am Sonnabend im Mozartsaal ein gut besuchtes
Konzert. Maximilian Hennig trat zuerst in die Schranken
und spielte Regers Präludium für Violine allein und sodann mit
der Pianistin Margarete Ewert „La Follia“ von Corelli
(vermutlich aus dessen Folies d’Espagne, Op. 5), eine sehr klang¬
schöne, temperamentvolle, eigenartige Tanzweise jenes Re¬
präsentanten der klassischen italienischen Violinmusik. (1 1713.)
Der eindrucksvollen Leistung lohnte starker Beifall. Der vom
Programm wiederholt hartnäckig als Erich Tschirner ange¬
kündigte Flötenspieler entpuppte sich als der ausgezeichnete Flötist
des Orchestervereins Ernst Tschirner. Er blies ein sehr wirkungs¬
volles dreisätziges Werk von Mouquet: Die Flöte des Pan. Be¬
sonders der melodische zweite Satz (Pan und die Nachtigall) und
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Volkswacht, Breslau
# 7. Apr 1926
Lobe=Theater.
„Der grüne Kakadu.“
Welch dramatisches Leben pulst in dieser Schnitzlerschen
Groteske! Wie lebendig, wie aufregend lebendig ist diese Szene,
die langsam wie eine Bebenwarte das dumpfe Heranrollen der
großen französischen Revolution ankündigt. Spiel zuerst, an dem
satte Aristokraten ihre schlappen Nerven aufpeitschen, wächst
langsam, aber sehr sicher, der sich empörende, getretene Mensch
zum Nächer an seinen Zwingherren. Und während die entsetzten
Puppen aristokratischer Geburt ihren Kavalierdegen zu lächer¬
licher Abwehr bereithalten, dringen die vollen Klänge der
Marseillaise in das Theaterlokal zum grünen Kakadu. Die
Bastille gefallen. Eine neue Zeit bricht an.
Wie blaß ist das Wollen Romain Rollands im „Spiel von
Tod und Liebe“ gegen dieses Können.
Paul Barnay selbst hatte drängendes Leben in diese
Szene gebracht, sie zum Erlebnis gestaltend. Ludwig Barg
blieb dem Wirt Prospére manches schuldig. Das ist das Gebiet
dieses Künstlers nicht. Ebensowenig paßte Walter Eynts
pastorales Pathos zu dem feurigen Henri. Besser schon die
Léoradie der Eva Fiebig. Sehr fein überhaupt das Aristo¬
kraten=Ensemble mit Werner Rafael und Franz Lederer
an der Spitze. Auch Lili Breda eine recht feine Type. Famos
aber der Philosoph Grasset des Julius Arnfeld. Zu farblos
Robert Meyn als Strolch.
. M.

Breslauer Zeitung
2 7 Apr 124,
Wa. Lobetheater. „Der grüne Kakadu. Dem Revolutions¬
drama des Franzosen Rolland: „Ein Spiel von Tod und Liebe“, das
die Freie Literarische Gesellschaft jüngst zur Erstaufführung gebracht,
hat man nun die Revolutionsgroteske Schnitzlers„Der grüne
Kakadu“ gesellt, wobei die herkömmliche Anschauung von der
Wesensverschiedenheit der beiden Nationalcharaktere eine Widerlegung
erfährt, indem umgekehrt nicht der Deutsche, dessen Landsleute
sich des Gemütes als eines ihnen vor allen eigentümlichen Besitzes
rühmen, sondern der Franzose mit der Macht seelischer Erschütterungen
und des Ethos dem Zuschauer ans Herz greift und den roten Brand
der Revolution und mörderischer Leidenschaft mit dem hellen Lichte
edler Menschlichkeit überstrahlt, während der Wiener Dichter nur ein
blendendes Feuerwerk des Geistes abbrennt, das zu den Sinnen
spricht und die Nerven erregt. Das große welthistorische Geschehen, das
Rolland zu ernster Auseinandersetzung zwischen den Forderungen der
Allgemeinheit und des Individuums, des Vaterlandsgedankens und
der Menschlichkeit anregt, gibt Schnitzler nur Anlaß zu einem geist¬
reichen Spiel, das fesselt und spannt, ohne zu erwarmen. Seiner
Formel getreu: „Wir spielen alle, wer es weiß, ist klug,“ spielt auch
der Dichter selbst mit dem gewaltigen Stoffe, aus der Durcheinander¬
wirrung von Schein und Wirklichkeit die unleugbar stark bannende
Wirkung seines Einakters ziehend, der den Untergang einer über¬
reifen, blasierten Gesellschaft zeigt, die, in angeblichem Spiele
raffinierten Genuß suchend, von unerwarteter grausiger Wirklichkeit
furchtbar überrumpelt, ins Verderben stürzt. Dies Drama wirkt nicht
durch die Tiefe und Größe der Anschauung, bewegt nicht die Seele —
denn selbst das tragische Erleben der Hauptperson, des die Untreue
der Geliebten blutig rächenden Schauspielers Henvi läßt uns im
Grunde kalt — sondern vornehmlich durch die außerordentliche
technische Kunst des Dichters, der Schatten und Lichter so wunderbar
ineinanden zu weben weiß, Trug und Wahrheit so ununterscheidbar
durcheinanderschillern läßt, daß der Zuschauer in der Erregtheit steter
bangender Ungewißheit erhalten wird, bis mit donnerschlagähnlscher
Ueberraschung der Einbruch der nicht mehr zu verkennenden Wirklich¬
keit erfolgt — ein dramatisch=theatralischer Effekt, wie er Schnitzler
nicht zum zweiten Male gelungen ist. Ludwig Barnays In¬
szenierung und Spielleitung brachte die Stimmung, das Helldunkel
des Einakters, das flackernde Unbestimmte der Vorgänge und den
Hereinbruch der Katastrophe eindrucksvoll genug heraus. Walter
Gynts Henri packte durch den düsteren, auch im trügerischen Spiel
sich nicht verleugnenden Ernst einer maßlosen, zweifelnden Leidenschaft
und den wilden Ausbruch des den Verrat rächenden Liebenden. Eine
prächtige Leistung war Rudolf Meyns unheimlich grotesker Tanten¬
mörder Grain, sehr ergötzlich in der Unfähigkeit, als wirklicher Ver¬
brecher unter Scheinverbrechern mitzumimen. Ludwig Barg als den
„groben Gottlieb“ spielender Kellerwirt und Haupt des unterirdischen
Spelunken=Theaters, Arnfeld als ein im revolutionären Pathos sich
gefallender Grasset gaben einprägsame Gestalten, während Fritz
Eßlers Scaevola etwas zu grell wirkte. Eva Fiebigs Leokadie
entbehrte des koketten Reizes; in der Schar der Aristokraten dominierte
Werner Rafaels lebemännisch=überlegener Herzog von Cadignan,