box 15/5
9.4. Der gruene KakaduZukins
Wiener Kunst.
337
eine seiner sympathischesten Leistungen aus jüngster Zeit. Den Paracelsus gab zuerst
Herr Robert mit einem starken Zug ins Dämonische und Große, später Herr
Devrient, mehr geistreich und elegant. Die Frau des Waffenschmiedes spielte Frau
Schratt in ihrer stilvollen deutschen Art, nach ihr Frl. Bleiberen, etwas herber und
schwerer im Ton. Als Junker verdient Herr Frank beiondere Erwähnung. Dieser
junge Schauspieler, den Dr. Schleuther allen Anfechtungen der Kritik zum Trotz immer
wieder vor dankbare Aufgaben stellt, scheint der guten Reinung des Direktors Geltung
verschaffen zu wollen. Er war diesmal sehr frisch und uat##rlich, sprach warm und ein¬
dringlich und sah wieder sehr hübsch aus. Beim Publikum fand der graziöse Einakter
viel Beifall.
Weitaus ernster und kräftiger in Zeichnung und Farbe ist der „Grüne Kakadu“.
Ein kühnes Genrebild mit jenem Humor, der aus Tragische streift, und jener Tragik,
die zur Groteskawird. Während hinter der Szene die großen Ereignisse der französischen
Revolution nur wie fernes Gewittern an unser Bewußtsein schlagen, entrollt sich auf
der Bühne ein Stück Leben aus jenen Tagen, groß und schreiend in der Konzeption, grell
und herb in den Kontrasten, zwischen blutigem Humor und blutiger Tragik schwankend.
In der Wirtsstube zum grünen Kakadu spielen beschäftigungslose Schauspieler den
Aristokraten und Bürgern Schreckensszenen vor. Sie überbieten sich in der kühnsten
schanung ihrer Phantasie, immer neue Mord= und Greuelszenen zu erfinden. In den
Tagen, da der Aufruhr sich durch die Straßen von Paris wälzt, da der Mord und die
Gewaltthat fast zum Recht geworden, bilden Mord und Grausamkeiten den Inhalt eines
Spieles, das die Sinne kitzeln soll, und die Tragik von der Straße wird zum Satyrspiel
der Spelunke. Nichts vermöchte die leichtsinnige und sorglose Verworfenheit des fran¬
zösischen Adels jener Zeit schärfer und abstoßender zu zeichnen, als dieses frivole Spiel mit
Menschentartung, diese cynische Seelenflagellation, in der die ganze geistige und mo¬
ralische Entartung der Revolutionszeit hervortritt. Von diesem Milieu eingefaßt spielt
eine tragische Anekdote, die an Tabarin gemahnt, vielleicht auch ein wenig an Narciß.
Der genialste unter dieser Komödiantenbande, Heuri, liebt die Schauspielerin Leocadie und
heiratet sie. In einer seiner Szenen erzählt er, daß er seine Frau mit dem Herzog von
Carvignac überrascht und den Herzog ermordet habe. — Henri weiß nicht, daß seine
Frau wirklich die Geliebte des Herzogs ist, erfährt dies nun, und sticht den kurz dar¬
nach eintretenden Herzog jieder nieder. Da der anwesende Kommissär eben Heuri ver¬
haften will, dringt die Nachricht von der Erstürmung der Bastille in die Schenke — die
Adelsherrschaft erscheint gestürzt, und unter dem wüsten Freiheitsjubel der herein¬
dringenden Volksmassen bricht Henri verzweifelt zusammen. Mit viel Kraft und ver¬
blüffender szeuischer Geschicklichkeit ist dieses Bild entworsen. Es hat starke Essekte, die
trotzdem nicht rein theatralisch wirken, eine Gefahr, der der Dichter durch die prächtige
Charakterisierung der einzelnen Figuren glücklich entronnen ist. Alle die einzelnen dieser
verlumpten Komödiantenrotte haben ihren Individualismus, sie sind sein auseinander¬
gehalten, ihre Verworfenheit ist kein gemeinsamer Typus. Die genialste Figur ist wohl
Graim, ein wirklicher Mörder, der vom Zuchthaus entlassen wurde — aber unter den
gespielten Mördern eine klägliche Rolle spielt. Er erzählt die wirkliche Geschichte, wie er
seine Tante umgebracht, und der anwesende Dichter Rollin meint: „Der ist schwach, das
ist ein Dilettant.“ An solchen geistvollen, grotesken Einfällen und Situationen ist das
Stück überreich. Und alles dies ist bunt durcheinander gewürfelt, mit sicherer Wirkung
der Kontraste, die sowohl in den Situationen wie auch in den einzelnen Personen liegen.
Mit sprunghafter Schnelligkeit pendelt die Stimmung zwischen Ernst und Scherz,
9.4. Der gruene KakaduZukins
Wiener Kunst.
337
eine seiner sympathischesten Leistungen aus jüngster Zeit. Den Paracelsus gab zuerst
Herr Robert mit einem starken Zug ins Dämonische und Große, später Herr
Devrient, mehr geistreich und elegant. Die Frau des Waffenschmiedes spielte Frau
Schratt in ihrer stilvollen deutschen Art, nach ihr Frl. Bleiberen, etwas herber und
schwerer im Ton. Als Junker verdient Herr Frank beiondere Erwähnung. Dieser
junge Schauspieler, den Dr. Schleuther allen Anfechtungen der Kritik zum Trotz immer
wieder vor dankbare Aufgaben stellt, scheint der guten Reinung des Direktors Geltung
verschaffen zu wollen. Er war diesmal sehr frisch und uat##rlich, sprach warm und ein¬
dringlich und sah wieder sehr hübsch aus. Beim Publikum fand der graziöse Einakter
viel Beifall.
Weitaus ernster und kräftiger in Zeichnung und Farbe ist der „Grüne Kakadu“.
Ein kühnes Genrebild mit jenem Humor, der aus Tragische streift, und jener Tragik,
die zur Groteskawird. Während hinter der Szene die großen Ereignisse der französischen
Revolution nur wie fernes Gewittern an unser Bewußtsein schlagen, entrollt sich auf
der Bühne ein Stück Leben aus jenen Tagen, groß und schreiend in der Konzeption, grell
und herb in den Kontrasten, zwischen blutigem Humor und blutiger Tragik schwankend.
In der Wirtsstube zum grünen Kakadu spielen beschäftigungslose Schauspieler den
Aristokraten und Bürgern Schreckensszenen vor. Sie überbieten sich in der kühnsten
schanung ihrer Phantasie, immer neue Mord= und Greuelszenen zu erfinden. In den
Tagen, da der Aufruhr sich durch die Straßen von Paris wälzt, da der Mord und die
Gewaltthat fast zum Recht geworden, bilden Mord und Grausamkeiten den Inhalt eines
Spieles, das die Sinne kitzeln soll, und die Tragik von der Straße wird zum Satyrspiel
der Spelunke. Nichts vermöchte die leichtsinnige und sorglose Verworfenheit des fran¬
zösischen Adels jener Zeit schärfer und abstoßender zu zeichnen, als dieses frivole Spiel mit
Menschentartung, diese cynische Seelenflagellation, in der die ganze geistige und mo¬
ralische Entartung der Revolutionszeit hervortritt. Von diesem Milieu eingefaßt spielt
eine tragische Anekdote, die an Tabarin gemahnt, vielleicht auch ein wenig an Narciß.
Der genialste unter dieser Komödiantenbande, Heuri, liebt die Schauspielerin Leocadie und
heiratet sie. In einer seiner Szenen erzählt er, daß er seine Frau mit dem Herzog von
Carvignac überrascht und den Herzog ermordet habe. — Henri weiß nicht, daß seine
Frau wirklich die Geliebte des Herzogs ist, erfährt dies nun, und sticht den kurz dar¬
nach eintretenden Herzog jieder nieder. Da der anwesende Kommissär eben Heuri ver¬
haften will, dringt die Nachricht von der Erstürmung der Bastille in die Schenke — die
Adelsherrschaft erscheint gestürzt, und unter dem wüsten Freiheitsjubel der herein¬
dringenden Volksmassen bricht Henri verzweifelt zusammen. Mit viel Kraft und ver¬
blüffender szeuischer Geschicklichkeit ist dieses Bild entworsen. Es hat starke Essekte, die
trotzdem nicht rein theatralisch wirken, eine Gefahr, der der Dichter durch die prächtige
Charakterisierung der einzelnen Figuren glücklich entronnen ist. Alle die einzelnen dieser
verlumpten Komödiantenrotte haben ihren Individualismus, sie sind sein auseinander¬
gehalten, ihre Verworfenheit ist kein gemeinsamer Typus. Die genialste Figur ist wohl
Graim, ein wirklicher Mörder, der vom Zuchthaus entlassen wurde — aber unter den
gespielten Mördern eine klägliche Rolle spielt. Er erzählt die wirkliche Geschichte, wie er
seine Tante umgebracht, und der anwesende Dichter Rollin meint: „Der ist schwach, das
ist ein Dilettant.“ An solchen geistvollen, grotesken Einfällen und Situationen ist das
Stück überreich. Und alles dies ist bunt durcheinander gewürfelt, mit sicherer Wirkung
der Kontraste, die sowohl in den Situationen wie auch in den einzelnen Personen liegen.
Mit sprunghafter Schnelligkeit pendelt die Stimmung zwischen Ernst und Scherz,