II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 564

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9.4. DerBruendkadn ZUkIns
Von der Schnitzler-Première.
(Von unserem Berliner Bureau.)
— (Nachdruck verboten.)
Berlin, 30. April
Das war gestern im Deutschen Theater wieder einmal
eine Première von so erregtem Verlauf, als wenn wir noch mitten in
der Saison ständen. Drei Einacter von Arthur Schnitzler
wurden gegeben, darunter befand sich einer „Der grüne Kakadu“,
auf den das Interesse des Publikums schon seit Monaten gerichtet ist.
Die Censur hatte diese „Grotesque in einem Act“ ursprünglich verboten,
erst als das Stück im Wiener Hofburgtheater, ohne Schaden anzu¬
richten, in Scene gegangen war und es hier nun nochmals mit all den
zahlreichen, in Wien vorgenommenen Strichen der Censur vorgelegt
wurde, gestattete diese endlich die Aufführung. Dem verboten ge¬
wesenen Stücke galt gestern wohl ein gut Theil des jubelnden Beifalls
aber der Löwenantheil fiel doch uneingeschränkt dem Dichter zu, der
immer und immer wieder erscheinen mußte.
„Zum grünen Kakadu“ nennt sich eine Kellerspelunke zu Paris.
Es ist am Abend des 14. Juli 1789, der mit der Zerstörung der Bastille
rendet. Die vornehmste Welt giebt sich ein Stelldichein in dieser
Spelunke, deren Wirth ein früherer Schmierendirector ist und dessen
frühere Schauspieler hier eigenartige Komödie spielen. Sie erscheinen clusive
gewissermaßen als „künstlerische Verbrecher“ sie halten höchst aufrühre= Porto.
rische Reden und gar seltsam mischt sich Schein und Sein, Wahrheit sahlbar
und Lüge. Da sturmt Einer hinein, als wäre er von Polizisten ver¬ Voraus.
folgt und habe ein Haus in Brand gesteckt. Tod den Richtern! brülli# ist das
ein Anderer, Tod Allen, die eine Macht in Händen haben! An diesem scht es den
Spiel mit dem Feuer erfreut sich das vornehmste Publikum und die #n
Schänke „Zum grünen Kakadu“ ist ein glänzendes Geschäft. Die
jungen Adeligen zählen zu den regelmäßigen Gästen, ein stolzer Mar¬
quis bringt seine nach Abenteuern lüsterne Gattin mit, die brutalsten
Grobheiten des Wirthes ergötzen die jungen Herren nicht minder, als
die sehr ungenirten Zärtlichkeiten der kecken Schauspielerinnen. Wahrend
draußen sich eine Umwälzung aller Dinge zu vollziehen beginnt, hat
hier unten der nach Sensation begehrende, entnervie Adel den ange¬
nehmen Kitzel unter dom gefährlichen Gesindel von Paris zu sitzen und
doch völlig sicher zu sein. Starke Satire steckt darin, im Großen wie
im Kleinen, und ein wirklicher Zuchthäusler hat Mühe, den Anderen
klar zu machen, daß er nicht schauspielere und wirklich ganz ein Strolch
ist, nicht nur ein maskirter.
Die größte Sensation dieser Spelunke aber ist der Schauspieler
Henri, der größte Künstler dieser Truppe. Tags zuvor hatte er Leo¬
cadie geheirathet, eine kleine, virtuos treulose Schauspielerin. Heute
Abend nun spielt er einen ganz neuen Einfall. Er stellt dar, wie er
den Herzog von Cadignanertappt hat mit Leocadie und wie er den Herzog
eerstochen hat. Diese Seene Henris ergreif! Alle, kaum weiß man noch,
was Spiel, was Wahrheit und so hingerissen ist der Wirth, daß er
Henri zuruft: „Du hast recht gethan, ich weiß es, sie war längst seine
Geliebte! Entsetzt schreit Henri auf, er hat es nicht gewußt, es war ja
nur ein Spiel, der Herzog lebt. Da, während das Volk hinein jubelt,
daß die Bastille erstürmt sei, stürzt der Herzog herein, Henri springt
iuf ihn zu und stößt ihm den Dolch in den Hals und an der Leiche des
Herzogs erschallt immer wieder der Ruf des Volkes „Es lebe die
Freiheit!“
Das ist das Stück und die Künstler des Deutschen Theaters haben
is zu stärkster Wirkung gebracht. Voran standen Kainz und
Rittner. Von geringerer Bedeutung ist das Schauspiel „Die Ge¬
fährtin“ und das Versspiel „Paracelsus“. Letzteres ist ein
etwas ausgedehnter Scherz, der derbere Töne vertragen hätte, als
Schnitzer ihm in seinen schönen Versen giebt. Der Dichter schildert
hier, wie Paracelsus durch hypnotische Suggestion Regungen eines
Frauenherzens offenbart und schließlich selbst nicht mehr das Wahre
und Unwahre scheiden kann, so daß er klegt „ich bin ein Hexenmeister
nur, sie aber ist ein Weib“.
Die Composition zerflattert, erst die
Schlußverse schaffen wieder ein Ganzes: „Es fließen ineinander Traum
und Wachen, Wahrheit und Lüge — Sicherheit ist nirgends.“ Diese
Verse geben zugleich auch die Grundstimmung für alle drei Einacter,
von denen „Die Gefährtin“ der psychologisch tiefste ist. Eine Frau
„zur Geliebten geboren, nicht zur Gefährtin“ ist gestorben. Der viel
ältere Gatte weiß, daß er sie lange schon verloren, daß ein Jüngerer
ihre Liebe besessen hat, der nun durch den Tod der Geliebten mehr
verloren habe, als der Gatte. Und nun muß er erfahren, daß dieser
Jüngere seit einem Jahre eine Andere liebt, daß des Professors Gattin
das gewußt und daß sie doch dem Jüngeren sich hingegeben. Was der
Professor für unbezwingliche Liebe gehalten, war nur Dirnenthum. Und
er verläßt sein entweihtes Heim.