II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 607


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9.4. Der gruentkadn zyklus
spricht ohne sonderliche Erregung von dem Todesfall,
so daß der Professor ihm schließlich andeutet, er brauche
nicht zu heucheln, er, der Professor, wisse, was die Ver¬
storbene dem jungen Manne gewesen sei. Daraufhin
stellt sich heraus, daß der ehrenwerthe Assisteut keines¬
wegs heuchelt, daß er bereits seit längerer Zeit mit
einer jungen Dame verlobt und in seinem Liebesglück
für Leidempfindungen nicht sehr zugänglich ist. Nun
aber braust der Professor auf: Also Du hast mit meiner
Frau nur getändelt, Du hast dort, woo ich entsagte, nicht
geliebt, sondern gespielt. Hinaus mit Dir! Der
junge Herr verschwindet, die Ueberraschungen sind
aber noch nicht zu Ende. Im tröstlichsten Mollton er¬
klärt die Freundin, daß der Hinausgeworfene eigentlich
so schuldig nicht sei. Die Verstorbene habe recht gut
gewußt, daß der Hausgenosse und Hausfreund verlobt
sei, daß er sie selbst nur wie eine erste Beste betrachte.
Und trotzdem sie
Der Professor bringt es nicht
einmal mehr zu einem Na! Er durchmißt schweigend
ein paar Mal das Zimmer und der Vorhang senkt sich
langsam, Alles verhüllend, wie das sonst der bekannte
Mantel der Liebe macht. Für einen Einakter kann
man an ausgesonnener Erfindung und erkünstelter Ver¬
wicklung nicht gut mehr verlangen. Aber auch sonst
ist das kleine Stück ein Mustererzeugniß theatra¬
lischer Halbkunst. Das,
was im Grunde das
Wesentliche ist, die Charaktergestaltung eines Mannes
von der Art des Professors, eines Weibes,
wie es diese Vielgeliebte ist, daß wir sie Beide in ihrem
innersten Wesen verstehen lernen, — das ist für
Schnitzler ganz Nebensache. Statt eines lebendigen
Gesammtbildes giebt er nur die Momentaufnahme eines
Einzelzugs, der allein durch seine Pikanterie zu wirken
hat, nur die Würze zum Gericht, das Gericht selbst
mögen wir uns, wenns uns behagt, hinzudenken.
Lotti Sarrow, Winterstein und vor Allem
Nissen sprachen, was sie zu sagen hatten, mit
so viel Empfindungsausdruck wie möglich; darzustellen
hatten sie nichts. Auf eine Pikanterie läuft auch das
zweite Stück „Der grüne Kakadu“ hinaus,
trotz allen Wuthgeschreis und trotz der Blutthat, mit
der die Handlung schließt. Aber es pulst doch mehr
Leben, und in all der Schauspielerei, die uns vorgeführt
wird, mehr ernst zu nehmende Empfindung, als in der
„Gefährtin“. Im Hintergrunde des Genrebildes, das
Schnitzler zeichnet, wetterleuchtet die Revolution, und
das bringt einen Zug von Größe in das bewegte,
farbige Werk. Prospere, ein ehemaliger Theater¬
direktor, hat in Paris eine Keipe aufgethan.
Damit diese Spelunke „zum grünen Kakadu“
nicht bloß ein Sammelplatz von Gefindel wird,
sondern vornehme Gäste anlockt, kommt der Wirth auf
den spitzbübischen Gedanken, die Schauspielerbande, die
er bisher leitete, auch weiterhin für seine Zwecke aus¬
zunutzen. Er verpflichtet sie als Stammpublikum für
die Kneipe, sie müssen sich als Verbrecher aufspielen,
die den sonstigen Gästen grauliche Geschichten von
Mordthaten, Einbrüchen, Brandstiftungen zum Besten
geben. Er selbst würzt diese Unterhaltung durch die
Frechheit, mit der er die Gäste, zumeist blasirte Aristo¬
kraten, behandelt. Am Abend des 14. Juli 1789
kommt der Hauptdarsteller der Kneipe, Citoyen Henri,
mit einem ganz neuen eigenartigen Trie. Er hat
soeben eine seiner Kolleginnen geheirathet, eine leicht¬
fertige Person, die er jedoch leidenschaftlich liebt. Mit
allem Aufwand schauspielerischer Mache erzählt er nun
den Gästen, er habe vor wenigen Minuten einen Mord
begangen, er habe seine Frau im zärtlichen Beisammen¬
sein mit dem Herzog von Cadignan überrascht und den
Verführer niedergestoßen. Die Zuhörer wissen nicht
recht, ob der Komödiant spaßt oder in der That sich
hat hinreißen lassen. In diesem Augenblick betritt der
Herzog selbst die Kneipe. Mit ihm strömt allerlei
Volk herein; es kommt von der blutigen Arbeit, die es
beim Bastillensturm verrichtet hat. Aus allerlei An¬
deutungen entnimmt Henri, daß der Herzog in Wirklichkeit
ein Verhältniß mit seiner Frau hat. Und nun wird
aus der Komödie wilder Ernst. Von der allgemeinen
Erregung mitgerissen, ersticht der Schauspieler den Herzog.
Es ist ein packendes Virtuosenstückchen, das Schnitzler
sich hier leistet, blendend, aber ohne tiefere Empfindung
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