II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 413

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9.4. Der-Ernene KakaduZykins
Kakadu“ nur sinnbildlich als der gemeinsame Lebensboden! Gibt man diese Voraussetzungen der „Gefährtin“ zum
einer grundverderbten, oben und unten faulen Gesellschaft dann wird sie billiges Urtheil in der Knappheit der
gefaßt werden sollte, kommt seine harmlose Symbolik Führung, der Kraft der Charakteristik, der Energie des
gegen die grimmige Wirklichkeit der „Weber“ nicht auf. Gedankens als dramatisches Meisterstück Schnitzlers an¬
Keinerlei Zensur= oder politische Bedenken, nur kritische
erkennen, das sich ebenbürtig neben seine Meistererzählungs
und historische Zweifel haben wir deßhalb gegen den
„Die Todten schweigen“ — stellt. Die Frage bleibts
„Grünen Kakadu“ zu äußern. Grell und wirr, unklar und
nur, ob solche Kasuistik der Untreue nicht auf die Dauers
langwierig schleppt sich die Scenenreihe fort, bis in das
die Mehrheit unbefangener Leser und Zuschauer ver¬
Triumphgeschrei der Stürmer der Bastille der nur allzu drießt? Ob nicht so Manche, wie Professor Pilgram selbst,
wahre Wehruf der Cocotte Leocadie hineintönt: sie sei das Leben so leichter, leichtfertiger Leute, wie es das
niemals werth gewesen, daß ihretwegen irgend ein Mensch Ehebrecherpaar ist, nicht nur „gar nicht begreifen können“:
erdolcht werde. Mag sein, daß die Paraderolle des neuen sondern auch getrost auf jede nähere Bekanntschaft und
Tabarin den „Grünen Kakadu“ eine Weile lang Mode
tiefere Erklärung ihrer Thaten und Unthaten verzichten.)
werden läßt, menschlich und künstlerisch haben wir für
Mit anderen Worten: wir und mit uns mehr als
diese Groteske nicht viel übrig.
Ein aufrichtiger Anhänger von Schnitzlers nicht gewöhn¬
lichen Gaben würden es als Wohlthat betrachten, wenn
nicht nur technisch, das Schauspiel: „Die
Gefährtin“ weitaus am besten gerathen. Wieder einmal,
er uns endlich auch anders kommen wollte, als mit
wie in so mancher anderen Komödie und Erzählung wilden, gebogenen und gebrochenen Ehen. Eine neue
Schnitzlers, erweist sich der Tod als unbestechlicher Menschen=] Gesellschaft braucht und fordert neue Sittenschilderer
richter. Im „Sterben“, im „Vermächtniß“, in den Skizzen neue Sittenrichter. Keine Kühnheit, keine Wahrheit sei
„Blumen“, „Die Todten schweigen“ 2c. hat der Dichter diesem ihnen verwehrt. Daß es Schnitzler mit diesem seinem
Lieblingsthema so viele Wandlungen abgewonnen, daß diese Beruf als Künstler und Moralist durchaus ernst ist, haben
neue Variante doppelt überrascht. Ein betrogener Ehe= die zahlreichen Freunde seines Talents gern und oft an¬
mann, Professor Pilgram, hat bei Lebzeiten seiner umlerkannt. Heute sagt ihm ein ehrlicher Warner, daß er —
20 Jahre jüngeren Frau Schicksal gekannt zu kennen
unbewußt — vor der Gefahr steht, durch stetes Beharren
geglaubt. Nach dem Tode seines Weibes erfährt er un¬
im allerengsten Kreise eintönig, einförmig zu werden.
versehens daß das Paar, dem er großmüthig verzeihen Vielleicht hat sich Schnitzler deßhalb instinktiv neue Stoff¬
wollte, nicht einer großen Leidenschaft zuliebe gesündigt: gebiete zu eeschließen gesucht. Meines Erachtens mit Un¬
sein Assistent hat mit Vorwissen der mitschuldigen Frau recht. Seine historischen Anekdoten Der grüne Kakadu“
Pilgram seine Verlobung vorbereitet, so daß die Raison=wie der „Paracelsus“ sind nur Maskeraden. Schnitzlers
neuse des Schauspiels dem durch solche ungeahnte Nieder¬
eigentliche Natur weist ihn auf das moderne Gesellschafts¬
tracht maßlos Erstannten die Freiheit des Gemüths nur
stück. Das aber scheint uns so formenreich und entwick¬
durch eine heroische Kur wiederzugeben vermag:
lungsfähig wie die moderne Wiener Gesellschaft selbst.
„Jahrelang haben Sie um diese Frau gelitten — haben! Wenn es Schnitzler gelingen könnte, auch nur annäherndn
sich von einem Selbstbetrug in den anderen gestürzt, um sie
ihren beständigen Wandlungen als Tragiker und Humorist
weiter lieben und weiter leiden zu dürfen und jetzt wollen zu folgen, dann könnte er mit der Zeit vielleicht den Platz;
Sie sich noch weiter quälen, um eines Schicksals willen, das einnehmen, der seit Bauernfelds Tagen in der dramati¬
Sie sich nur einbilden, das diese Frau überhaupt nicht er= schen Kunst Deutsch=Oesterreichs, zum Schaden des Burg¬
leiden konnte, weil das Leben so leicht für sie war, wie theaters, verwaist geblieben. Doch das ist, mit Fontane
Menschen Ihrer Art gar nicht begreifen können.“
zu reden, „ein weites Feld“.