II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 3), Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt, Seite 726

Klose & Stidel
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□. MAN
Arthur Schnitzler.
Zum fünfzigsten Gedurtstag des Wiener Poeten lud heute, am
15. Mai, das Charlottenburger Schiller=Theater zu einer
Festvorstellung ein. Man tut gut, die Aufführung als solche mög¬
lichst beißite zu schieben; denn sie stand schauspielerisch nicht auf
der Hähe, wak kein Festtag und bereitete, was das Zusammenspiel
betraß mehr eine herbe Enttäuschung als eine Freude. Ich will
darum mehr von dem Jubilar sprechen, dem ja auch in Deutschland
eine Gemeinde erwachsen ist.
Das Schille Theater hatte drei Einakter aus der mittleren
Schaffenszeit des Dichters hervorgesucht: „Die Gefährtin“,
den „Paracolsus“ und den „Grünen Kakadu“. Man
kann die Wahl nur als glücklich bezeichnen, da sich Schnitzlers
Eigenarten — so weit bei ihm von solchen überhaupt die Rede
sein kann — darin ganz gut zeigen. Im ersten Stück gibt sich
Schnitzler als der weichgestimmte Wiener, der Dramatiker, der
von der Lyrtk kam und mit Melancholie und Traumhaftigkeit auf
die Seelenpürsche geht: Schnitzler der Aufdeuter von verborgenen
Tiefen, deren es im Menschenherzen ja genügend gibt. Man muß
im Zurückblicken sagen, daß dem Dichter mancher Fund gelungen
ist, obgleich seine Wege sehr verschieden gewesen sind. Konnte doch
ein und derselbe Mann Bühnenwerke wie den „einsamen Weg“
und „Das weite Land“ schaffen, Stücke, von denen das eine tief
und reich, das andere dafür aber eine seichte Mache schlimmster
Sotte darstellt. In der „Gefährtin“ liegt nun, wie ein Extrakt
Schnitzlers Wienertum, jenes weiche, unbestimmte, fast möchte ich
sagen: gallertartig=unangenohme Etwas, das sich mit Schleiern
romantisch=mystisch das Gesicht verdeckt und dementsprechend rätsel¬
haft tut. Es soll nicht geleugnet werden, daß manch feiner Ton,
manche seine Farbe von ihm zutage getragen worden ist, wohin¬
gegen aber auch festgestellt werden muß, daß sich diesen Poeten¬
augen die Dinge immer mehr ver= als entschleiert gezeigt haben,
und daß ihnen dadurch die Note deo Verfalls, der inneren Zerstört¬
heit eigen wurde, über die oft beigemischte leichtblütige Lebens¬
freude, besse: gesagt: Frivolität, nicht hinwegtäuschen kann.
Schnitzler, der Dichter der „Gefährtin“, der Empfindsame, der Ver¬
körpeter des verweichlichten Wienertums, das wir, in anderer
Fassung, aber innerlich gleichartiger Zusammensetzung, ja auch
durch Hugo von Hofmannsthal vorgesetzt bekommen haben, hat
aber noch eine andere Seite gehabt: er kam der Welt als Mystiker
in Konzentration. Sein heute abend gespielter „Paracelsus“ gibt
das Beispiel dafür. Und auch hier in diesem Stück das Gegenspiel:
Innerlichkeit (die wir nicht recht glauben können) und Humor (der
eine unangsbrachte Bierderbheit hat, die heute zu schauspielerisch
störender Uebertreibung verleitete). Es ergab die Nachdenklichkeit
mit dem breiten Lachen zu einer Maske gemischt, von jeher ein
Zerrbild, und das konnte man denn auch heute abend wieder
beobachten. Obgleich der „Paracelsus“ kein schlechtes Stück ist
(was an sich auch von der „Gefährtin“ gilt) kam es zu keiner tief¬
greifenden Wirkung. Und die Schuld daran trug nicht die Dar¬
stellung allein, sondern in der Hauptsache die dichterisch schwache,
geradezu oberflächliche Erfassung des Wundermannes Teophrastus
Paralcelsus. Schnitzlers dritte Seite, den Naturalismus, brachte
dann noch die Revolutionsgroteske „Der grüne Kakadu“. Ich schätze
dieses Stück (das heute im Tempo so beispiellos verschleppt wurde)
als die beste Arbeit des Dichters nächst seistem „elnsamen Weg“.
Der „Kakadu“ ist ein glänzender Einfall gewesen, er ist bis zum
gewissen Grade sogar ein Meisterwerk, zumal die dramatischen
Momento in diesem Spiel ganz außerordentlich starke sind. Frei¬
lich — eine wirklich tiefgreisende Menschendarstellung bringt auch
dieses Spiel nicht. Schnitzler, der Wiener, hat sich eben
bis heute noch immer umsonst bemüht, wie er es auch
anfaßte, auf den Weg zu Ibsen zu gelangen, geschweige denn ein
österreichischer Ibsen zu werden, als der er von seinen Freunden
schon ausgerufen worden ist. Man kommt mit wienerischer Weich¬
heit dazu nicht, man kann auf diesem Wege auch nicht die letzten
Dinge anrühren. Zugegeben sei, daß Schnitzers Schaffen eine
Spiegelung des Lebens darstellt, aber es ist sicher nicht das Leben
selbst. Und im Leben selbst als Niederschlag für das Kunstwerk
liegt allein der Wert und das Zukünftige.
W. C. O.
schnn aus Berliner Allgemeine - Zeitung
Berlin

Schillet-Theater Charlotfenburg.
KhurSchnitlenAb
(Was unsere führenden Bühnen schmählich
vekabsäumt — den fünfzigsten Geburtstag eines
Besten unserer modernen Literatur durch
die Aufführung seiner Dramen zu feiern — das
haben unsere Volksbühnen als Ehrenpflicht er¬
kannt, und sie sind erfreulicherweise dieser Auf¬
gabe nachgekommen.
Das Schiller=Theoter hat gestern drei Ein¬
akter des Wiener Dichters zur Aufführung ge¬
bracht und bei der Auswahl eine glückliche Hand
bewiesen. Denn diese drei Dramen: „Die Ge¬
fährtin“, „Paracelsus“, „Der grüne
Kakadu“ zeigen Schnitzlers Talent in seiner
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vollen Ergievigkeit. „Die Gefährtin“ eine ein¬
dringliche Seelenzergliederung, ein schwermüti¬
ges Stimmungsbild, das die Tragik der Men¬
schenseele behntsam offenbart, ist das Wiener
Stück Schnitzlerscher Eigenart. Eine Tragödie
auf Zehenspitzen.
„Paracelsus“, ein nachdenkliches Schel¬
menspiel von gedämpftem, wohlerzogenem Ueber¬
mut, und „Der grüne Kakadu“ endlich,
dieses groteske Kabinettstück der französischen Re¬
volutionszeit, voll sprühender Lebenskraft und
dramatischer Fülle, zeigt den Könner, der das
wuchtige Forte der großen Tragödie mit dem
historischen Hintergrund meistert.
Auch darstellerisch löste das „Schiller=Theater“
seine Aufgabe recht glücklich; es war eine unge¬
trübte Geburtstagsgabe. In der Gefährtin
brachte Max Reimer die Gestalt des hinter¬
gangenen, verzeihenden, abgeklärten Gelehrten
sehr überzeugend heraus, und Hedwig Pauly,
die resignierende Freundin, wußte in ihrer sym¬
pathischen, natürlichen Art die Szene mit Wärme
zu füllen. Die belanglose Rolle des Liebhabers
gab Conrad Wiene korrekt, doch die Frische
fehlte. Dafür schöpfte er aus dem Mörder Grain
des grotesken Revolutionsgemäldes so viel naiven
Humor, daß er nicht nur dem Publikum eine
große Freude bereitete. Im „grünen Kakadu“ —
von Walter=Horst brillant inszeniert —
standen noch auf der Höhe ihrer Aufgabe Georg
Paeschke als eleganter Herzog, der Schmieren¬
direktor Richard Wirths, Else Wasas
Koketre Léocadie — sie sah bildhübsch aus — und
der Schauspieler Henri Hans F. Gerhards.
Diese beiden standen auch im „Paracelsus“ an
hervorragendem Platz: Frau Wasa etwas zu
spröde und wirklich in der Hypnose Justinas,
Herr Gerhard in der Titelrolle interessant und
von starker Wirkung. Sehr gut veranschaulichte
Heinz Bernecker die biderbe Komik des
sHkstgefälligen Waffenschmieds Cyprian.