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9.4. Der gruene Kakadu Zyklus
Wiener Kunst.
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zwischen Humor und Tragik hin und her, und der erstere schlägt in letzteret mit starker
tragischer Kraft um. Es ist eine Dichtung, die dem Dichter und Jung=Wien alle Ehre
macht. Man wird den Namen Schnitzler aussprechen müssen, wenn man nicht nur von
seinen und anmutigen, sondern wenn man von jenen ernsten Künstlern spricht, die den
Blick für die Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens in seinen tragischen Momenten
haben. Was die Darstellung betrifst, so war es vor allem Sonnenthal, der als Schau¬
spieler Heuri durch die Macht seiner Erscheinung und Persönlichkeit der Aufführung den
großen Zug gab und den tragischen Momenten zu voller Wirkung verhalf. Recht gut
war auch Frau Mitterwurzer in der Rolle einer koketten Marquise, brillant Herr
Hartmann als Dichter Rollin und Herr Zeska als Graim. Von den übrigen Dar¬
stellern seien noch die Herren Thimig und Römpler besonders hervorgehoben.
Von den beiden erwähnten Dichtungen eingerahmt brachte Schnitzler in der
„Gefährtin“ eines jener Stimmungsjuwele, wie sie seine feine Hand so eigen zu gestalten
vermag. Es ist nur schade, daß er der Tragik, die sich in diesem Lebensabschnitt so müd
und bleiern auf unsere Seelen legt, im letzten Moment durch eine seltsame Wendung die
Spitze abbricht. Ein alter Professor — etwa anfangs der Sechzig — hat eben seine junge
Frau begraben. Wahre Trauerstimmung liegt über der Szene. Aber in ihm selbst ver¬
mag keine rechte Trauer aufzukommen. Die Verstorbene war schon lange nicht mehr sein,
wenn sie auch ihre Tage zusammen verbracht hatten. Er war ein alter Mann geworden
und sie noch immer eine junge, lebenslustige Frau geblieben. Und so hatte sich ihr Herz
von ihm abgewendet. Er aber war einsam seinen stillen Pfad gegangen und hatte in
tiefer Resignation leise und ihr selber unbewußt ihre Fesseln gelöst. Er gab sie frei dem
jubelnden Leben, dem sie noch gehörte, und das in ihm schon kalt geworden und still. —
Nicht vor den andern hatte er's gethan, aber still und innerlich, indem er schwieg, in tiefer
Selbstüberwindung schwieg, als er erkennen mußte, daß ihr Herz und ihre Gedanken sich
einem anderen zuwandten, einem jungen Freunde, der dem jungen Weibe zu geben ver¬
mochte, was ihm, dem alternden Greis, bereits versagt war. Und so wußte er, daß
seine Frau ihn betrüge, und er schwieg dennoch. Tief innerlich hatte er das Unrecht er¬
kannt, mit dem er ein junges Geschöpf für immer an sich zu fesseln geglaubt, weil er sie
zum Altar geführt. Anfangs mochte er viel gelitten haben, bis sein Gefühl in ihm er¬
stickt, sein Stolz und sein Mannesrecht in ihm überwunden waren. Und nun da sie ge¬
storben, da empfand er nur ein dumpfes, drückendes Gefühl, vielleicht Trauer und Müdig¬
keit, kaum aber tieferen Schmerz. Nun aber, da der Geliebte der Toten herbeigeeilt, um
an ihr Grab zu treten, erfährt er von diesem, (der keine Ahnung davon hat, daß der be¬
trogene Ehemann um sein Verhältnis mit der Verstorbenen wußte,) daß er seit einem
Jahre verlobt sei und sich zu verheiraten gedenke. Da bricht aller Groll und aller
Schmerz aus ihm hervor, er fühlt nun, daß auch seine Frau betrogen wurde, und nun
weist er dem Verführer die Thür. Bis hierher fühlt man schwere und echte Tragik. Der
jähe Schmerz, der nun aus der dumpfen Resignation langsam hervorquellen mußte, wie
schwere, hartentrungene Thräuen, dieser Schmerz um die Verstorbene, der erst in dem
Moment zum Leben erwachen kann, da auch sie nur eine Unselige, Betrogene gewesen,
ist poetisch und tief tragisch. Der Dichter geht aber einen Schritt weiter, oder besser, er
steigt von der glücklich gefundenen tragischen Höhe um eine Stufe herab. Eine Freundin
der Verstorbenen tröstet den Professor, indem sie ihm entdeckt, daß die Tote seines
Schmerzes nicht würdig gewesen, denn sie habe gewußt, daß ihr Geliebter mit einer
anderen verlobt sei und daß sie ihm nicht mehr als ein „Verhältnis“ gewesen sei. Da
erfüllt nur Scham und Ekel die Seele des Gelehrten, müde und mit schweren Schritten
9.4. Der gruene Kakadu Zyklus
Wiener Kunst.
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zwischen Humor und Tragik hin und her, und der erstere schlägt in letzteret mit starker
tragischer Kraft um. Es ist eine Dichtung, die dem Dichter und Jung=Wien alle Ehre
macht. Man wird den Namen Schnitzler aussprechen müssen, wenn man nicht nur von
seinen und anmutigen, sondern wenn man von jenen ernsten Künstlern spricht, die den
Blick für die Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens in seinen tragischen Momenten
haben. Was die Darstellung betrifst, so war es vor allem Sonnenthal, der als Schau¬
spieler Heuri durch die Macht seiner Erscheinung und Persönlichkeit der Aufführung den
großen Zug gab und den tragischen Momenten zu voller Wirkung verhalf. Recht gut
war auch Frau Mitterwurzer in der Rolle einer koketten Marquise, brillant Herr
Hartmann als Dichter Rollin und Herr Zeska als Graim. Von den übrigen Dar¬
stellern seien noch die Herren Thimig und Römpler besonders hervorgehoben.
Von den beiden erwähnten Dichtungen eingerahmt brachte Schnitzler in der
„Gefährtin“ eines jener Stimmungsjuwele, wie sie seine feine Hand so eigen zu gestalten
vermag. Es ist nur schade, daß er der Tragik, die sich in diesem Lebensabschnitt so müd
und bleiern auf unsere Seelen legt, im letzten Moment durch eine seltsame Wendung die
Spitze abbricht. Ein alter Professor — etwa anfangs der Sechzig — hat eben seine junge
Frau begraben. Wahre Trauerstimmung liegt über der Szene. Aber in ihm selbst ver¬
mag keine rechte Trauer aufzukommen. Die Verstorbene war schon lange nicht mehr sein,
wenn sie auch ihre Tage zusammen verbracht hatten. Er war ein alter Mann geworden
und sie noch immer eine junge, lebenslustige Frau geblieben. Und so hatte sich ihr Herz
von ihm abgewendet. Er aber war einsam seinen stillen Pfad gegangen und hatte in
tiefer Resignation leise und ihr selber unbewußt ihre Fesseln gelöst. Er gab sie frei dem
jubelnden Leben, dem sie noch gehörte, und das in ihm schon kalt geworden und still. —
Nicht vor den andern hatte er's gethan, aber still und innerlich, indem er schwieg, in tiefer
Selbstüberwindung schwieg, als er erkennen mußte, daß ihr Herz und ihre Gedanken sich
einem anderen zuwandten, einem jungen Freunde, der dem jungen Weibe zu geben ver¬
mochte, was ihm, dem alternden Greis, bereits versagt war. Und so wußte er, daß
seine Frau ihn betrüge, und er schwieg dennoch. Tief innerlich hatte er das Unrecht er¬
kannt, mit dem er ein junges Geschöpf für immer an sich zu fesseln geglaubt, weil er sie
zum Altar geführt. Anfangs mochte er viel gelitten haben, bis sein Gefühl in ihm er¬
stickt, sein Stolz und sein Mannesrecht in ihm überwunden waren. Und nun da sie ge¬
storben, da empfand er nur ein dumpfes, drückendes Gefühl, vielleicht Trauer und Müdig¬
keit, kaum aber tieferen Schmerz. Nun aber, da der Geliebte der Toten herbeigeeilt, um
an ihr Grab zu treten, erfährt er von diesem, (der keine Ahnung davon hat, daß der be¬
trogene Ehemann um sein Verhältnis mit der Verstorbenen wußte,) daß er seit einem
Jahre verlobt sei und sich zu verheiraten gedenke. Da bricht aller Groll und aller
Schmerz aus ihm hervor, er fühlt nun, daß auch seine Frau betrogen wurde, und nun
weist er dem Verführer die Thür. Bis hierher fühlt man schwere und echte Tragik. Der
jähe Schmerz, der nun aus der dumpfen Resignation langsam hervorquellen mußte, wie
schwere, hartentrungene Thräuen, dieser Schmerz um die Verstorbene, der erst in dem
Moment zum Leben erwachen kann, da auch sie nur eine Unselige, Betrogene gewesen,
ist poetisch und tief tragisch. Der Dichter geht aber einen Schritt weiter, oder besser, er
steigt von der glücklich gefundenen tragischen Höhe um eine Stufe herab. Eine Freundin
der Verstorbenen tröstet den Professor, indem sie ihm entdeckt, daß die Tote seines
Schmerzes nicht würdig gewesen, denn sie habe gewußt, daß ihr Geliebter mit einer
anderen verlobt sei und daß sie ihm nicht mehr als ein „Verhältnis“ gewesen sei. Da
erfüllt nur Scham und Ekel die Seele des Gelehrten, müde und mit schweren Schritten