II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 599

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sein. Daß sie zur Strafe in Wahnsinn verfällt, daß ihr!
Bruder sich angeekelt abwendet von den Dresdener Ränke¬
spinnern und sein verpfuschtes Leben durch einen Pistolen¬
schuß endet, nachdem er vorher dem großen König über
die tückische Staatskunst Sachsens die Augen geöffnet hat,
kann nach alledem gar nicht ausbleiben. Vielleicht hätte
Wildenbruchs jambische Verssprache die Roheiten und Un¬
möglichkeiten der Handlung gemildert und verschleiert; statt
ihrer bedient er sich diesmal jedoch einer unnatürlich ge¬
schwollenen und gekünstelten Prosa, die den grotesken Ein¬
druck des Ganzen noch erhöhte.
Max Halbe, der mit seiner historischen Renaissance¬
tragödie „Der Eroberer“ noch ärgeren Schiffbruch erlitten
hatte, suchte die Schlappe durch ein modernes Berliner
Schauspiel, „Die Heimatlosen“, wieder auszuwetzen. In
die Pension Beaulien, wo allerlei zerbrochene Existenzen
sich ein Stelldichein geben, schneit Lottchen, das Gänslein
vom Lande, hinein. Sie ist der Mutter fortgelaufen, weil
sie den ihr aufgedrungenen Bräutigam nicht mag, und
rennt nun dem berühmten Muskelprotz, einem sehr nahen
Verwandten des Sudermannschen Junkers Röcknitz, in die
Arme. Der Uebermensch amüsiert sich acht Wochen lang
mit ihr, dann treibt es ihn zu neuen Lovelacethaten, und
Lottchen zückt in ihrer Verzweiflung den Dolch gegen ihn.
Aber ein Blitz aus den Augen der blonden Bestie ent¬
waffnet sie, und nun bleibt ihr nichts übrig, als zu
sterben. Halbe verdankt den Stoff augenscheinlich dem
lokalen Teil der hauptstädtischen Presse, die vor zwei oder
drei Jahren einen ähnlichen „Fall“ mit liebevoll breiter
Ausführlichkeit behandelte. Aus poetischen Gründen
hatte er jedoch den Vorgang, der sich damals zwischen
einem unreisen Menschen und einer Klavierlehrerin mit
reichlichem Vorleben abspielte, in höhere Sphären über¬
tragen, ohne zu bedenken, daß er dadurch allein nicht zu
tragischer Wirkung gelangt. Sein Lottchen, das als Gaus
von der Weichsel hergeflogen kam, bleibt auch in Berlin
ein Gickgack. Wer wie sie mit offenen Augen ins Ver¬
derben rennt, der verscherzt jeden Anspruch auf unser Mit¬
leid, und sein Schicksal geht uns nicht nahe. Lottchens
Selbstmord in fünf Akten berührt uns so viel oder so
wenig wie jener Gerichtsfall, und alle Romantik, die daran
herumbaumelt, ja sogar die hübsch erdachten Episoden aus
dem Berliner Zizennerleben verleihen dem Bilde keine
frischeren Farben. Es ist bedauerlich, daß Halbe auch mit
dieser Arbeit unterwegs liegen blieb, um so bedauerlicher,
als man ihr den kuirschenden Fleiß des Dichters anmerlt,
sein angstvolles Bemühen, durch forsches Draufgängertum
und verwegenes Spiel mit derben Bühneneffekten den halb
verlorenen Anschluß an die Mitstrebenden wieder zu er¬
reichen.
In schrillem Gegensatz zu Halbes ehrlichem und ernstem
Ringen, das Sympathie für den Dichter selbst dann noch
auslöst, wenn er sein Ziel nicht erreichte, steht die immer
salopper werdende Arbeitsweise des jungen Georg Hirsch¬
feld. Man hat dem Unerfahrenen, dei. die Clique mit
allzu lauten Posaunenstößen auf den Schild erhob, glücklich
eingeredet, daß jeder leicht hingeworsene Dialog von si
und so vielen Seiten Umfang ein dramatischer Alt,
jede dreiste Bemerkung ein wirksamer Altschluß sei, und
jetzt schafft Herr Hirschfeld unentwegt nach diesem Rezepte.
Der junge Moderne, von dem man vor vier Jahren noch
nicht wußte, zu welcher Schule er gehörte, da er damals
gerade von der Schule abgegangen war, hat seine nähere
Umgebung scharf beobachtet und diese allerdings wenig
schmeichelhaften Beobachtungen in den „Müttern“ besonders
aber in dem peinlich lebenswahren Einakter „Zu Hause“ gut
wiederzugeben verstanden. Sobald er sich indes über den
allerengsten Kreis hinauswagt, versagt er vollkommen.
Seine „Pauline“ sollte, wie wir vorher in den Zeitungs¬
blättern lasen, die erste echte Berliner Komödie darstellen;
nachher ergab sich, daß auf alle vier Akte ein einziger Witz
kam, und den hatte leider bereits der Theaterzettel vor¬
weggenommen: er erzählt uns von vier „Liebhabern der
Pauline“ Es verlohnt sich nicht der Mühe auf die
Hudelei näher einzugehen. Die beispiellose Unsauberkeit der
Hirschfeldschen Technik — man verzeihe dies Wort, das
erhellt unter anderm daraus,
hier zur Ironie wird
daß seine Heldin des versöhnlichen Schlusses halber im
letzten Akte jählings ein sentimentales Geschöpf wird, nach¬
dem sie drei Akte hindurch den derben, drallen, in seiner
„Quietschvergnügtheit“ ruchlosen Küchendragoner mimte.
Von den zahlreichen Personen und Puppen, die die Scene
bevölkern, sind für die eigentliche Handlung nur vier oder
fünf nötig; alle andern tauchen ebenso unvermittelt auf,
wie sie unvermittelt für immer wieder verschwinden. In
jedem Akte werden neue Fäden angesponnen und so um¬
ständlich schwerfällig entwickelt, daß man sie von höchster
Bedeutung für die Struktur des Werkes glaubt; gleich
darauf läßt der Verfasser sie achtlos fallen. Nichtsdesto¬
weniger fand das Monstrum bei der Erstaufführung im
Deutschen Theater den an dieser Stätte üblichen jauchzenden
und einhelligen Veifall. Freilich scheint die Begeisterungs¬
er sich inzwischen auch verlobt hat, und was das Unverzeih¬
zu gründen, das scheint sein Ideal zu sein. Daß er den
liche ist: die Verstorbene wußte darum und erniedrigte sich
Blumenthal und Kadelburg jemals ernsthafte Possenkonkurrenz
trotzdem weiter. „Ich verstehe die Welt nicht mehr,“ mit
wird machen können, glaube ich jetzt freilich nicht mehr;
diesen in eine Geste übersetzten Hebbelschen Worten schließt
es fehlt ihm ihr unbedenklicher, sagen wir getrost plebejischer
der dreifach geprellte Ehemann das Stück. Von perverser
Witz, und sein Ehrgeiz schwindelt immer noch nach einem
Phankasie ausgetüftelt, macht es, bei Licht besehen, nicht
Platz in der Litteraturgeschichte, statt in der Cirkusmanege.
einmal dem Verstande Schnitzlers Ehre. Und darum diese
Sein neues Schauspiel „Hans“ zeigt wieder echt Dreyersche
Häufung von Widerwärtigkeiten! Auf einen helleren,
Prägung. Auf einer stillen Nordsee=Insel liegt Hans, das
reineren Ton gestimmt, geistreicher in Entwurf und Aus¬
männlich tüchtige und gediegene Professorentöchterlein, mit
führung, steht der „Grüne Kakadu“ hoch über diesen Arm¬
dem verehrten Herrn Papa biologischen Forschungen ob.
seligkeiten. Freilich kommt, wer den Dichter hören will,
Es geht schweigsam und streng her in dem einsamen Ge¬
auch hier nicht auf seine Rechnung; solchen Ansprüchen
lehrtenhause, auch die paar Freunde und Familiengenossen
vermag Schnitzler überhaupt kaum zu genügen. Dafür
ändern nichts daran. Da bringt Anna Berndt, Hansens
ergötzt ein hübsch ersonnenes, mit nicht alltäglichem Wage¬
Jugendfreundin, neue, ungewohnte Klänge in das pedantisch
mut hingestrichenes, farbenbuntes Gemälde, und durch die
gediegene Arbeitsleben dieser Menschen. Der unwidersteh¬
merkwürdigen Beziehungen, die das Märchenspiel zur Wirk¬
liche Zauber weicher Weiblichkeit, den sie erwärmend aus¬
lichkeit unterhält, durch seinen reizvoll pikanten Doppelsinn
strahlt, berückt die Herzen der Herren, vom Großvater
packt es just den nachdenklichen Zuschauer. In einer jener
angefangen, der ihr seine schönsten, geizig gehüteten Georginen
fin de siecle-Kneipen, die Montmartre von heute zu
spendet, bis hinauf zum Professor selbst. Feindselig setzt
Dutzenden beherbergt, die aber das Paris der großen Re¬
Hans sich zur Wehr gegen den schönen Eindringling, der
volution zuversichtlich nicht gekannt hat, amüsiert sich ver¬
den vergötterten Vater völlig umstrickt. Es gelingt ihr,
lotterter Adel über die blutrünstigen Clowurenommistereien
hinter das Geheimnis Annas zu kommen, dasselbe Ge¬
einer genialischen Schauspielerbande. Die Komödianten
heimnis, dem sie ihren vornehmsten Reiz, die süße, fromme,
rühmen sich furchtbarer Verbrechen, die sie begangen haben
frauliche Melancholie ihres Wesens verdankt. Anna trauert
wollen, und stellen die angeblichen Schreckensthaten bis
nän sich um ihr verstocbenes Kind. Den verräterischen
aufs t genau dar. Ihr Häuptling, der Gatte der schönen
Vater hat die Betrogene längst aus dem Herzen gerissen,
Léocadie, schildert mit entsetzlicher Anschaulichkeit, wie er
aber das süße Kleine kann sie nicht vergessen. Daß
in der Raserei der Leidenschaft einen jungen Herzog nieder¬
nach dieser Enthüllung an eine Verbindung des Professors
stieß, der ihm sein Weib verführt hat. Jubelnder Applaus
mit Anna nicht mehr geducht werden darf, macht Hans der
lohnt die wilde Aufschneiderei — da erfährt Heuri, daß
Dulderin unumwunden klar. Fräulein Anna sieht es auch
Léocadie ihn wirklich mit dem gezierten Bengel hinterging,
seufzend ein. Sie erklärt, nicht zwischen Vater und Tochter
und als der ahnungslose Herzog nun vergnügt die Kneipe
treten zu wollen, spricht von Opfern und ähnlichen tragi¬
betritt, fällt er dem Nächerstahl des Eifersüchtigen. Mit
schen Sachen und macht sich reisefertig. Da will es das
einem Schlage ist grause Wahrheit aus dem tollen Spiel
gütige Geschick (Herrn Dreyers Bühnengeschick), daß un¬
geworden. Hingerissen von der neuen, unerhörten Sen¬
erwartet die Liebe auch an dem harten Hans ihre be¬
sation, die Heuri ihnen geboten hat, heulen die vornehmen
zwingende Macht erprobt. Und weil eine Glückliche gern
Gäste vor Vergnügen auf, und gleichzeitig braust von der
andre Glückliche macht, so verzeiht sie der Märtyrerin
Straße her das Triumphgeschrei des Pöbels in die Halle, der
Anna. Zwei Verlobungen krönen das Werk; Ende gut,
eben die Bastille gestürmt hat. So endet mit rasch auf¬
alles gut. Was wie ein ernstes Schauspiel begann, schließt
einanderfolgenden, muchtig gesteigerten Effekten das selt¬
als flottes Lustspiel, und wenn die beiden Stücke auch
same Virtuosenstück das so wenig naiv wie möglich, so
schlecht zu einander passen, so passen sie doch einzeln dem
ganz und gar ein Erzeugnis raffinierter Verstandesthätigkeit
Publikum um so besser. Den feineren Reiz der Arbeit
ist und dennoch unmittelbar auf die Nerven fällt.
macht, wie bei andern Schöpfungen Dreyers, das prächtig
Wenn sich schon die Gaben der privilegierten Theater¬
gelungene Lokalkolorit aus. Ebbe und Flut der Nordsee
männer im verflossenen Vierteljahr zumeist als Spren er¬
hauchen ihren salzigen Odem in die Seene, und die treue
wiesen, wie durfte man dann Weizen von den Outsidern
Schilderung des Gelehrtenheims macht alle Mängel oder
erwarten? Der Kehraus hat sie und ihre Darbietungen
doch den mangelnden Reichtum der Charakteristik vergessen.
bereits wieder beiseite gesegt, und wir trauern einer langen
Wenn Dreyer sich seit seinen Erstlingsdramen immer
Reihe verlorener Abende nach. Die Wienerin A. Baum¬
#eiter von den Grundsätzen des „konsequenten Naturalis¬
berg versuchte in ihrer „Liebesheirat“ ein Kompromiß zwischen
mus“ entfernt hat und ihm nur noch die notdürftigsten
Ibsen und dem Fräulein Marlitt zu schließen: selten ist
Verbengungen macht, so klammert sich der noch nicht zur
die niederdrückende Jämmerlichkeit eines auf nichts gestellten
Auerkennung gelangte Nachwuchs um so fester daran. Be¬
Ehelebens so unbarmherzig naturgetreu in den Details ge¬
sonders in Wien ist das der Fall, der Stadt, die erst spät
schildert und selten die strahlende Seelenschönheit einer
zu #ealistischer Kunsbethätigung erwachte und wo er des¬
gemarterten Frau so grell mit der leichtfertigen Büberei
halb zurzeit noch als letzte Mode gilt. Ein Wiener
ihres Mannes kontrastiert worden. Ein bübischer Schurke
Namensvetter des Berliner Hirschfeld, Leo heißt der Hoff¬
und ein unendlich guter Kerl ringen auch in Haus von Wentzels
nungsvelle, hat unter dem Titel „Lumpen“ eine Para¬
„Rosa Riedel“ um die Hand besagter Rosa. Sie neigte
phrase von Wolzogens zu Unrecht vernachlässigtem „Lumpen¬
sich erst dem Schurken zu, und zwar in solchem Maße,
gefindel“ in die Welt flattern lassen. In der Komödie
daß thatsächlich ein sehr guter Kerl dazu gehörte, sie später
giebt es eine unausstehlich langweilige Figur: das ist ver¬
aus der Hand des Erbärmlichen entgegenzunehmen, der es
drießlicherweise der Held. Wir lernen in ihm zum Xeten
nur auf ihre stattliche Mitgift abgesehen hatte. Wenn der
Male den bewußten jungen Dichter kennen, der einen durch¬
glückliche Franz jedoch beide Augen zudrückt, warum sollen
schlagenden Erfolg dadurch erringt, daß er seine Ideale
wir's dann nicht auch? Spuren von Talent zeigt diese
verrät, sein Werk den Philistern zuliebe verstümmelt. So¬
Arbeit so gut wie Ernst Pranges düsterer „Kain“, das
bald ihm das Geld im Kasten klingt, bricht er mit der
aufregende Drama vom Brudermörder, der sich mit Abels
sidelen Vergangenheit, mit den Kameraden, die Entbehrung
Dichterruhm schmücken will. Die schaurige That geschah
und Leid mit ihm geteilt, mit der kleinen Schauspielerin,
umsonst, Kain bricht unter Gewissensbissen zusammen.
deren llugem Rat er sein Glück verdankt, und festigt die
Einem Teil des Publikums waren die Schlußscenen zu
neuerworbene Stellung durch eine gute Partie. Leo Hirschfeld
grauenvoll; man schrie und zischte wütend in sie hinein.
hat Witz, und der erste Alt, der im bekannten Café Griensteidl
Am Berliner Theater, dem das unverschuldete und un¬
der Wiener Stadt spielt, im dunstigen Hauptquartier der
verdiente Unglück mit „Kain“ begegnete, kam es
Bohème, verrät eine nicht gewöhnliche Fixigkeit der Mache.
zu allerhand bald linden, bald heftigen Durek
Indessen ordnet der Autor seinen Dialogschlagern ohne Be¬
zeigte man uns ein Schauspiel „Vicky“ von
denken die gesamte Seenenführung unter, seine Späßchen
das erbaulich die Macht der Mutterliebe
zünden am Ende nicht mehr, da er sie zu deutlich erkenn¬
lüste demonstriert und eine
bar und umständlich vorbereitet, und das Undramatische
Krankenbett ihres Kindes, in
des Stoffes führt die Ernüchterung schon vor statt nach
den Gatten zurückführt
dem letzten Fallen der Gardine herbei.
gatten von heute! Ferner ternten unsre Tanter
Der E decker der Wiener Schule, ihr Aesthetiker und
„Recht auf sich selbst“ des jugendlichen Fürsten S#ler
Protektor, Hermann Bahr, scheiterte mit seinem Schauspiel
daß es nicht gut ist, weimn eine Frau ihrem Manne er¬
„Josefine", das Sardon parodieren oder übertrumpfen sollte,
littene Vorstrafen verheimlicht. Im vorliegenden Falle
an der Berliner Zensur. Glücklicher war sein Landsmann
ging die Sache ja leidlich aus, denn erstens hatte Madame
Arthur Schnitzler, dessen „Grüner Kakadu“ nach einigem
unschuldig im Kerker gesessen, und zweitens faßte den Ge¬
Hill und Her passieren durste. Von den drei Einaktern
mahl am Ende gewaltige Rene — wie aber, wenn er die
Schnitzlers, die das Deutsche Theater als Kehranspremiere
selbstmordlustige Geliebte bereits als Leiche vorgefunden
gab, ist nür diese „Groteske“ beachtenswert. Ein Vers¬
hätte? Neben den Tragödien ließ die fleißige Bühne in
spiel „Paracelsus“ tändelt mit Hypnose und Ehebruch und
der Charlottenstraße es an munteren Possen nicht fehlen,
giebt sich den Anschein des Tiefsinnigen. Doch der Schein
leider verunglückten alle drei, von denen heute zu berichten
Verfehlter noch ist die offenbar ernst gemeinte
trügt.
S
# Gejährtio“ Kure nach dem Tode seiner ist: Brociners und Engels „Neue Richtung“ sowie Fedor