II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 510

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9.4. Der pruche Kakadu Zukius
Theater, Kunst und Literatur.
Burgtheater.
Einer der wenigen Schaffenden in Wien, deren Namen
man in Verbindung mit dem Worte „Kunst“ bringen kann,
ohne dabei eine unangenehme Dissonanz zu empfinden, ist
Theater und Kunst.
Arthur Schnitzler. Er hat eine ruhige und vornehme
(Burgtheater.) Drei Stücke von Arthur
Art zu leben und sich zu geben, hat nie Meinungen
Schnitzler an einem Abende — das genügt. Am erträg¬
gegründet oder Talente entdeckt, arbeitet ruhig und ehrlich
lichsten ist das erste: „Paracelsus“, obwohl es
und hat daher eine sicher aufsteigende künstlerische Ent.
unter einer falschen Perspective und an großen Längen
wicklung. Sein Letztes ist immer sein Bestes gewesen. Soweit
leidet. Paracelsus versetzt die Frau eines Basler Waffen¬
man aber Philosophie den Leuten, die das Burgtheater
besuchen, credenzen kann, soweit hat es der Dichter in
schmiedes in hypnotischen Schlaf und suggerirt ihr
seinen drei letzten Einactern „Paracelsus“, „Die Ge¬
ein sündhaftes Verhältniß; er hypnotisirt sie noch
fährtin“, „Der grüne Kakadu“ gethan. Die alte
einmal und suggerirt ihr, daß sie die Wahrheit
Weisheit, daß das Leben ein Spiel, daß im Spiele Leben¬
sprechen möge; es stellt sich heraus, daß sie als Weib
sei, daß Sein und Schein ineinanderfließen, hat Schnitzler
die Treue nicht verletzt, wohl aber, daß sie einst als
durch graziöse Seenen mit neuem Lebem erfüllt, ohne
Mädchen ihn — den Hypnotiseur — geliebt hat. Die in
jemals den Leuten mit schwerer Philosophie lästig zu fallen.
Paracelsus verkörperte Wissenschaft bekennt schließlich mit
Im „Paracelsus“ muß der brave Waffenschmied
Du Bois=Reymond ihr „Ignorabimus“ während das
Cyprian, der dem Scheine kein Recht zuerkennen will, an
Philisterium des Gatten sich mit dem Gedanken be¬
seiner eigenen Frau mit Schreck erfahren, wie leicht sich
böse Träume in böses Schicksal wandeln können; aber wo
friedigt: „Gottlob, daß die Geschichte so gut aus¬
das Spiel tragisch zu werden droht, wendet es der Dichter
gegangen ist“
— Der zweite Einacter: „Die Ge¬
in eine tiefere Heiterkeit. Des Waffenschmiedes Gattin hat
fährtin“, häuft auf eine Todte Schmutz und Schande.
unter dem Banne der Suggestion Sünden gebeichtet, die
Ein Professor kehrt eben vom Leichenbegängnisse seiner
Für 30 z sie nie begangen; unter dem Zwange, die Wahrheit zu
Frau heim, ohne sonderlich erschüttert zu sein; er
100 sagen, erzählt sie ein Stückchen muthig bestandener Liebes-jusive
weiß, daß sie ihn mit einem Collegen betrogen hat,
versuchung, das dem wackeren Cyprian ganz warm macht; orto.
200
ihlbar
aber er erfährt ratenweise noch viel mehr; er
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er wird seine Frau fortan nicht wie ein sorgloser Sieger voraus
erfährt, daß der Herr College sich anderwärts verlobt
" 1000
betrachten, vor Gelehrten und Wundern aber fürderhin
hat, und daß die Dinge trotzdem ihren Gang weiter
Im
einen heilsamen Respect haben. Der Wunderthäter selbst ist das
Für
Abonnemeaber — Paracelsus — zieht ins Weite. An dem kleinen es den
gingen. Da legt er den zu spät eingetroffenen Kranz des melu
Por
Galans auf den Schreibtisch der Todten, und athmet zahl Abonnent bürgerlichen Glück, das er sichern half, hat er kein Theil; n.
wer solche Tiefen durchforscht hat, gehört größeren Dingen
erleichtert auf. Das Publicum folgt seinem Beispiele. — im Vi
San. Dieses sinnliche Spiel empfing durch Herrn Krastels
Die letzte Gabe: „Der grüne Kakadu“ nennt sichgiue ist da¬
Biederkeit, durch das Geschick der Frau Schratt und
eine „Groteske“. In einer Spelunke kommen — am steht es den
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den gedankenschweren Ernst Roberts kräftiges Leben.
abe Tage der Erstürmung der Bastille — Taschendiebe, ändern.
Hart an der Grenze der Lächerlichkeit bewegt sich die
Schmierenkomödianten und — Aristokraten zusammen,
„Gefährtin“. Ließe uns die große technische Fertigkeit des
die beiden Ersteren um ihr Handwerk zu üben, die
Dichters und die subtile Kunst der Schauspieler nur einen
Letzteren, um dabei zuzusehen. Unversebens geht die
Augenblick aus dem Banne der Suggestion fallen, so ginge
Komödie in die Wirklichkeit über, ein eifersüchtiger
das Stück in einem Sturme von Lachen unter: So aus¬
Schauspieler ersticht einen Herzog. Das „Groteske“.
geklügelt ist das Problem, so unnatürlich sind die psychischen
Vorgänge.
soll darin bestehen, daß die Aristokraten noch immer an
Man höre nur: Der Professor Robert Pilgram ist
einen Scherz glauben, während der Ernst des Jahres
ein gar edler Gatte; das Verhältniß seiner Frau mit?
1789 bereits sein grinsendes Gesicht zeigt. — Es scheint,
seinem Assistenten Doctor Hausmann betrachtet er mit
daß Herr Schnitzler — ähnlich wie Sudermann in
stillem Wohlwollen. Da stirbt die Frau und der Professor
seinen Morituri — in seinen drei Einactern einen ge¬
muß erfahren, daß der Freund seiner Frau die Treue
meinsamen Brundgedanken erblickt, was dieser Grund¬
gebrochen hat: Sie war nur neben der Anderen da, mit
gedanke sein soll, bleibt unerfindlich. Es wird aller¬
der sich der Assistent eben verlobte. Entrüstet weist der so
scomplicirt betrogene Professor dem Doctor die Thüre; da
dings in allen Stücken das Eheproblem gestreift, aber
wird ihm aus dem Munde einer Freundin die Gewißheit,
das geschieht in tausend anderen Stücken auch,
daß sein Weib mit Bewußtsein nicht die Geliebte,
daß man deshalb auf einen Zusammen¬
ohne
sondern die Dirne des Anderen gewesen ist. Diese
schließt. Die Devise: „Menn#g, Menschen sind
hang
angenehme Eröffnung beruhigt den Professor sofort, er
wir Alle“, reicht schwerlich für einen geistigen Connex
athmet erleichtert auf, lächelt wie befreit, läßt die Koffer
Einzeln betrachtet, bewegen sich die Stücke
aus.
packen und fährt auf eine Erholungsreise.
„Paracelsus“ suggerirt
Linie;
in absteigender
Behutsam wie wenn man ein Kind trägt, hat Adolf;
dem sechzehnten Jahrhundert, es möge sich
[Sonnenthal mit seiner reifen Kunst die Rolle des
einmal vorstellen, das neunzehnte zu sein; von diesem
Professors über alle Fährlichkeiten und Klippen des Stückes
Schnitzer Schnitzler's abgesehen, kann man sich die
hinweggeführt, wer so hinreißend das Leben verkörpert,
kann sich getrost wieder einmal todt sagen lassen.
Kleinigkeit gefallen lassen. Die „Gefährtin“ wandelt in
den Spuren der psychologischen Anatomie Ibsen's, zeigt
Das dritte Stück, „Der grüne Kakadu“ ist
Arbeitervereinen zur Aufführung angelegentlichst zu
aber dabei überall äußerliche Mache und eine peinliche
empfehlen, wir wissen nicht, ob der Dichter das ganz so
Geschmacklosigkeit; der „grüne Kakadu“ ist eine directe
gemeint hat, ihm war es wohl hauptsächlich darum zu thun,
Beleidigung des Publicums — nicht etwa nur des
an dem Schicksal des Schauspielers Heui, welcher, den
aristokratischen, sondern des gesammten ästhetisch empfin¬
betrogenen Ehemann spielend, erfahren muß, daß er
denden Publicums. — Im ersten Stücke spielte Frau
der betrogene Ehemann sei, zu erweisen, wie auch hier
im zweiten
Schratt mit vollendeter Ann
Spiel und Leben ineinanderfließen. Aber die große
arbeitete Herr Sonnenthal nach naerer Monotonie
französische Revolution, welche blos als Hintergrund
seine Hauptscene stark heraus, im dritten machten sich
dienen sollte, erschlägt die kleine Handlung. Zuletzt ist uns
auffallend viele Dilettanten — Leute, die noch keinen
der betrogene Heuri nichts, das betrogene Volk und seine
Rache alles.
Namen haben und Leute, die nie einen Namen bekommen
werden — mit großer Selbstgefälligkeit breit. Alles in
Die Aufführung dieses Actes an der Hofbühne
bedeutet einen erheblichen Fortschritt in der Auffassung
Allem: ein recht unerquicklicher Abend, an dem weder die
der Hoftheaterbehörden. Daß man einen Polizeicommissär
heimische Dramatik, noch die heimische Schauspielkunst
schon auf der Bühne des Burgtheaters hinauswerfen kann,
— —
Ehre aufhob.
gehört mit zu den erfreulichsten Ergebnissen des Abends.
Die Direction hat in Ausstattung, Besetzung und
Regie dem Wiener Dichter das liebevollste Verständniß
hewiesen.
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