Nr. 18
Das Magazin für Litteratur.
1899
Oberfläche liegt, und läßt den Inhalt, der unter dieser
Musikalisches.
Oberfläche sich verbirgt, liegen. Was er bringt, kann
Am 17. März waren es sechzig Jahre, daß Joseph
sich immer nur dieses Inhalts wegen interessieren; aber
Joachim in Pest vor die Oeffentlichkeit getreten. Da¬
ffür diesen Inhalt selbst hat dieser Dichter kein Auge. Dieses
mals spielte der kleine „Pepi“ im Adels=Kasino
Gefühl habe ich bei seinem neuen Einaktercyklus in ganz
Pechatscheks „Variationen über Schuberts Trauer¬
besonderem Maße gehabt.
walzer“ und gemeinsam mit seinem Lehrer Serwaczynski
Das Schauspiel „die Gefahrtin“ führt einen Pro¬
ein Doppeltkonzert von Eck. Was seitdem Joseph
ffessor vor, der eben die Gattin verloren hat. Freunde
Joachim der Kunst geworden ist, was er ihr heute
tbezeugen ihre üblichen Mitgefühle. Eine Frau erscheint,
noch bedeutet, wissen wir alle. Und so hat man eine
die Briefe fordert aus dem Nachlaß der Verstorbenen.
schöne Gelegenheit, einen Meister zu feiern, nicht
Was in diesen Briefen steht, soll für den Professor
vorübergehen lassen wollen. In den Räumen der
eheimnis bleiben. Er glaubt aber längst zu wissen,
Philharmonie fanden sich am Sonnabend (22. April)
wovon diese Briefe zeugen. Die verstorbene Gattin
die Spitzen der Berliner Gesellschaft zusammen. Auf wär die Geliebte seines Assistenten. Er hat sich mit
dem Podium saß ein Orchester, dessen arößter#
Wieser rtsache abgesunden. h
—hittern Jbachiuls gebildet wurde. Es war, als
schienen, duß er mit der um zwanzig Jahre jüngeren
huldigte eine Familie ihrem verehrten Oberhaupt. Um
Frau nur ein kurzes Glück genießen könne. Sie war
½7 erschien Joachim, begrüßt von schmetternden Fan¬
zur Geliebten, nicht zur Gefährtin, wie er einer be¬
faren, die Herr Professor Roßberg in Uniform komman¬
durft hätte, geschaffen. Beide gingen, nach seiner An¬
dierte. Auf einem mit Blumen geschmückten Sessel
sicht, ihre Wege neben einander. Als aber der Assistent
nahm der Jubilar Platz. Rosa Poppe sprach einen
nach dem Begräbnisse im Hause des Professors erscheint,
schlichten Prolog Herman Grimms, an dessen
da zeigt sich, daß die Wahrheit noch eine ganz andere
letzte Zeilen der feurige Vortrag von Weber
ist,
als der Gatte geahnt hat. Dieser Assistent hat
Euryanthe“=Ouvertüre sich anschloß. An diesem
schon zwei Jahre lang ein anderes Weib geliebt, und
Tage gab Herr Generalmusikdirektor Fritz Stein¬
längst zu seiner Gat in bestimmt. Er hat also die Ver¬
bach sein bestes. Herr Petri spielte Joachims „Varia¬
storbene nicht als seine Geliebte, nein, als seine Dirne
tionen" für Violine und Orchester mit untadeliger
behandelt. In ein Liebesverhältnis der Beiden hätte
Technik; nach ihm das Orchester unter Steinbach
sich der Professor gefügt, denn das erschien ihm
Schumanns „Ouvertüre zu „Genoveva, die zum
natürlich. Er hätte die Frau sogar frei gegeben, wenn
„Sommernachtstraum“ und den letzten Satz aus
die Liebenden den Mut gefunden hätten, das zu ver¬
Brahms C-moll-Symphonie. Nr. 6 des Programms
langen. Was sich nun aber enthüllt, erfüllt ihn mit
war frei geblieben. Drei Sternchen ließen etwas be¬
Ekel; und er weist dem Niedrig=Gesinnten die Thüre.
sonderes ahnen. Während die Anfangstakte von
Aus Gesprächen zwischen dem Professor, der Freundin
Beethovens Violinkonzert erklangen, schritten auf Joachim
der Verstorbenen und dem Assistenten erfahren wir
auserwählte Jungfrauen zu und überreichten ihm die
alles, was sich im Laufe vieler Jahre abgespielt hat.
Geige. Der Jubilar verstand sofort den Sinn dieser
Diese Gespräche bilden nur den Schluß einer länger
symbolischen Handlung, sträubte sich zwar ein Weilchen,
andauernden Reihe von Tatsachen. Die Freundin
stieg endlich aber doch aufs Podium und begann nach
meint, daß eben dadurch, daß der Professor die volle
einer kleinen Rede, die auf seine wund geklatschten
Wahrheit erfahren habe, er nun seinen Frieden wieder ge¬
Hände hinwies und bemerkte, daß hier Leute säßen,
winnen könne. Er wisse nun, wie wenig er die Frau
die es ebenso gut machten. Das war natürlich nur
besessen habe, die eben gestorben ist. Er leide nun, da
eine kleine Schmeichelei. Nachher zeigie er diesen
sie dahingegangen, nicht mehr unter dem Druck einer
Leuten, daß ihnen der Meister doch über ist. Joachim
unnatürlichen Ehe und er brauche auch den Tod des
spielte, nachdem er eine anfängliche Unsicherheit schnell
Weibes nicht zu betrauern, die ihm immer fremb war,
überwunden, herrlich wie nur je, eben, wie man es
die nur zufällig in diesem Hause gestorben ist. Was
seit Jahren von ihm gewohnt ist. Ein ungeheurer
aber vor diesem Schluß liegt, ist, nach dem was wir
Jubel erhob sich am Schluß des Konzertes. Joachim
erfahren, durchaus nicht dramatisch. Jahrelang hinter¬
aber war jetzt in Stimmung. Und er leitete dann
geht eine Frau ihren Mann mit einem Andern. Sie
noch ohne Fürbitte weißgekleideter Jungfrauen Bachs
weiß zuletzt sogar, daß der Andere mit einer Anderen
G-dur-Konzert für 3 Violinen, 3 Violen, 3 Violoncelle
sich zu verbinden gedenkt. Der Professor ahnt etwas,
und Basso continno. Ein Bankett, an dem tausend
tut aber nichts.
Und der Verführer lebt das
Personen teilgenommen haben sollen, sorgte nach so¬
Leben, das ihn tiefer berührt, außer dem Schauplatze
viel geistigen Genüssen in würdiger Weise auch für
der Handlung. So stimmungsvoll auch Schnitzler die
des Leibes Wohl.
E. U.
Gespräche zu gestalten weiß: ergreifend ist nichts. Das
Ganze läßt gleichgiltig, weil den Tatsachen keine Seelen¬
vorgänge zu Grunde liegen, die allein ein tieferes
Interesse hervorrufen könnten
*
Noch weniger Eindruck konnte auf mich der zwe¬
Einakter „Der grüne Kakadu“nchen. In einer
Pariser Spelunke, zur Zeit der Revolution, versammeln
Deutsches Theater.
sich allabendlich heruntergekommene Schauspieler und
sensationslüsterne Adelige. An dem Abend, der uns
(A. Schnitzler: Die Gefährtin, der grüne Nakedu, Paracelsus.)
vorgeführt wird, wird die Bastille erstürmt. Die Ex¬
Arthur Schnitzler hat mit allen seinen Schöpfungen
Komödianten führen mit schlimmstem Pathos Verbrecher¬
in mir ein gleiches Gefühl erweckt: er schält aus den Vor¬
stenen vor, und die Adeligen bekommen dabei das
gängen des Lebens fein säuberlich alles ab, was an der
Gruseln. Henri, einer der Schauspieler, hat sich
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Das Magazin für Litteratur.
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Oberfläche liegt, und läßt den Inhalt, der unter dieser
Musikalisches.
Oberfläche sich verbirgt, liegen. Was er bringt, kann
Am 17. März waren es sechzig Jahre, daß Joseph
sich immer nur dieses Inhalts wegen interessieren; aber
Joachim in Pest vor die Oeffentlichkeit getreten. Da¬
ffür diesen Inhalt selbst hat dieser Dichter kein Auge. Dieses
mals spielte der kleine „Pepi“ im Adels=Kasino
Gefühl habe ich bei seinem neuen Einaktercyklus in ganz
Pechatscheks „Variationen über Schuberts Trauer¬
besonderem Maße gehabt.
walzer“ und gemeinsam mit seinem Lehrer Serwaczynski
Das Schauspiel „die Gefahrtin“ führt einen Pro¬
ein Doppeltkonzert von Eck. Was seitdem Joseph
ffessor vor, der eben die Gattin verloren hat. Freunde
Joachim der Kunst geworden ist, was er ihr heute
tbezeugen ihre üblichen Mitgefühle. Eine Frau erscheint,
noch bedeutet, wissen wir alle. Und so hat man eine
die Briefe fordert aus dem Nachlaß der Verstorbenen.
schöne Gelegenheit, einen Meister zu feiern, nicht
Was in diesen Briefen steht, soll für den Professor
vorübergehen lassen wollen. In den Räumen der
eheimnis bleiben. Er glaubt aber längst zu wissen,
Philharmonie fanden sich am Sonnabend (22. April)
wovon diese Briefe zeugen. Die verstorbene Gattin
die Spitzen der Berliner Gesellschaft zusammen. Auf wär die Geliebte seines Assistenten. Er hat sich mit
dem Podium saß ein Orchester, dessen arößter#
Wieser rtsache abgesunden. h
—hittern Jbachiuls gebildet wurde. Es war, als
schienen, duß er mit der um zwanzig Jahre jüngeren
huldigte eine Familie ihrem verehrten Oberhaupt. Um
Frau nur ein kurzes Glück genießen könne. Sie war
½7 erschien Joachim, begrüßt von schmetternden Fan¬
zur Geliebten, nicht zur Gefährtin, wie er einer be¬
faren, die Herr Professor Roßberg in Uniform komman¬
durft hätte, geschaffen. Beide gingen, nach seiner An¬
dierte. Auf einem mit Blumen geschmückten Sessel
sicht, ihre Wege neben einander. Als aber der Assistent
nahm der Jubilar Platz. Rosa Poppe sprach einen
nach dem Begräbnisse im Hause des Professors erscheint,
schlichten Prolog Herman Grimms, an dessen
da zeigt sich, daß die Wahrheit noch eine ganz andere
letzte Zeilen der feurige Vortrag von Weber
ist,
als der Gatte geahnt hat. Dieser Assistent hat
Euryanthe“=Ouvertüre sich anschloß. An diesem
schon zwei Jahre lang ein anderes Weib geliebt, und
Tage gab Herr Generalmusikdirektor Fritz Stein¬
längst zu seiner Gat in bestimmt. Er hat also die Ver¬
bach sein bestes. Herr Petri spielte Joachims „Varia¬
storbene nicht als seine Geliebte, nein, als seine Dirne
tionen" für Violine und Orchester mit untadeliger
behandelt. In ein Liebesverhältnis der Beiden hätte
Technik; nach ihm das Orchester unter Steinbach
sich der Professor gefügt, denn das erschien ihm
Schumanns „Ouvertüre zu „Genoveva, die zum
natürlich. Er hätte die Frau sogar frei gegeben, wenn
„Sommernachtstraum“ und den letzten Satz aus
die Liebenden den Mut gefunden hätten, das zu ver¬
Brahms C-moll-Symphonie. Nr. 6 des Programms
langen. Was sich nun aber enthüllt, erfüllt ihn mit
war frei geblieben. Drei Sternchen ließen etwas be¬
Ekel; und er weist dem Niedrig=Gesinnten die Thüre.
sonderes ahnen. Während die Anfangstakte von
Aus Gesprächen zwischen dem Professor, der Freundin
Beethovens Violinkonzert erklangen, schritten auf Joachim
der Verstorbenen und dem Assistenten erfahren wir
auserwählte Jungfrauen zu und überreichten ihm die
alles, was sich im Laufe vieler Jahre abgespielt hat.
Geige. Der Jubilar verstand sofort den Sinn dieser
Diese Gespräche bilden nur den Schluß einer länger
symbolischen Handlung, sträubte sich zwar ein Weilchen,
andauernden Reihe von Tatsachen. Die Freundin
stieg endlich aber doch aufs Podium und begann nach
meint, daß eben dadurch, daß der Professor die volle
einer kleinen Rede, die auf seine wund geklatschten
Wahrheit erfahren habe, er nun seinen Frieden wieder ge¬
Hände hinwies und bemerkte, daß hier Leute säßen,
winnen könne. Er wisse nun, wie wenig er die Frau
die es ebenso gut machten. Das war natürlich nur
besessen habe, die eben gestorben ist. Er leide nun, da
eine kleine Schmeichelei. Nachher zeigie er diesen
sie dahingegangen, nicht mehr unter dem Druck einer
Leuten, daß ihnen der Meister doch über ist. Joachim
unnatürlichen Ehe und er brauche auch den Tod des
spielte, nachdem er eine anfängliche Unsicherheit schnell
Weibes nicht zu betrauern, die ihm immer fremb war,
überwunden, herrlich wie nur je, eben, wie man es
die nur zufällig in diesem Hause gestorben ist. Was
seit Jahren von ihm gewohnt ist. Ein ungeheurer
aber vor diesem Schluß liegt, ist, nach dem was wir
Jubel erhob sich am Schluß des Konzertes. Joachim
erfahren, durchaus nicht dramatisch. Jahrelang hinter¬
aber war jetzt in Stimmung. Und er leitete dann
geht eine Frau ihren Mann mit einem Andern. Sie
noch ohne Fürbitte weißgekleideter Jungfrauen Bachs
weiß zuletzt sogar, daß der Andere mit einer Anderen
G-dur-Konzert für 3 Violinen, 3 Violen, 3 Violoncelle
sich zu verbinden gedenkt. Der Professor ahnt etwas,
und Basso continno. Ein Bankett, an dem tausend
tut aber nichts.
Und der Verführer lebt das
Personen teilgenommen haben sollen, sorgte nach so¬
Leben, das ihn tiefer berührt, außer dem Schauplatze
viel geistigen Genüssen in würdiger Weise auch für
der Handlung. So stimmungsvoll auch Schnitzler die
des Leibes Wohl.
E. U.
Gespräche zu gestalten weiß: ergreifend ist nichts. Das
Ganze läßt gleichgiltig, weil den Tatsachen keine Seelen¬
vorgänge zu Grunde liegen, die allein ein tieferes
Interesse hervorrufen könnten
*
Noch weniger Eindruck konnte auf mich der zwe¬
Einakter „Der grüne Kakadu“nchen. In einer
Pariser Spelunke, zur Zeit der Revolution, versammeln
Deutsches Theater.
sich allabendlich heruntergekommene Schauspieler und
sensationslüsterne Adelige. An dem Abend, der uns
(A. Schnitzler: Die Gefährtin, der grüne Nakedu, Paracelsus.)
vorgeführt wird, wird die Bastille erstürmt. Die Ex¬
Arthur Schnitzler hat mit allen seinen Schöpfungen
Komödianten führen mit schlimmstem Pathos Verbrecher¬
in mir ein gleiches Gefühl erweckt: er schält aus den Vor¬
stenen vor, und die Adeligen bekommen dabei das
gängen des Lebens fein säuberlich alles ab, was an der
Gruseln. Henri, einer der Schauspieler, hat sich
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