II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 1), Paracelsus. Versspiel in einem Akt, Seite 28

aracelsus
9.1.
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Moissi als Paracelsus.
Erkaufführung im Deutschen Theater.
Alexander Moissi, in Schnitzlers feinem,
klugen Einakter „Paracelsus“, gelangt, wie
immer wenn ihm Geistiges zugemutet wird, nicht
in die Tiefen des Dichters, so sehr hier die Flüssig¬
keit und Grazi#des Vorspiels — sollte man
meinen — ihm den Weg erleichtern. Von dem
Dämon und Geistesriesen Paracelsus, der dem
elbstgerechten baster Bürger Cyprian mit einem
Griff in die Dämmerwelten der Hypnose eine tiefe
Lehre von der Unbestimmbarkeit alles Bestimmten
erteilt, bleibt bei Moissi nicht viel mehr als eine
gepflegte geistige Koketterie. Paracelsus gibt der
Frau Cyprians, Justina, aus der Hypnose einen
Traum mit ins wache Leben: sie habe, einmal, der.
Gatten hintergangen. Sie gesteht und bereut, wessen
sie nicht schuldig ist; und die Grundfesten des
sicheren Bürgers wanken. Bis der Wundertäter
den Traum verscheucht. Aber war es ein Traum?
Ist, was tief zuunterst der Seele erlebt wird,
weniger wahr? Ist nicht so wahrhaftig wie die
arme, eingepferchte Welt des kahlen Geschehens
auch die der entfesselten Phantasie, der Träume,
der gefährlichen Sehnsucht — wie Frau Justina,
die gewiß untadelige, sie, auf Befehl des fremden
Zauberers, eine Stunde lang aus ihrer Seele
emporsteigen läßt; zum kalten Schauder, aber
auch zur heilsamen Bekehrung des Gatten? „Es¬
fließen ineinander Traum und Wachen, Wahrheit
und Lüge. Sicherheit ist nirgends ... Nichts
von dem schönen schnitzlerischen Ernst hat Herr
Moissi, nichts von dunkler Größe und gar nichts
von Suggestivität Ein fahrender Gesell mit einer
wohlklingenden Stimme, charmantem Mienenspiel,
sehr viel orientalischer Beweglichkeit des Körpers
und der Hände und einem stereotypen geheimnis¬
vollen Lächeln ohne Geheimnis: das war hier
Paracelsus. Selten hat Moissi die Unmöglichkeit
seines Systems, das ihm abgelegene Geistige in
sein Revier, das phonetische, hinüberzujonglieren,
überzeugender dargetan. Dies Auftreiben, Auf¬
quellenlassen der Worte, diese schwelende Gedunsen¬
heit einer Romantik des Singsangs ist das ab¬
solute Gegenteil dessen, was uns not tut: Ver¬
dichtung im Gestalten. Und hat abgelebt; weil
ein zum konzentrierten Empfinden zurück¬
kehrender Instinkt es als künstlerische Unkauterkeit,
als theatralische Schiebung empfindet; was, selbst¬
verständlich, nichts mit der moralischen Wertung
des Vertreters zu tun hat. Man spürt denn auch
unverkennbar, wie Moissi, im breiten Publikum
sogar, an Boden verliert; man merkt, wie seine
Fühlung sich lockert, man hört manchmal schon
unterdrücktes Lachen, findet halbe Parkettreihen,
die ihn eher komisch finden. Nicht so in Tolstois
kleiner Komödie von den Dorfmenschen und vom
Alkohol, „Erist an allem schuld“, die man
hier, mit Moissi, schon kennt und in der er auch
diesmal wieder, wie früher, als Wanderbursch
Klänge und Blicke voll rührender Menschlichkeit
findet. Aber warum nähert er sich jetzt plötzlich
in dieser Rolle so übertrieben stark der Karikatur?
Für eine nicht eben eindrucksvolle Regie in beiden
Stücken zeichnet Herr Gerner; Walter
Brandt ist eine markige, aber seelenlose russische
Bauerntype, René Stobrawa blond und
glaubhaft die Seele in den Händen des
Paracelsus
Nach dem zweiten, dem russischen, Stück war
der Beifall, den Moissi fand, völlig uneingeschränkt
und sehr stark.
Walter Steinthal.