II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 335

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eine ähnliche Maskerade. Auf lichterfüllten Bällen,
wo kostbare Gesellschaftskleider zur Schau gestellt
werden, produziert sich die Bohème. In grotesken
Kostümen laufen sie herum und die Ballgäste lassen
sich von ihnen zum Besuch eines Cabarets mit der
angenehmen Wendung einladen: „Komm nur herein,
Du Schurke!“ — genau wie im „Grünen Kakadu“,
wo es den Mitgliedern der Aristokratie auch großen
Spaß bereitet, von dem Wirt „Schurke“, „Spitz¬
bube“ u. s. w. geschimpft zu werden. Du lieber
Himmel, man ist eben übersatt. Man hat nach¬
gerade alles „gehabt“, was man so für Geld haben
kann. Die Leckerbissen sind schal geworden, seit sie
zur Alltagskost geworden sind; die Nerven sind
stumpf geworden und bleiben träge den normalen
„Komm herein, Du
Reizen gegenüber
Schurke“ ist endlich einmal etwas anderes. Der
Teufel hole die süßen Schmeicheleien; was man sich
gegenseitig Angenehmes sagen kann, hat man sich
bereits hundertmal gesagt; ewig geistreiche Be¬
merkungen, Bonmots oder seien es auch nur Kalauer
produzieren zu müssen, wird auf die Dauer auch
langweilig. Man kennt das ja alles auswendig,
auch die „geistreichen Anmerkungen“, ja gerade
die, — „Geist“ ist ja nachgerade etwas geworden,
das einen leidlich begabten Menschen am Ekel ersticken
läßt. Da sind „Hund“, „Spitzbube“ oder „Verbrecher“
doch endlich einmal Worte von neuem Klang. Vielleicht hat
so ein befrackter Gast auch früher einmal das Wort
„Schurke“ hören müssen (ich neige zu der revo¬
lutionären Ansicht, daß es auch Schurken im Frack
giebt), aber er genoß es damals nicht mit dieser
vollendeten Harmlosigkeit, nicht mit dieser liebens¬
würdigen Seelenruhe, nicht in dem angenehmen
Bewußtsein, doch ein Gentleman zu sein, der
amüsanten armen Teufeln aus seiner (oder vielleicht
auch aus anderer Leute) Börse zwei Mark mit An¬
stand zukommen läßt. Die Leute, die nur existieren,
wenn sie herdenweise beisammen sind und dann auch
noch immer „etwas Neues“ haben müssen, fanden
das erlösende Wort — „Komm herein, Du Schurke“
wurde die letzte, ach so interessante Mode der Saison!
Wunderlich genug: das Wesen der Bohème liegt
in zwei Dingen beschlossen; sie findet sich erstens
mit dem Geschäft nicht zurecht und hat infolgedessen
kein Geld und sie findet sich zweitens mit der gesell¬
schaftlichen Konvention nicht zurecht und lebt infolge¬
dessen außerhalb der Gesellschaft. Und was erleben
wir nun? Sie macht auf einmal Geschäfte, eben da¬
durch, daß sie die Bohème ist, und zwar macht sie
diese Geschäfte innerhalb einer glänzenden (mindestens
von Gold glänzenden) Gesellschaft. Die Bohème
wird bezahlt und wird gesellschaftsfähig
zwei Dinge, die sonst den Begriff „Bohômien“
aufhoben. Wenn diese Wirklichkeit so ernst wäre
wie das künstlerische Spiel in Schnitzlers „Grünem
Kakadu“, dann könnten wir uns gratulieren; denn
dann wäre die Gesellschaft verlumpt und die Bohème
wäre es auch; dann würde auch diese groteske
Maskerade anzeigen, daß wieder einmal eine
historische Demaskierung vor der Thür stünde und
das bunte Fest könnte mit einem sehr grauen Morgen
enden.
Glücklicherweise haben wir es nicht mit einer Zeit¬
erscheinung, sondern nur mit einer Mode zu thun,
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im besonderen mit einer Veriner Mode, über deren
Wert sich die Beteiligten einigen mögen. Dadurch
geht zweifelsohne etwas von der grotesken
Bedeutung verloren, die Schnitzlers Drama besitzt,
aber der künstlerische Verlust bedeutet nationale Ge¬
sundheit, und so müßte man schon ein halbverfaulter
„Asthet“ sein, um sich nicht darüber zu freuen. Bei
Schnitzler handelt es sich wirklich um die De¬
klassierten, bei den zahlungsfähigen Berlinern handelt
es sich aber — pardon — gar nicht um die Bohème,
die noch immer nicht ihre Abneigung gegen das
Geschäft und die Gesellschaft überwunden hat und
die sie auch schwerlich jemals überwinden wird.
ei
Es handelt sich vielmehr um
1
längst der Bohème entronnen
sie ihr jemals angehörten) und die
tigung und zum angenehmen Gruseln
„Bohémien“ mimen, wie sie
nimen würden, wenn gerade
Das
sie
ig gewähren lassen kann
ist. Ob es auch eine geschmack¬
ache ist, bleibt freilich eine andere
Ich finde es nicht sonderlich be¬
Gewißz hat di enen
Seite, aber wer ihre Tragik nicht empfunden hat,
hat ihr doch nie angehört, wenn er auch zehnmal
ungebundener gelebt hat, als seinen Tanten an¬
genehm schien. In geschlossenem Künstlerkreis oder
in kleinen Kneipen, zu denen nur Eingeweihte Zu¬
tritt haben, mag immerhin das Treiben der Bohôme
sich entfalten; auf Allerweltsbällen indes
aber, wie gesagt, lassen wir die Komödianten und
ihr Publikum sich ungehindert lieben.
Bezeichnend für Berlin bleibt die Sache aller¬
dings. In unserem Kunstleben macht sich der
Talmi=Erfolg frech und blendend breit, nun haben
wir auch noch die Talmi=Erfolglosigkeit, die
Talmi=Bohöme, oft genug gemimt von Talmi¬
Künstlern, damit die Verlogenheit sich ganz
vollende. Das System hat sich damit zu einer
Feinheit entwickelt, die man in ihrer be¬
sonderen Art bewundern kann. Es wäre grau¬
kam, wenn man hier bittere Betrachtungen anstellen
und so die Harmonie der schönen Feste stören wollte.
Ich wenigstens bin zu weich dazu.
Erich Schlaikjer.