II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 600

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schwollenen und gekünstelten Prosa, die den grotesken Ein¬
druck des Ganzen noch erhöhte.
Mar Halbe, der mit seiner historischen Renaissance¬
tragödie „Der Eroberer“ noch ärgeren Schiffbruch erlitten
hatte, suchte die Schlappe durch ein modernes Berliner
Schauspiel, „Die Heimatlosen“, wieder auszuwetzen. In
die Pension Beaulien, wo allerlei zerbrochene Eristenzen
sich ein Stelldichein geben, schneit Lottchen, das Gänslein
vom Lande, hinein. Sie ist der Mutter fortgelaufen, weil
sie den ihr aufgedrungenen Bräutigam nicht mag, und
rennt nun dem berühmten Muskelprotz, einem sehr nahen
Verwandten des Sudermannschen Junkers Röcknitz, in die
Arme. Der Uebermensch amüsiert sich acht Wochen lang
mit ihr, dann treibt es ihn zu neuen Lovelacethaten, und
Lottchen zückt in ihrer Verzweiflung den Dolch gegen ihn.
Aber ein Blitz aus den Augen der blonden Bestie ent¬
waffnet sie, und nun bleibt ihr nichts übrig, als zu
sterben. Halbe verdankt den Stoff augenscheinlich dem
lokalez. Teil der hauptstädtischen Presse, die vor zwei oder
drei Jahren einen ähnlichen „Fall“ mit liebevoll breiter
Ausführlichkeit behandelte. Aus poetischen Gründen
hatte er jedoh den Vorgang, der sich damals zwischen
einem unreisen Menschen und einer Klavierlehrerin mit
reichlichem Vorleben abspielte, in höhere Sphäten über¬
tragen, ohne zu bedenken, daß er dadurch allein nicht zu
tragischer Wirkung gelangt. Sein Lottchen, das als Gaus
von der Weichsel hergeflogen kam, bleibt auch in Berlin
ein Gickgack. Wer wie sie mit offenen Augen ins Ver¬
derben rennt, der verscherzt jeden Anspruch auf unser Mit¬
leid, und sein Schicksal geht uns nicht nahe. Lottchens
Selbstmord in fünf Akten berührt uns so viel oder so
wenig wie jener Gerichtsfall, und alle Romantik, die daran
herumbaumelt, ja sogar die hübsch erdachten Episoden aus
dem Berliner Zigennerleben verleihen dem Bilde keine
frischeren Farben. Es ist bedauerlich, daß Halbe auch mit
dieser Arbeit unterwegs liegen blieb, um so bedauerlicher,
als man ihr den kuirschenden Fleiß des Dichters anmerkt,
sein angstvolles Bemühen, durch forsches Draufgängertum
und verwegenes Spiel mit derben Bühneneffekten den halb
verlorenen Anschluß an die Mitstrebenden wieder zu er¬
In schrillem Gegensatz zu Halbes ehrlichem und ernstem
Ringen, das Sympathie für den Dichter selbst dann noch
auslöst, wenn er sein Ziel nicht erreichte, steht die immer
salopper werdende Arbeitsweise des jungen Georg Hirsch¬
feld. Man hat dem Unerfahrenen, den die Clique mit
allzu lauten Posannenstößen auf den Schild erhob, glücklich
eingeredet, daß jeder leicht hingeworsene Dialog von so
und so vielen Seiten Umfang ein dramatischer Alt,
jede dreiste Bemerkung ein wirksamer Aktschluß sei, und
jetzt schafft Herr Hirschfeld unentwegt nach diesem Rezepte.
Der junge Moderne, von dem man vor vier Jahren noch
nicht wußte, zu welcher Schule er gehörte, da er damals
gerade von der Schule abgegangen war, hat seine nähere
Umgebung scharf beobachtet und diese allerdings wenig
schmeichelhaften Beobachtungen in den „Müttern“, besonders
aber in dem peinlich lebenswahren Einakter „Zu Hause“ gut
wiederzugeben verstanden. Sobald er sich indes über den
allerengsten Kreis hinauswagt, versagt er vollkommen.
Seine „Pauline“ sollte, wie wir vorher in den Zeitungs¬
blättern lasen, die erste echte Berliner Komödie darstellen;
nachher ergab sich, daß auf alle vier Akte ein einziger Witz
kam, und den hatte leider bereits der Theaterzettel vor¬
weggenommen: er erzählt uns von vier „Liebhabern der
Pauline". Es verlohnt sich nicht der Mühe, auf die
Hudelei näher einzugehen. Die beispiellose Unsauberkeit der
Hirschfeldschen Technik — man verzeihe dies Wort, das
hier zur Ironie wird — erhellt unter anderm daraus,
daß seine Heldin des versöhnlichen Schlusses halber im
setzten Akte jählings ein sentimentales Geschöpf wird, neth
hindurch den derben,
isüiite.
rüchlosen
die die Scene
ndtung nur vier oder
sind für
alle andern tauchen ebenso unvermittelt auf,
Mhif üölig:
## sie unvermittelt für immer wieder verschwinden. In
jedem Akte werden neue Fäden angesponnen und so um¬
ständlich schwerfällig entwickelt, daß man sie von höchster
Bedeutung für die Struktur des Werkes glaubt; gleich
darauf läßt der Verfasser sie achtlos fallen. Nichtsdesto¬
weniger fand das Monstrum bei der Erstaufführung im
Deutschen Theater den an dieser Stätte üblichen jauchzenden
und einhelligen Beifall. Freilich scheint die Begeisterungs¬
und Opferfähigkeit der Anhänger Hirschfelds nicht so weit
gegangen zu sein, daß sie sich sein Stück wenigstens noch
einmal ausahen; schon bei der ersten Wiederholung war
es einsam im Häuse.
Max Dreyer hat rasch Verzicht geleistet auf den Ruhm,
zu den Jüngsten und Allernensten zu gehören, die sich
grenzenlos erdreusten. Mit Fleiß und Ausdauer eine ge¬
achtete und beliebte Engrosfirma für fröhliche Theaterstücke
a n

Sein neues Schauspiel „Hans“ zeigt wieder echt Dreyersche
Häusung von Widerwärtigkeiten! Auf einen helleren,
Prägung. Auf einer stillen Nordsee=Insel liegt Haus, das
reineren Ton gestimmt, geistreicher in Entwurf und Aus¬
männlich tüchtige und gediegene Professorentöchterlein, mit
führung, steht der „Grüne Kaladn“ hoch über diesen Arm¬
dem verehrten Herrn Papa biologischen Forschungen ob.
seligkeiten. Freilich kommt, wer den Dichter hören will,
Es geht schweigsam und streng her in dem einsamen Ge¬
auch hier nicht auf seine Rechnung; solchen Ansprüchen
lehrtenhause, auch die paur Freunde und Familiengenossen
vermag Schnitzler überhaupt kaum zu genügen. Dafür
ändern nichts daran. Da bringt Anna Berndt, Hansens
ergötzt ein hübsch ersonnenes, mit nicht alltäglichem Wage¬
Jugendfreundin, neue, ungewohnte Klänge in das pedautisch
mut hingestrichenes, farbenbuntes Gemälde, und durch die
gediegene Arbeitsleben dieser Menschen. Der unwidersteh¬
merkwürdigen Beziehungen, die das Märchenspiel zur Wirk¬
liche Zauber weicher Weiblichkeit, den sie erwärmend aus¬
lichkeit unterhält, durch seinen reizvoll pikanten Doppelsinn
strahlt, berückt die Herzen der Herren, vom Großvater
packt es just den nachdenklichen Zuschauer. In einer jener
angefangen, der ihr seine schönsten, geizig gehüteten Georginen
fin de siécle-Kneipen, die Montmartre von heute zu
spendet, bis hinauf zum Professor selbst. Feindselig setzt
Dutzenden beherbergt, die aber das Paris der großen Re¬
Hans sich zur Wehr gegen den schönen Eindringling, der
volution zuversichtlich nicht gekannt hat, amüsiert sich ver¬
den vergötterten Vater völlig umstrickt. Es gelingt ihr,
lotterter Adel über die blutrünstigen Clowurenommistereien
hinter das Geheimnis Annas zu kommen, dasselbe Ge¬
einer genialischen Schauspielerbande. Die Komödianten
heimnis, dem sie ihren vornehmsten Reiz, die süße, fromme,
rühmen sich furchtbarer Verbrechen, die sie begangen haben
frauliche Melancholie ihres Wesens verdankt. Anna trauert
wollen, und stellen die angeblichen Schreckensthaten bis
nämlich um ihr verstorbenes Kind. Den verräterischen
aufs t genau dar. Ihr Häuptling, der Gatte der schönen
Vater hat die Betrogee längst aus dem Herzen gerissen,
Léocadie, schildert mit entsetzlicher Anschaulichkeit, wie er
aber das süße Klein kann sie nicht vergessen. Daß
in der Raserei der Leidenschaft einen jungen Herzog nieder¬
nach dieser Enthüllung an eine Verbindung des Professors
stieß, der ihm sein Weib verführt hat. Jubelnder Applaus
mit Anna nicht mehr gedacht werden darf, macht Hans der
lohnt die wilde Aufschneiderei — da erfährt Heuri, daß
Dulderin unumwunden klar. Fräulein Anna sieht es auch
Léocadie ihn wirklich mit dem gezierten Bengel hinterging,
seufzend ein. Sie erklärt, nicht zwischen Vater und Tochter
und als der ahnungslose Herzog nun vergnügt die Kneipe
treten zu wollen, spricht von Opfern und ähnlichen tragi¬
betritt, fällt er dem Rächerstahl des Eifersüchtigen. Mit
schen Sachen und macht sich reisefertig. Da will es das
einem Schlage ist grause Wahrheit aus dem tollen Spiel
gütige Geschick (Herrn Dreyers Bühnengeschick), daß un¬
geworden. Hingerissen von der neuen, unerhörten Sen¬
erwartet die Liebe auch an dem harten Haus ihre be¬
sation, die Heuri ihnet geboten hat, heulen die vornehmen
zwingende Macht erprobt. Und weil eine Glückliche gern
Gäste vor Vergnügen auf, und gleichzeitig braust von der
andre Glückliche macht, so verzeiht sie der Märtyrerin
Straße her das Triumphgeschrei des Pöbels in die Halle, der
Anna. Zwei Verlobungen krönen das Werk; Ende gut,
eben die Bastille gestürmt hat. So endet mit rasch auf¬
alles gut. Was wie ein ernstes Schauspiel begann, schließt
einanderfolgenden, wuchtig gesteigerten Effekten das selt¬
als flottes Lustspiel, und wenn die beiden Stücke auch
same Virtnosenstück, das so wenig naiv wie möglich, so
schlecht zu einander passen, so passen sie doch einzeln dem
ganz und gar ein Erzeugnis raffinierter Verstandesthätigkeit
Publikum um so besser. Den seineren Reiz der Arbeit
ist und dennoch unmittelbar auf die Nerven fällt.
macht, wie bei andern Schöpfungen Dreyers, das prächtig
Wenn sich schon die Gaben der privilegierten Theater¬
gelungene Lokalkolorit aus. Ebbe und Flut der Nordsee
männer im verflossenen Vierteljahr zumeist als Spreu er¬
hauchen ihren salzigen Odem in die Scene, und die treue
wiesen, wie durfte man dann Weizen von den Outsidern
Schilderung des Gelehrtenheims macht alle Mängel oder
erwarten? Der Kehraus hat sie und ihre Darbietungen
doch den mangelnden Reichtum der Charakteristik vergessen.
dereits wieder beiseite gesegt, und wir trauern einer langen
Wenn Dreyer sich seit seinen Erstlingsdramen immer
Reihe verlorener Abende nach. Die Wienerin A. Baum¬
weiter von den Grundsätzen des „konsequenten Naturalis¬
berg versuchte in ihrer „Liebesheirat“ ein Kompromiß zwischen
mus“ entfernt hat und ihm nur noch die notdürftigsten
Ibsen und dem Fräulein Marlitt zu schließen: selten ist
* Verbeugungen macht, so klammert sich der noch nicht zur
die niederdrückende Jämmerlichkeit eines auf nichts gestellten
Anerkennung gelangte Nichwuchs um so fester daran. Be¬
Ehelebens so unbarmherzig naturgetren in den Details ge¬
sonders in Wien ist des der Fall, der Stadt, die erst spät
schildert und seiten die strahlende Seelenschönheit einer
zu realistischer Kunstberhätigung erwachte und wo er des¬
gemarterten Frau so grell mit der leichtfertigen Büberei
halb zurzeit noch als letzte Mode gilt. Ein Wiener
ihres Mannes kontrastiert worden. Ein bübischer Schurke
Namensvetter des Berliner Hirschfeld, Leo heißt der Hoff¬
und ein unendlich guter Kerl ringen auch in Hans von Wentzels
nungsvolle, hat unter dem Titel „Lumpen“ eine Para¬
„Rosa Riedel“ um die Hand besagter Rosa. Sie neigte
ohrase von Wolzogens zu Unrecht vernachlässigtem „Lumpen¬
sich erst dem Schurken zu, und zwar in solchem Maße,
gesindel“ in die Welt flattern lassen. In der Komödie
daß thatsächlich ein sehr guter Kerl dazu gehörte, sie später
giebt es eine unausstehlich langweilige Figur: das ist ver¬
aus der Hand des Erbärmlichen entgegenzunehmen, der es
drießlicherweise der Held. Wir lernen in ihm zum Xeten
nur auf ihre stattliche Mitgift abgesehen hatte. Wenn der
Male den bewußten jungen Dichter kennen, der einen durch¬
glückliche Franz jedoch beide Augen zudrückt, warum sollen
schlagenden Erfolg dadurch erringt, daß er seine Ideale
wir's dann nicht auch? Spuren von Talent zeigt diese
verrät, sein Werk den Philistern zuliebe verstümmelt. So¬
Arbeit so gut wie Ernst Prunges düsterer „Kain“, das
bald ihm das Geld im Kasten klingt, bricht er mit der
aufregende Drama vom Brudermörder, der sich mit Abels
fidelen Vergangenheit, mit den Kameraden, die Entbehrung
Dichterruhm schmücken will. Die schaurige That geschah
und Leid mit ihm geteilt, mit der kleinen Schauspielerin.
umsonst, Kain bricht unter Gewissensbissen zusammen.
deren klugem Rat er sein Glück verdankt, und festigt die
Einem Teil des Publikums waren die Schlußscenen zu
neuerworbene Stellung durch eine gute Partie. Leo Hirschfeld
grauenvoll; man schrie und zischte wütend in sie hinein.
hat Witz, und der erste Akt, der im bekannten Café Griensteidl
Am Berliner Theater, dem das unverschuldete und un¬
der Wiener Stadt spielt, im dunstigen Hauptquartier der
verdiente Unglück mit „Kain“ begegnete, kam es auch sonst
Bohôme, verrät eine nicht gewöhnliche Fixigkeit der Mache.
zu allerhand bald linden, bald heftigen Durchsällen. Da
Indessen ordnet der Autor seinen Dinl#chlagern ohne Be¬
zeigte man uns ein Schauspiel „Vicky“ von Fuchs=Talab,
denken die gesamte Scenenführung un### seine Spaßchen
das erbaulich die Macht der Mutterliebe über sündige Ge¬
zünden am Ende nicht mehr, da er #ie zu deutlich erkenn¬
lüste demonstriert und eine durchgegangene Frau an das
har und umständlich vorbereitet, und das Undramatische
Krankenbett ihres Kindes, in die Arme des mild verzeihen¬
des Stoffes führt die Ernüchterung schon vor statt nach
den Gatten zurückführt — o, diese nachsichtigen Kulissen¬
dem ietzten Fallen der Cardine herbei.
gatten von heute! Ferner lernten unsre Damen aus dem
Der Entdecker der Wiener Schule, ihr Aesthetiker und
„Recht auf sich selbst“ des jugendlichen Fürsten Wrede,
Protektor, Hermann Bahr, scheiterte mit seinem Schanspiel
daß es nicht gut ist, wenn eine Frau ihrem Manne er¬
„Josefine", das Sardon parodieren oder übertrumpfen sollte,
littene Vorstrafen verheimlicht. Im vorliegenden Falle
an der Berliner Zensur. Glücklicher war sein Landsmann
ging die Sache ja leidlich aus, denn erstens hatte Madame
Arthur Schnitzler, dessen „Grüner Kakadn“ nach einigem
unschuldig im Kerker gesessen, und zweitens faßte den Ge¬
Hill und Her passieren durfte. Von den drei Einaktern
mahl am Ende gewaltige Rene — wie aber, wenn er die
Schnitzlers, die das Deutsche Theater als Kehranspremiere
selbstmordlustige Geliebte bereits als Leiche vorgesunden
gab, ist nür diese „Groteske“ beuchtenswert. Ein Vers¬
hätte? Neben den Tragödien ließ die fleißige Bühne in
spiel „Paracelsus“ tändelt mit Hypnose und Ehebruch und
der Charlottenstraße es an munteren Possen nicht sehlen,
giebt sich den Anschein des Tiefsinnigen. Doch der Schein
leider verunglückten alle drei, von denen heute zu berichten
trügt. Verfehlter noch ist die offenbar ernst gemeinte
ist: Brociners und Engels „Neue Richtung“, sowie Fedor
Studie „Die Gefährtin“. Kurz nach dem Tode seiner
von Zobeltitz' „Tam=Tam“ und Hennequin=Valabrégues
Gattin erfährt ein wackerer Ehemann, was er schon längst
„Platz den Frauen!“ Die beiden erstgenannten Schwänke
ahnte und was bei Schnitzler selbstverständlich ist: daß die
beschäftigen sich mit den unterschiedlichen Schwächen der
Dame ihn aufs ausdauerndste betrogen hat. Er tröstet
Moderne in Kunst, Wissenschaft und Litteratur, während
sich damit, daß der Hausfreund und die Hausfrau einander
die Franzosen die Emanzipationsbestrebungen der Frauen
wenigstens in slammender Liebe zugethau waren, muß aber
sozusagen geißeln. Schade um die vortreffliche Gesinnung
schließlich auch diesen Irrtum schaudernd erkennen. Des
Hausfreundes wirkliche Neigung galt längst einer andern, der der Antoren! Nach ihren Witzen zu urteilen, thun sie