Vonr
Kleines Feuilleron.
J.S. (Berliner Theaterbrief.) Aus Berlin, 30. April,
schreibt man uns: Ein modernes „Schauspiel“, eine „Groteske“
aus der Zeit der französischen Revolution und ein „Versspiel“,
dessen Held der berühmte Wunderarzt des 16. Jahrhunderts,
Theophrastus Bombastus Paracelsus ist, brachte uns der gestrige
Premièrenabend des Deutschen Theaters. Der Verfasser der
drei Einakter ist der glückliche Wiener Dramatiker Arthur Schnitzler,
der bereits bei Beginn der Saison mit seinem Schauspiel „Das
Vermächtniß“ an derselben Stätte einen großen Erfolg gehabt hat.
Die Aufnahme, die man seinen neuesten Schöpfungen gestern
bereitete, war eine sehr freundliche; das zweite Stück, dessen Auf¬
führung unserer Polizei zuerst bedenklich erschienen war, fand sogar
sehr lebhaften Beifall. — Der Einakter „Die Gefährtin“ er¬
zählt uns die Geschichte einer verflossenen Ehe. Der ältliche Pro¬
fessor Pilgram hat ein um zwanzig Jahre jüngeres Weibchen zur
Frau genommen. Sie sind ein Jahr lang glücklich mit einander
gewesen, dann wurden sie sich fremd und fremder, und der
Gatte erkannte zu spät, daß sein junges Weib nur zur Ge¬
liebten, nicht aber zur Gefährtin geschaffen sei. Die Frau
Professorin knüpfte inzwischen mit dem jüngeren Freunde
und Assistenten Pilgrams, dem Dr. Hausmann, ein Verhältniß
an, das der philosophische Gatte stillschweigend duldete. Da, als
das Ehepaar sich gerade in der Sommerfrische befindet und der
Hausfrennd abwesend ist, stirbt plötzlich Frau Pilgram am Herz¬
schlage. Der Gatte ist von dem Todesfall nicht sonderlich er¬
schüttert, denn er empfindet keinen Verlust. Der Freund, so meint
er zarlfühlend, sei der eigentliche Leidtragende. Schonend und
taktvoll empfängt er am Beerdigungstage den verspätet Ein¬
treffenden und ist aufs höchste erstannt und befremdet, als Haus¬
mann ihm mittheilt, daß er sich soeben im Seebade verlobt habe.
Dies vermag der vorurtheilslose Witwer nicht zu verzeihen. Wärest
Du einst vor mich getreten und hättest Du mich gebeten, mein
Für 5(Weib freizugeben, weil Du es zu Deiner Gattin machen wolltest,
100so hätte ich Dir nicht gezürnt: jetzt aber hast Du sie zur#s#v
200Dirne gemacht, und deshalb jage ich Dich aus dem Hause !kto.
500Dagegen ließe sich manches einwenden, antwortet Hausmannllbar
., 1000und reist zur Verlobungsfeier ins Seebad zurück. — Die Voraus= Oraus.
setzungen, auf denen die Handlung sich aufbaut, und die Charaktere
ldes Dramas sind zu komplizirt, die nur angedeuteten Probleme ist das
bonnetzu interessant und zu fein, als daß die knappe Szeuenreihe einest es den
bonns Einakters ihnen gerecht werden könnte. Mancherlei Fäden werden
angesponnen und nicht zu Ende geführt. Das Wesen dieses Haus¬
freundes bleibt uns ein Buch mit sieben Siegeln, und die eigent¬
liche Hauptperson, die Frau Professorin, ist bereits begraben, als¬
der Vorhang aufgeht; was wir über sie erfahren, vermag unser
Interesse nur zu wecken, nicht zu befriedigen. So kam es, daß
der bedeutende Einakter, der die Keime zu einem tiefen psychologischen
Drama enthält, fast um als ein feines Stimmungsgemälde
wirkte. De
#n Erfolg des Abends hatte die Groteske
„Der grüne Lakadu“. die am Tage des Bastillensturms
er
zu Paris in der „Spelunke Prospere“ sich abspielt.
Wirth des ärmlichen Kellerlokals, ein ehemaliger Theater¬
direktor, ist auf die originelle Idee verfallen, seine Wirthschaft
#in Verbrecherkneipe zu machen. Er hat eine
zu einer küns
Anzahl Komöd####gt, die zur Unterhaltung der Besucher
die Rollen von Mördern, Taschendieben, Brandstiftern 2c. agiren.
Die Stammgäste der Spelunke sind Angehörige der vornehmsten
Gesellschaftsklasse: Chevaliers, Marquis, Herzöge gehen bei Prospère
ein und aus und werden von dem Wirth, der den revolutionären
Republikaner spielt, mit „Ihr Schweine“ angeredet. Der Witz des
Stückes besteht nun vor Allem darin, daß heiteres Komödienspiel
und grause Wirklichkeit sich allmählich mit einander vermischen,
daß die Personen auf der Szeue und die Zuschauer im Parquet
schließlich nicht mehr wissen, wo der bunte Scherz aufhört und der
blutige Ernst beginnt. So tritt ein wirklicher Mörder auf, der
die Geschichte seines Verbrechens erzählt und von den gelang¬
weilten Kavalieren für einen schlechten Komödianten, für einen An¬
fänger gehalten wird. Ein Mitglied von Prospères Truppe weiß
dagegen so meisterhaft zu schildern, wie er den Liebhaber seiner
Frau umgebracht habe, daß seine Kollegen an die Wahrheit
des Erzählten glauben. Dadurch erfährt aber der leidenschaft¬
liche Mime, daß seine Frau in der That einen Liebhaber hat,
und als dieser — es ist der Herzog von Cadignan — gerade
dazukommt, ersticht ihn der betrogene Ehemann. Die aristo¬
kratischen Spelunkengäste sehen, wie einer der Ihrigen an dem
Komödienspiel theilnimmt und wissen nicht mehr recht, woran sie
sind: da kommt die Nachricht von der Erstürmung der Bastille,
und nun macht auch der republikanische Wirth aus seiner Komödie
Ernst. Die Kavaliere fallen in die Hände des wüthenden Pöbels,
und mit einem Hoch auf die Freiheit schließt das Stück. — Der
letzte Einakter, das Versspiel „Paracelsus“ handelt von einer
verhängnißvollen Visite, die der berühmte Wunderdoktor in der
Familie eines Baseler Spießbürgers abstattet. Um dem Haus¬
herrn, der ihn unverhohlen einen Gaukler und Charlatan nennt,
eine Probe seiner Kunst zu geben, suggerirt er dessen trefflicher
Ehefrau in der Hypnose, daß sie den Tag über, bis Sonnenunter¬
gang, nur immer die Wahrheit sagen wolle. Was dabei heraus¬
kommt, ist für die Betheiligten zuweilen recht peinlich, wird aber schlie߬
lich zum guten Ende geführt. — Die Groteske und besonders das Vers¬
spiel gehören zur leichten Unterhaltungsdramatik; es sind effekt¬
volle, graziöse Theaterstücke ohne tieferen Gehalt. Leider haben
beide denselben Fehler, daß ein paar an sich originelle und frucht¬
bare Motive in allen möglichen Variationen allzu oft wiederholt
werden. Namentlich der letzte Einakter wirkt dadurch etwas er¬
müdend.& Gespielt wurde in allen drei Stücken recht gut. Den
größten Beifall hatte Kainz, der im „Grünen Kakadu“ den
Komödianten Heuri, im „Paracelsus“ die Titelrolle sehr effektvoll
gab. Daß die Wirkung in beiden Rollen eine mehr äußerliche
blieb, war nicht die Schuld des Künstlers. Neben Kainz verdient
Rudolf Rittner besondere Erwähnung, der mit dem Strolch
Grain im „Kakadu“ eine überaus ergötzliche, bis in die Finger¬
spitzen echte Gannergestalt geschaffen hat.—
M
A
Kleines Feuilleron.
J.S. (Berliner Theaterbrief.) Aus Berlin, 30. April,
schreibt man uns: Ein modernes „Schauspiel“, eine „Groteske“
aus der Zeit der französischen Revolution und ein „Versspiel“,
dessen Held der berühmte Wunderarzt des 16. Jahrhunderts,
Theophrastus Bombastus Paracelsus ist, brachte uns der gestrige
Premièrenabend des Deutschen Theaters. Der Verfasser der
drei Einakter ist der glückliche Wiener Dramatiker Arthur Schnitzler,
der bereits bei Beginn der Saison mit seinem Schauspiel „Das
Vermächtniß“ an derselben Stätte einen großen Erfolg gehabt hat.
Die Aufnahme, die man seinen neuesten Schöpfungen gestern
bereitete, war eine sehr freundliche; das zweite Stück, dessen Auf¬
führung unserer Polizei zuerst bedenklich erschienen war, fand sogar
sehr lebhaften Beifall. — Der Einakter „Die Gefährtin“ er¬
zählt uns die Geschichte einer verflossenen Ehe. Der ältliche Pro¬
fessor Pilgram hat ein um zwanzig Jahre jüngeres Weibchen zur
Frau genommen. Sie sind ein Jahr lang glücklich mit einander
gewesen, dann wurden sie sich fremd und fremder, und der
Gatte erkannte zu spät, daß sein junges Weib nur zur Ge¬
liebten, nicht aber zur Gefährtin geschaffen sei. Die Frau
Professorin knüpfte inzwischen mit dem jüngeren Freunde
und Assistenten Pilgrams, dem Dr. Hausmann, ein Verhältniß
an, das der philosophische Gatte stillschweigend duldete. Da, als
das Ehepaar sich gerade in der Sommerfrische befindet und der
Hausfrennd abwesend ist, stirbt plötzlich Frau Pilgram am Herz¬
schlage. Der Gatte ist von dem Todesfall nicht sonderlich er¬
schüttert, denn er empfindet keinen Verlust. Der Freund, so meint
er zarlfühlend, sei der eigentliche Leidtragende. Schonend und
taktvoll empfängt er am Beerdigungstage den verspätet Ein¬
treffenden und ist aufs höchste erstannt und befremdet, als Haus¬
mann ihm mittheilt, daß er sich soeben im Seebade verlobt habe.
Dies vermag der vorurtheilslose Witwer nicht zu verzeihen. Wärest
Du einst vor mich getreten und hättest Du mich gebeten, mein
Für 5(Weib freizugeben, weil Du es zu Deiner Gattin machen wolltest,
100so hätte ich Dir nicht gezürnt: jetzt aber hast Du sie zur#s#v
200Dirne gemacht, und deshalb jage ich Dich aus dem Hause !kto.
500Dagegen ließe sich manches einwenden, antwortet Hausmannllbar
., 1000und reist zur Verlobungsfeier ins Seebad zurück. — Die Voraus= Oraus.
setzungen, auf denen die Handlung sich aufbaut, und die Charaktere
ldes Dramas sind zu komplizirt, die nur angedeuteten Probleme ist das
bonnetzu interessant und zu fein, als daß die knappe Szeuenreihe einest es den
bonns Einakters ihnen gerecht werden könnte. Mancherlei Fäden werden
angesponnen und nicht zu Ende geführt. Das Wesen dieses Haus¬
freundes bleibt uns ein Buch mit sieben Siegeln, und die eigent¬
liche Hauptperson, die Frau Professorin, ist bereits begraben, als¬
der Vorhang aufgeht; was wir über sie erfahren, vermag unser
Interesse nur zu wecken, nicht zu befriedigen. So kam es, daß
der bedeutende Einakter, der die Keime zu einem tiefen psychologischen
Drama enthält, fast um als ein feines Stimmungsgemälde
wirkte. De
#n Erfolg des Abends hatte die Groteske
„Der grüne Lakadu“. die am Tage des Bastillensturms
er
zu Paris in der „Spelunke Prospere“ sich abspielt.
Wirth des ärmlichen Kellerlokals, ein ehemaliger Theater¬
direktor, ist auf die originelle Idee verfallen, seine Wirthschaft
#in Verbrecherkneipe zu machen. Er hat eine
zu einer küns
Anzahl Komöd####gt, die zur Unterhaltung der Besucher
die Rollen von Mördern, Taschendieben, Brandstiftern 2c. agiren.
Die Stammgäste der Spelunke sind Angehörige der vornehmsten
Gesellschaftsklasse: Chevaliers, Marquis, Herzöge gehen bei Prospère
ein und aus und werden von dem Wirth, der den revolutionären
Republikaner spielt, mit „Ihr Schweine“ angeredet. Der Witz des
Stückes besteht nun vor Allem darin, daß heiteres Komödienspiel
und grause Wirklichkeit sich allmählich mit einander vermischen,
daß die Personen auf der Szeue und die Zuschauer im Parquet
schließlich nicht mehr wissen, wo der bunte Scherz aufhört und der
blutige Ernst beginnt. So tritt ein wirklicher Mörder auf, der
die Geschichte seines Verbrechens erzählt und von den gelang¬
weilten Kavalieren für einen schlechten Komödianten, für einen An¬
fänger gehalten wird. Ein Mitglied von Prospères Truppe weiß
dagegen so meisterhaft zu schildern, wie er den Liebhaber seiner
Frau umgebracht habe, daß seine Kollegen an die Wahrheit
des Erzählten glauben. Dadurch erfährt aber der leidenschaft¬
liche Mime, daß seine Frau in der That einen Liebhaber hat,
und als dieser — es ist der Herzog von Cadignan — gerade
dazukommt, ersticht ihn der betrogene Ehemann. Die aristo¬
kratischen Spelunkengäste sehen, wie einer der Ihrigen an dem
Komödienspiel theilnimmt und wissen nicht mehr recht, woran sie
sind: da kommt die Nachricht von der Erstürmung der Bastille,
und nun macht auch der republikanische Wirth aus seiner Komödie
Ernst. Die Kavaliere fallen in die Hände des wüthenden Pöbels,
und mit einem Hoch auf die Freiheit schließt das Stück. — Der
letzte Einakter, das Versspiel „Paracelsus“ handelt von einer
verhängnißvollen Visite, die der berühmte Wunderdoktor in der
Familie eines Baseler Spießbürgers abstattet. Um dem Haus¬
herrn, der ihn unverhohlen einen Gaukler und Charlatan nennt,
eine Probe seiner Kunst zu geben, suggerirt er dessen trefflicher
Ehefrau in der Hypnose, daß sie den Tag über, bis Sonnenunter¬
gang, nur immer die Wahrheit sagen wolle. Was dabei heraus¬
kommt, ist für die Betheiligten zuweilen recht peinlich, wird aber schlie߬
lich zum guten Ende geführt. — Die Groteske und besonders das Vers¬
spiel gehören zur leichten Unterhaltungsdramatik; es sind effekt¬
volle, graziöse Theaterstücke ohne tieferen Gehalt. Leider haben
beide denselben Fehler, daß ein paar an sich originelle und frucht¬
bare Motive in allen möglichen Variationen allzu oft wiederholt
werden. Namentlich der letzte Einakter wirkt dadurch etwas er¬
müdend.& Gespielt wurde in allen drei Stücken recht gut. Den
größten Beifall hatte Kainz, der im „Grünen Kakadu“ den
Komödianten Heuri, im „Paracelsus“ die Titelrolle sehr effektvoll
gab. Daß die Wirkung in beiden Rollen eine mehr äußerliche
blieb, war nicht die Schuld des Künstlers. Neben Kainz verdient
Rudolf Rittner besondere Erwähnung, der mit dem Strolch
Grain im „Kakadu“ eine überaus ergötzliche, bis in die Finger¬
spitzen echte Gannergestalt geschaffen hat.—
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