II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 714

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9.4. Der gruene Kakadu —Zykius
vorgelegen habe Oskar Wilde zu einer Schaustellung nach seinem Kneipe, in der unter der Maske des Spiels die gräßliche Wahrheit
Tode zu verhelfen bestreite ich, soweit die öffentliche Bühne dafür inschon erschienen. Wirkliche Verbrecher erscheinen im Cabaret, erzählen
Betracht kommt. Eine Privatgesellschaft, der die Bühne nur ein Mittel ihre Mordgeschichten, fallen aber damit ab. Desto mehr Erfolg hat ein
sein will, alles kennen zu lernen, ist an ästhetische oder moralische! Schauspieler, der eben verheiratet mit einer leichtsertigen Schauspielerin,
Rücksichten nicht gebunden. Schreibt sie auch die Pflege moderner dra¬
sich dadurch einen glänzenden Abschied verschaffen will, daß er aus
matischer Kunst auf die Vereinsfahne, so wird man doch keine anderen
Momenten der Ahnung sich eine Geschichte konstruiert, wie er einen
Pflichten daraus folgern wollen, als ihre Vereinsmitglieder zu orien¬
Aristokraten in der Garderobe seiner Frau in Magranti ertappt. Ungeheurer
tieren und zu unterhalten. Unter dem Gesichtspunkte der „Wissenschaft
Beifall, dem das Entsetzen folgt, als der Schauspieler aufgeklärt, er habe eben
halber“ kann man die Wahl Oskar Wildes sogar nur billigen; denn
unbewußt erzählt, daß in Wahrheit sich seine Frau einem Herzog hinge¬
geben hat, den eben in die Spelunke eintretenden Herzog ermordet.
gehört dieser Dichter auch nicht zu den größten der modernen Er¬
Die Idee ist grausig und grotesk. Das Stückchen wurde besser gespielt als
scheinungen, so ist er doch unstreitig eine der interessantesten des Deka¬
dententums. Eine Betrachtung Wildes nach der persönlichen, wie nach
„Salome“. Am besten waren Herr Peschel, als der unbewußt ein
der geistigen Erscheinung hin liefert keine eine Zukunft befrüchtende
Doppelspiel treibende Schauspieler, und Herr Corge als der Philosoph,
Momente, sondern nir eine Sammlung von Früchten einer überreifen
der zum bluttriesenden Revolutionär geworden ist. Das waren lebens¬
volle Charakiere, in glaubhafte Wirklichkeit gestellt. Hübsche Leistungen
halbangefanlten Kultur, denen glänzende Farbe, aber auch muldriger
Geruch eigen ist. Die Dichtkunst hat an Oskar Wilde nichts gewonnen,
haben ferner Fräulein Felsegg, Herr Graumann und Herr Stoll
noch geboten.
wohl hat er aber dem Menschenbeobachter, dem Psychinter reichen
Stoff geliesert.
Auch diesem Stücke folgte Schweigen. Der auf dem Theaterzettel
Oskar Wilde ist in Dublin in Irland als der Sohn eines Privat
vermerkte Ukas: „Es ist den Darstellern in der heutigen Vorstellung
gekehrten William Wilde und dessen Frau, die unter dem Namen! nicht gestattet, nach den Aktschlüssen vor der Rampe zu erscheinen“,
konnte nicht auf seine Disziplinkrast erprobt werden.
„Speranza“ literarisch für die irische Sache eingetreten ist, am 15. Ok¬
tober 1850 geboren worden. Früh schon machte sich bei dem Jüngling,
der eine sorgfältige Erziehung genoß, dichterisches Talent geltend; im
Gynnasium erhielt er einen Preis für ein Gedicht. Kaum der Schule
entwachsen, löst er sich vom Elternhause und beginnt ein tolles Leben.
Er gebärdet sich als Sonderling, ahmt die absonderlichen Aeußerlichkei¬
ten französischer Dichter wie Balzac uns Gautier nach, kleidet sich so
verrückt, daß er eine ständige Figur der Londoner Witzblätter wird,
trägt eine Frisur à la Nero und spielt überall den Poseur. Er er¬
scheint aus lauter Widersprüchen zusammengesetzt. Er schreibt demo¬
kratische Oden, redet seine Freunde in Frankreich mit „Citoyen“ an,
findet ein Vergnügen daran, bei Vorstellung adeliger Personen auf dem
klangvollen Namen zu verweilen, stellt in der Theorie die Achtung vor
der Frau als lächerlich hin, wird aber, als er kein Geld hat, Heraus¬
geber einer Frauenzeitung. Er stellt theoretisch die Forderung „lart
pour larl“ auf, verschmäht es aber nicht, für das leidige Geld eine
Reihe von Stücken zu schreiben, die nichts von Kunst an sich haben,
sondern für den Massenbedarf der englischen Bühne zugeschnitten sind.
In den Gesellschaftsdramen „Lady Windermeres Fan“, „A Woman
of no Importance“, „An Ideal Husband“ arbeitet er mit den erprob¬
ten Mitteln der Sentimentalität, Bürgermoral und Ernst in Dingen,
„The Importance of Being
die er nie ernst genommen hat.
Earnest“ hat er eine tolle Farce geschrieben, in der jede Person über
sich selbst spottet.
Mit diesen Theaterstücken hat Wilde sehr viel Geld verdient, das ihm
aber doch nie zur Bewältigung seiner Ausgaben gereicht hat. Andere
als in diesen Kassenstücken zeigt sich Oskar Wilde in seinem Schaffen,
für das er theoretisch das bekannte Wort „l’art pour l’art“ aufgestelle!
hat. Er gibt sich darin als Vertreter einer neuen Aesthetik, deren
Grundzüge er in dem Buche „Intentions“ (Fingerzeige) niedergelegt
hat. Ihre Wurzeln finden sich in dem englischen Präraphaelitismus,
und Wilde war das letzte Glied der Vertreter dieser Richtung in seinen
künstlerisch zu nehmenden Werken. Nach Wildes Theorie ist die Auf¬
gabe der Kunst das Schaffen des Schönen, und das Schaffensgebiet
des Künstlers ist unbegrenzt. Er hat der Wirklichkeit eine zweite Welt
der Schönheit gegenüber zu stellen. Wenn dem Künstler das gelungen
ist, so steht sein Werk außer aller Ethik. Die Kunst zu offenbaren, den
Künstler zu verbergen, das ist das Ziel der Kunst. Alle Kunst ist:
zwecklos, daher unmoralisch. Er erscheint in diesen Paradoxen nicht
original, denn hinter Oskar Wilde steht der Franzose Baudelaire. Er¬
füllt von diesen Theorien sind die Gedichte „Die Sphynx“ ein Hymnus
auf estschwundene Götter, und die Gefängnisballade“, in der er das
dichterisch Größte geschaffen. Entzückt in der „Sphyux“ die wunderbare
Sprache, so erstannt man in der „Gefängnisballade“ über die vollendete
Technik. Er schildert darin die letzten Tage eines Mannes, der seine
Geliebte ermordet hat und deshalb zum Tode verurteilt worden ist.
In seinen Novellen zeigt Wilde sich von zwingender Lebendigkeit und
sprudelndem Witz. Sein Hauptprosawerk „Dorlau Grays Bildnis“ ist
ungleich gearbeitet. Meisterhaft darin sind die Gespräche, die Idee ab¬
geschmackt. Oskar Wilde spielte in seinem Leben mit allen mög¬
lichen und unmöglichen Gedanken. Seine in „Dorian Grays Bild¬
nis“ versochtene Theorie setzte er aber auch in die Praxis um. Kerker,
gesellschaftliche Aechtung, elender Tod in der Verbannung waren seine
Strafe.
Das Größte was Wilde im Drama geschaffen hat, ist der Einakter
„Salome“.
Bei der Behandlung des Stoffes dürfen wir weder uns
der christlichen Darstellung erinnern, noch der geschichtlichen Tatsachen:
Als Vorlage diente dem Dichter die Erzählung „Herodias“ von Flau¬
bert; der historische Stoff erscheint bei Wilde vollkommen verzerrt. Jul
der Stimmung einer Mondnacht wird unter den schwülsten äußerei
Ausdrucksformen der bekannte Vorgang geschildert, den Wilde aus
perverser Sinnlichkeit zu erklären sucht. Herodes Antipas erscheint als
ein ausgesprochener Neuropathiker, als ein schwachsinniger, lüsterne
Kerl, die Herodias als ein geiferndes Welb, deren Schandtaten durs
Johannes des öfteren verkündet werden, und die Salome ist als ein
mannstolle Dirne als eine Lustmörderin dargestellt, die dem Sadi
uis nicht ferne steht. Ueber dem Ganzen liegt ein Dunst von Pervei
sität. So abstoßend Jnhalt und Vehandlung des Stückes, so rühmens
wert ist die Form. Die Prosa ist bis zum Aeußersten durchgearbeite
das Ganze zeigt eine wundervolle Geschlossenheit. Der Eindruck eines
solchen Stückes kann natürlich kein erhebender sein; man ist Beobachter
der Aeußerungen eines überspannten Gehirnes, einer überhitzten Phan¬
tasie geworden und hat Proben einer glänzenden Stilkunst empfangen.]
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Ei 3
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