II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 1), Paracelsus. Versspiel in einem Akt, Seite 29

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BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-
24
Oeutsche Allgemeine Jeitung
Ausschnitte aus der Morgen-
Abend-„Ausgabe vom:
E S. MAIM
Der Rattenfänger der Seele.
Moissi im Deutschen Theater.
Es soll hier nicht von Moissis Maniriert¬
heiten und Koketterien geredet werden; sie ent¬
zücken ein Publikum, das sich um so verliebter
die Fingerspitzen küßt, je weniger es von Kunst
versteht. Es soll auch nicht von der Lyrik seiner
Stimme, dem züßen Bratschenton seines Organs
gesprochen werdenz mögen junge und alte Back¬
sische ihn derumhimmeln und um Auto¬
Framme bieten. Von einer tieferen und verfäng¬
#ceren Verführungskunst soll die Rede sein.
Wissi hat Augenblicke, in denen man alle seine
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en und bettelhaften Koketterien vergißt, in
nen auch der Seidenbrokat der Lyrik abfällt
und die Worte, an die sein ganzes Wesen hin¬
gegeben zu sein scheint, mit einem Male gleichsam
voll innen zu gluhen beginnen. In diesen Augen¬
slicken scheint alles einen höheren Sinn zu haben,
eine tiefere Bedeutung scheint sich aufzutun, etwas
Jenseitiges scheint an unsere arme Menschenseele
zu rühren. Doch schon im nächsten Augenblicke
hat man das unklare, aber unabweisbare Gefühl,
daß man hier nicht nur einem Irrtum, nicht
nur einer wehmütigen Täuschung, nicht nur
einem schönen Schein, sondern geradezu einem
Mißbrauch unterlegen ist. Man sagt sich: wie
kanng es Seele sein, die soeben jenes wunderliche
Kligen in mir weckte, wenn die Mittel, deren
sich dieser Schalmeibläser bedient, so fragwürdig
sind?! Und man kehrt mit einem Gefühl pein¬
lichen Ueberraschtseins in die Wirklichkeit zurück.
In diesem jähen Wechsel der Fassung des Zu¬
schauers dem Künstler gegenüber liegt vermutlich
die seltsame Anziehungskraft Moissis: sie hat die
wesentlichen Merkmale eines Narkotikums.
Der „Paracelsus“ von Arthur Schnitz¬
ler, das Spiel des mittelalterlichen Psychoana¬
lytikers und Hypnotiseurs mit aufgeschreckten
Menschenstelen, das einmal so harmlos und leicht,
im nächsten Augenblick so voll ungewisser Tiefen
zu sein scheint, war recht ein Stück für den
Rattenfänger der Seele. Eine noch viel tiefere
Beziehung, ja, eine fast symbolische Bedeutung
aber zeigte sich bei Leo Tolstois „Er ist an
allem schuld“. Wie artig weiß er da als
armer Handwerksbursche um die Herzen der
Menschen zu betteln, die ihn freundlich auf¬
genommen haben. Als der Bauer ihm das ge¬
stohlene Päckchen Tee zum Geschenk macht und er,
in Tränen ausbrechend, bittet: „Verzeihe mir, um
Christi willen!“, glaubt man für eine Sekunde,
die demütige, von tiefer Liebe zum Menschen er¬
füllte russische Seele klingen zu hören. In der
nächsten Sekunde freilich fragt man sich: Ist es
nicht nur das Narkotikum Moissi, das uns für
eine Sekunde einen neuen Himmel und eine neue
Er# vorzauberte und „an allem schuld ist“?
Gespielt wurde im übrigen unter der frischen
Regie Richard Gerners ausgezeichnet. Walter
Brandt, Renée Stobrawa, Grete Mos¬
heim und Johanna Terwin, sie alle be¬
miesen, daß im Deutschen Theater die Tradition
mustergültiger Aufführungen auch durch einen
Star nicht gefährdet werden kann. — Der Beifall
hörte erst sehr spät auf, Otto Gysae.
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BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
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Festlichkeiten usw.
Der Reichsbote
Morgenausgabe — Berlin SW. 11
Ausschnitt aus der Nummer vom:
– 3. MAl W24
Theater und Musik.
Deutsches Theater.
Moissi=Gastspiel „Parazelsus“ und „Er ist an allem schuld“.
Das sich dem Ende zuneigende Gastspiel Alexander
Moissis hat seinen Zweck, am Schlusse der Spielzeit noch volle
Häuser zu machen, auch gestern erfüllt. Das künstlerische Ergeb¬
nis entsprach nber nicht ganz dem finanziellen. Denn der zum
ersten Male aufgeführte Einakter „Parazelsus“ von
Schnitzler erpietsich doch zu sehr als Jugendsünde seines Ver¬
fassers. Ein# nich sehr kurzweilige Schnurre: der sagenumwitterte
Wundermann Parazelsus kehrt in der Stadt Basel in einem
Bürgerhause ein und stellt dort alles auf den Kopf. Die Haus¬
frau läßt er in der Hypnose ihre einstige Liebe zu ihm gestehen
und neuerdings vermeintlich sündig werden. So straft er den
prahlerischen Spießbürgersinn ihres Eheherrn, aber zum Schluß
lenkt er alles zum Guten und geht trotz lockender Anerbieten des
Rates wieder auf die Wanderschaft, nachdem er noch einem holden
Mägdelein ganz geschwind einen Bräutigam verschafft. Es ist
eines der bekannten Schelmenstücke mit der Virtuosenrolle im
Mittelpunkt, aber es ist nichts von Eigenart oder humorvollem
Reiz darin zu spüren. Moissi wurde zwar bejubelt, aber wer
seinem Tenor und seinem breiten Deklamierstil nicht ganz ver¬
fallen ist, mußte mit Schrecken erkennen, wie seine Kunst nun
ganz Schabione geworden ist. Es war, als hörte man einen !
Automaten in peinlich gedehnter und manirierter Sprechweise
seinen Part heruntersagen. Da war es dann in dem kleinen, von
früher her bekannten Tolstoistück schon besser, denn da half
die lebensvollere Charakteristik der Umwelt und der Menschen
dem Darsteller merklich in Laune und Temperament hinein. So
wurde aus dem heruntergekommenen Handwerksburschen, der
seine Gastgeber bestiehlt und sie dann durch seine grenzenlose
Scham beinahe vor sich demütigt, eine Leistung, die zwar das
Virtuosentum nicht verleugnete, aber doch die Stärke eines be¬
sonderen schauspielerischen Talents durchleuchten ließ. Moissis
Gattin, Johanna Terwin stand ihm in dem zweiten
Stück zur Seite, aber sie bemühte sich nicht weiter, eine russische
Bäuerin darzustellen, sie war und blieb eine in ein Bauern¬
gewand gesteckte Großstadtdame. Die Hörerschaft des ausverkauf¬
ten Hauses war sehr dankbar und huldigte Moissi in bekannter
H. Wr.
Ueberschwenglichkeit.