box 14/7
Gefaehrtin
Die
g. 2
Wir sind noch im Vorfrühling: im September. Reicher als sonst schmückt sich die Flur mit
den ersten Deilchen der Saison. Vergleiche nicht arglos ein neueres Schauspiel mit den Blau¬
oder Rotblümelein der Aue! Das könnte peinliche Erinnerungen wecken an die Dergi߬
meinnicht= und Lavendel=Literatur. Ach, wie fern ist Arthur Schnitzlers herbstliche Reife
jenen einfältigen Zeiten! Aber sein Einakter „Die Gefährtin Far debescheidene Unschein¬
barkeit, den unwiederholten Reiz, den Duft des kleinen Meisterwerkes der Natur. Wollte man
die Hoesie eine gute Frau sein lassen so könnte man auch von einer Büchse krastextrakt sprechen.
Denn es ist fast ohne Beispiel, welche weite Herspektiven dieses winzige Stückchen Drama mit
Ort
seiner halben Stunde Spielzeil öffnet; und nicht bloß ganze Menschenschicksale — vielmehr über¬
dies ganze Menschen. Auch dieser Einakter ist ein „letzter Akt“. Doch Ibsens retrospektive
Technik, hier völlig zwanglos in den Dienst von Enthüllungen gestellt, verbindet die stille Gipfel¬
szene derart organisch mit dem ungespielten Drama der Vergangenheit, daß wir keinen Verlust
empfinden. Der alternde Gelehrte hatte es in Jahren schweigend geduldet und begriffen, daß
nicht ihm die Frühlingsblüte seiner jungen Frau gebührte .. . der Frau, die er liebte. Er
rug seinen Schmerz in einem Herzen, das für ein entflohenes kurzes Glück noch immer dankbar
war. Heute, am dunklen Herbstabend, nach dem Begräbnis seiner Frau, erfährt er, daß der Ge¬
###e seiner Frau sich mit einem reichen Mädchen verlobt hat . .. dieser junge Mann, dem er
eben noch sein selbstloses Mitleid zu schenken bereit war, weil er ihn für den Aermeren hielt,
den der Tod am grausamsten beraubt habe! Jetzt bäumt sich die verschmähte Liebe des Grau¬
haarigen gegen den jungen Fant, der die Frau, die heute begrabene, nichtswürdig betrogen
habe. irmer Adelsmensch! — Sie hat es ja gewußt. Sie wollte es so, nicht anders. Die
beiden Allte skinder waren handelseinig gewesen. Subtil und logisch gelangt der Witwer auch zu
dieser Erkenntnis. Eine Enttäuschung, die zur Befreiung werden muß. Denn jene Frau, war
sie nicht eine Fremde, die zufällig in seinem Hause gewohnt hat? — Mit zarter, schlanker Hand
blättert der Dichter das Buch des Lebens auf und deutet nach den Strömen, die nach Norden
und nach Süden rinnen. Se leise und tiefinnerlich wie das Drama, war seine Wiedergeburt im
Lessingtheater. Dor reichlichen Jahren war es schon einmal vorübergezogen. Es nun fest¬
zuhalten, würde dieser Bühne eine dauernde Weihe geben. Weihe — ja, das ist das rechte
Wort für die Schöpfung Oskar Sauers als Professor Hilgram. Ich habe noch keine keuschere
Sprache verschlossener Gefühle wahrgenommen, als in den bekümmerten, von weichen und harten
Lichtern umspielten Mienen dieses grauen Kopfes. Und jeder Ausdruck ging nach innen und
führte uns Ergriffene ein — während andere die Geheimnisse auszupacken und an die pralle
Bühne und Welt.
Sonne zu legen pflegen. Mathilde Sussins feine, kluge Weiblichkeit entsprach der Frauen¬
gestalt, der „Freundin“ im Schauspiel, der der Dichter seine schlanken Finger lieh, im Buch des
Schicksals zu blättern.
Gefaehrtin
Die
g. 2
Wir sind noch im Vorfrühling: im September. Reicher als sonst schmückt sich die Flur mit
den ersten Deilchen der Saison. Vergleiche nicht arglos ein neueres Schauspiel mit den Blau¬
oder Rotblümelein der Aue! Das könnte peinliche Erinnerungen wecken an die Dergi߬
meinnicht= und Lavendel=Literatur. Ach, wie fern ist Arthur Schnitzlers herbstliche Reife
jenen einfältigen Zeiten! Aber sein Einakter „Die Gefährtin Far debescheidene Unschein¬
barkeit, den unwiederholten Reiz, den Duft des kleinen Meisterwerkes der Natur. Wollte man
die Hoesie eine gute Frau sein lassen so könnte man auch von einer Büchse krastextrakt sprechen.
Denn es ist fast ohne Beispiel, welche weite Herspektiven dieses winzige Stückchen Drama mit
Ort
seiner halben Stunde Spielzeil öffnet; und nicht bloß ganze Menschenschicksale — vielmehr über¬
dies ganze Menschen. Auch dieser Einakter ist ein „letzter Akt“. Doch Ibsens retrospektive
Technik, hier völlig zwanglos in den Dienst von Enthüllungen gestellt, verbindet die stille Gipfel¬
szene derart organisch mit dem ungespielten Drama der Vergangenheit, daß wir keinen Verlust
empfinden. Der alternde Gelehrte hatte es in Jahren schweigend geduldet und begriffen, daß
nicht ihm die Frühlingsblüte seiner jungen Frau gebührte .. . der Frau, die er liebte. Er
rug seinen Schmerz in einem Herzen, das für ein entflohenes kurzes Glück noch immer dankbar
war. Heute, am dunklen Herbstabend, nach dem Begräbnis seiner Frau, erfährt er, daß der Ge¬
###e seiner Frau sich mit einem reichen Mädchen verlobt hat . .. dieser junge Mann, dem er
eben noch sein selbstloses Mitleid zu schenken bereit war, weil er ihn für den Aermeren hielt,
den der Tod am grausamsten beraubt habe! Jetzt bäumt sich die verschmähte Liebe des Grau¬
haarigen gegen den jungen Fant, der die Frau, die heute begrabene, nichtswürdig betrogen
habe. irmer Adelsmensch! — Sie hat es ja gewußt. Sie wollte es so, nicht anders. Die
beiden Allte skinder waren handelseinig gewesen. Subtil und logisch gelangt der Witwer auch zu
dieser Erkenntnis. Eine Enttäuschung, die zur Befreiung werden muß. Denn jene Frau, war
sie nicht eine Fremde, die zufällig in seinem Hause gewohnt hat? — Mit zarter, schlanker Hand
blättert der Dichter das Buch des Lebens auf und deutet nach den Strömen, die nach Norden
und nach Süden rinnen. Se leise und tiefinnerlich wie das Drama, war seine Wiedergeburt im
Lessingtheater. Dor reichlichen Jahren war es schon einmal vorübergezogen. Es nun fest¬
zuhalten, würde dieser Bühne eine dauernde Weihe geben. Weihe — ja, das ist das rechte
Wort für die Schöpfung Oskar Sauers als Professor Hilgram. Ich habe noch keine keuschere
Sprache verschlossener Gefühle wahrgenommen, als in den bekümmerten, von weichen und harten
Lichtern umspielten Mienen dieses grauen Kopfes. Und jeder Ausdruck ging nach innen und
führte uns Ergriffene ein — während andere die Geheimnisse auszupacken und an die pralle
Bühne und Welt.
Sonne zu legen pflegen. Mathilde Sussins feine, kluge Weiblichkeit entsprach der Frauen¬
gestalt, der „Freundin“ im Schauspiel, der der Dichter seine schlanken Finger lieh, im Buch des
Schicksals zu blättern.