II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 545

9. 4. ber pruene Kakaan ZvkIns
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reizen können, soll es einen künstlichen Verbrecherkeller geben; die
Deutsches Theater. #
vornehmen Herrschaften amüseren sich darüber, wenn Schmierenschau¬
Drei Einakter von Arthur Schnitzler.
spieler, als Verbrecher verkleidet, roh und gemein mit ihnen ver¬
F. M. Das feine kleine Schauspiel „Die Gefährtin“ das
kehren und eingelernte Spitzbubenstreiche zum Besten geben. Schnitzler
den Abend eröffnete, gefiel recht gut und machte auf die auf¬
hat nun den kecken Einfall gehabt, diesen nachgemachten Ver¬
merksamen Zuhörer einen tiefen Eindruck. Die Groteske „Der
brecherkeller nach dem Paris von 1789 zu verlegen. So hatte
grüne Kakadu“, die darauf folgte, fand stürmischen Beifall und
er den Vortheil, alle seine lustigen Possen scheinbar historisch
hob die Stimmung so, daß das letzte Stückchen des Abends, das
mit einem fast revolutionären Morde und dem Siegesjubel
Versspiel „Paracelsus“ nicht geradezu durchfiel.
über die Erstürmung der Bastille abschließen zu können.
Nur in der ersten der drei ungleichen Gaben tritt uns der uns
So
lange die Possen währten, erhielten
sie durch den
schon wohlbekannte und immer gern gesehene Arthur Schnitzler, der
politischen Hintergrund einen hübschen, übermüthig satirischen Bei¬
kluge Zeichner schwacher Wiener Männer und noch schwächerer, aber
geschmack. Der Wirth (Herr Fischer) des Kellers zum grünen Kakadu
liebenswürdigerer Wiener Frauen, entgegen. In den Geleitworten,
wirft den Gästen gefährliche Drohungen ins Gesicht, und sie lachen dazu;
welche Hugo v.
Hoffmannsthal
Schnitzlers
erstem Buche,
ein wahrhaftiger Mörder (Herr Rittner machte ein Kabinetsstück aus
der Sammlung dramatischer Plandereien, vorausschickte, heißt es:
dieser Figur) hat im grünen Kakadu sein erstes Debüt als Darsteller,
„Also spielen wir Theater, spielen unsere eigenen Stücke, ... die Komödie
und seine Wahrheit wird für Diletanttismus genommen. Schließlich
unserer Seele, unseres Fühlens Heut und Gestern.“ In jener Sammlung
verwirren sich Spiel und Wirklichkeit ganz ähnlich wie in Leoncavallos
„Anatol“ wie in seinen späteren Dramen hat Schnitzler seine eigenen
„Bajazzi“. Der Star des grünen Kakadu ist Henri (Herr Kainz); Henri
Stücke spielen lassen; immer ist es das Verhältniß zwischen einem
hat eben eine schöne Schauspielerin (Frau Reisenhofer) geheirathet,
blasirten, melancholischen Liebhaber aus der Welt der Bildung, der
und in seiner erregten Phantasie fällt ihm just ein, daß
Ordnung und der Sitte und einem liebebedürftigen Weibe aus einer
ein Herzog Soundso der Liebhaber seiner Frau sei und daß er ihn
anderen Welt. Wagte
sich Arthur Schnitzler einmal an
ermordet habe; das trägt er als falscher Verbrecher vor. Bald jedoch
ein stärkeres Problem,
ging der Held gewiß an
ermordet er den Herzog thatsächlich. Einige wohlfeile Theaterkniffe
seiner Halbheit zu Grunde, wie auch
Anatol niemals
um die Erstürmung der Bastille stellen die Verbindung zwischen
recht glücklich wird, weil er nir ein halber Don Inan ist. Gut
Spiel und Leben her. Dieser Uebergang zur blutigen That
gezeichnet waren diese verlebten Lebemänner und ihre süßen Mädel
ist von außerordentlich starker Theaterwirkung. Schnitzler hat
immer, besonders die letzten. Diesmal lernen wir das Weibchen, um welches
damit bewiesen, daß er nicht nur eigene, daß er auch fremde
sich die Geschichte dreht, leider nicht kennen. Beim Aufgehen des Vor¬
Stücke spielen kann, daß er selbst die Trucs des altgewordenen
hanges kommt Professor Pilgram (Herr Nissen) schon von ihrer Beerdigung
Sardou nicht verschmäht.
Er mag es mit seinem Gewissen.
zuruck. Sie war seine Frau. Ein Jahr lang hat er mit ihr froh
abmachen, daß er die welthistorische Erscheinung der großen franzö¬
gelebt als ein verliebter Ehemann und dann noch zehn Jahre es ge¬
sischen Revolution zu einem bloßen Theatereffekte ausmünzt. Historisch
tragen, daß sie sich ihm entfremdete, wie er ihr, daß sie ihn mit
ist seine Arbeit dadurch nicht geworden; mit einem erstaunlichen
seinem Assistenten (Herr v. Winterstein) betrog. Ihr Tod ist
Mangel an geschichtlichem Sinn hat er Männer und Frauen fin de
ihm nicht nahe gegangen; er hätte sie längst gern freigelassen.
siecle, hat er unsere werthen Zeitgenossen in die so eigenartige
Er ist wahrscheinlich Professor der Psychologie und sagt sehr
Revolutionszeit hinein verflanzt.
klug, seine Frau wäre nicht zur Gefährtin, sondern zur Geliebten ge¬
Ebenso unhistorisch, doch lange nicht so lustig ist das Versspiel
schaffen gewesen. Auf seinen Assistenten ist er nicht böse. Plötzlich
„Paracelsus". Daß Schnitzler aus dem berühmten Arzte Theophrastus
muß er da erfahren, daß dieser Asfistent die Verstorbene gar
Bombastus Paracelsus, der nur zehn Jahre jünger war als Luther,
nicht ernsthaft geliebt hat, daß er sich, während er mit der
einen modernen Hypnotiseur gemacht hat, werden ihm vielleicht
Frau Professor liebelte, ernsthaft um irgend ein reiches Mädchen
nur Kenner der Medizingeschichte übel nehmen, daß aber
bewarb, daß die Professorsgattin um alle diese Sachen wußte. Solche
ein solcher Anachronismus zu nichts weiter führt als zu einem paar
Frivolität geht dem philosophischen Professor doch über den Spaß.
niedlichen Scherzen und zu einem unklaren Lustspielchen, das hätte
Jetzt erst weist er dem Hausfreund die Thür, und mit einem hörbaren
beinahe den Erfolg des Abends verdorben.
Seufzer der Erleichterung geht er am Ende des Stückchens ganz
Die gute Darstellung konnte diese preziöse Kleinigkeit nicht retten,
prosaisch zu Bett. Alles, was in diesem Vorgang echter Schnitzler ist,
wenn auch Fräulein Dumont und Herr Kainz ihr Bestes thaten.
war fesselnd durch die wahren Charaktere und die natürliche Sprache.
Herr Kainz wurde im zweiten Stücke sehr gefeiert; einige Sätze über
Man konnte leicht übersehen, daß des Professors rasch vorübergehende Ent¬
den genialen Schauspieler Heuri rissen nicht nur die Galerie zu
rüstung grundlos war, wenn seine Frau wirklich nur das Zeug zu
demonstrativem Beifall fort. Allen Zauber seiner Persönlichkeit schien
einer Geliebten hatte.
Weniger glücklich stand zwischen den
mir aber Josef Kainz in den großen Heilkünstler hineinzulegen, wie er
beiden Männern eine Dame, die aus Ibsens Norden nach Wien
sich ihn dachte, in den Paracelsus, der Männer und Frauen mit seinem
verzogen zu sein schien, und aus der weder der Autor noch
Blicke zu bannen weiß; Kainz versuchte mehr aus der Rolle heraus¬
Fraulein Sarrow, die
sie spielte, etwas zu machen wußten.
zuholen, als in ihr war. Es wäre traurig, denken zu müssen: der
Herr Nissen als Professor war vorzüglich; man sah und hörte ihm
Paracelsus ist die letzte Gestalt, die Kainz in Berlin neu ge¬
den geistigen Arbeiter an, der vielleicht in seiner Jugend auch ein
schaffen hat.
halber Don Juau gewesen ist.
Der Erfolg des Abends war „Der grüne Kakadu“ auf welchen ja
auch ein wieder zurückgenommenes Polizeiverbot die Neugier recht ge¬
spannt hatte. „Mal was Anderes.“ konnte man rufen hören, und
mit diesem Lobe pflegen Berliner Theaterbesucher ihre höchste Zu¬
friedenheitlauszudrücken. Schnitzler wollte einmal etwas Anderes bringen,
als die eigenen Stücke, als die Komödie unserer Seele; und er hat einen
originellen Einfall originell und geschickt für die Bühne gestaltet.
In einer europäischen Hauptstadt, wo die dekadenten, reichen jungen
Leute gar nicht mehr wissen, womit sie ihre kranken Nerven noch