II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 1), Paracelsus. Versspiel in einem Akt, Seite 34

Paracelsus
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9. 1. A
Apons sersvenasheden
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BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
Bearbeitet die deutsche und ausländische Presse auch auf Inserate.
Liefert Listen über geplante Bauten aller Art. Geschäftseröffnungen.
Festlichkeiten usw.
Berliner Morgen=Zeitung
Berlin SW. 19
Ausschnitt aus der Nummer vom:
A MAl 924
Schnitzler und Tolstoi
Moissi im Deutschen Theater
Alexander Moissi präsentierte sich in zwei sehr ver¬
schiedenartigen Stücken, in Schnitzlers feinsinnigem Einakter
„Paracelsus“ und in Tolstois gedankenreicher, milieustarker
Komödie FEr ist an allem schuld", um sich seiner Gemeinde
von zweigverschigdenen Seiten zu zeigen. Von denen nur eine eine
gute way Deik über geheime Kräfte der Seele und des Verstandes
verfühenden „Zaubermeister“ Paracelsus, der den Philistern doku¬
mentiert, daß leben träumen und träumen leben ist, daß Gedanke
und Wirklichkeit sich unscheidbar ineinander verweben, ist Moissi
nicht gewachsen, der zwar das Wort und die Geste beherrscht — die
letztere bisweilen zu sehr —, den aber doch tiefste Innerlichkeit und
vor allem die suggestive Kraft abgeht. Eine starke, bedeutsame
Leistung ist dagegen sein russischer Vagabund, der die Erzgaunerei
hinter der kommunistischen Phrase zu verstecken sucht, aber durch die
Güte der Mitmenschen bezwungen wird. Hier gibt Moissi eine Ge¬
stalt von ergreifender Schlichtheit, von rührender Menschlichkeit.
Unter Richard Gerners eindrucksvoller Regie sekundierten ihm die
seine, stille Renée Stabrowa, der derb=kernige Walter Brandt, die
temperamentvolle Johanna Terwin, die anmutige Grete Mosheim,
der jugendlich=frische Walter Rilla. Das volle Haus zollte der Auf¬
führung, vor allem Moissi, starken Beifall.


S
esbazres esurschet TeUnes-Aussennwr-ecao
BERLIN SO 16, RUNGESTRASSE 22-24
Bearbeitet die deutsche und ausländische Presse auch auf Inserate.
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Berliner Börsen=Zeitung
Abendausgabe
erlin,
Ausschnit ausderAA#
Moissi als Tolstoi= und Schnitzler=Typus
Deutsches Theater.
Moissi beweist Geschmack. Wenn er ein Programm
zusammenstellt, das die Vielfältigkeit seiner Kunst zeigen
soll, so versteht er es, dabei das literarische Niveau zu
wahren. Er greift nicht nach nur andeutenden Rollen, um
eine Gestalt eigenmächtig auf die Bühne zu stellen, sondern
er nimmt fest umrissene Typen und füllt sie mit persön¬
lichem Leben, gibt einem Typus —
die Individualität.
Was größere schauspielerische Kunst verlangt, ist schwer zu
sagen. Der Eine setzt seine Persönlichkeit in leeren Raum,
der Anderg versenkt sich liebevoll in einen gegebenen
Menschent#bus und verwandelt sein Ich. Dort ein Sich¬
Selbst=Duechsstze mit Beionung irgend einer besonderen
Charakterigenshaft, hier ein Zusammenschmelzen des
eigenench Mit fremden Menschentypen.
Moissi wählte zwei Konträr=Typen: den Stärksten und
den Schwächsten, die sich aber in einem Punkte berühren —
sie stehen außerhalb. Theophrastus Bombastus Paracelsus,
Charlatan und Arzt, Magier aus Kenntnis der hypnotischen
Kräfte, ohne ihr Wesen zu verstehen, und darum ungewiß,
was an seiner Kraft Wahrheit und was Trug ist, kann
Schicksal seinen Mitmenschen sein. Moissi gibt dieses
Schicksal mit der Gauklermaske, diesen unsicheren Be¬
herrscher der Seele, der selber jedesmal in unbekanntes
Land schaut. Er freut sich seiner Kraft wie eines noch nicht
gewissen Besitzes, er triumphiert, wenn sie wirkt, frohlockt,
wenn er die Selbstbewußten schwanken macht, und be¬
gleitet doch alles mit Charlatanallüren, denen man die
Sorge um den Eindruck auf den Andern anmerkt.
So
schafft er weit über den Schnitzler hinaus den für
Andere so #tarken Schwachen.
Und dann der Antipode der Wanderbursche mit den
unverdauten hochtrabenden Phrasen, der armselige Bettler,
der seine Haltlosigkeit, seine diebischen Neigungen kennt
und sie durch vornehme Posen vor sich selbst beschönigt.
Der für Andere so schwache Elende, der doch innerlich so
stark ist, daß er lieber sich totschlagen lassen will, als daß er
es erlaubt, eine Frau zu schlagen; der so stark ist, lieber
jeden Schimpf zu ertragen als menschliche Behandlung,
wo er sich doch einer Lumperei schuldig weiß, eines Dieb¬
stahls bei den ihn freundlich aufnehmenden Bauern.
Moissi gab hier sowohl den unter der Landstreicherhülle
schlummernden Menschen wie
vor allem
den
Wanderburschen des russischen Volkstyps, einen seelischen
Zwitter mit dunkler Empfindung für das Berechtigte, mit
ironischer Selbsterkenntnis, mit innerer Haltlosigkeit und
nihilistischer Ansteckung, wobei natürlich dies alles über einem
guten Menschenkern gelagert ist — wie es bei Tolstoi
nicht anders sein kann.
Diese zwei Gegentypen versah Moissi auch mit zwei
grundsätzlichen Naturen. Der rabenschwarze Paracelsus
dämonisch, prahlerisch, heftig, voll Stolz und Empörung des
geistig Ueberlegenen, mit Bewußtheit außerhalb der bürger¬
lichen Ordnung stehend, der sich nie und niemals unter¬
ordnen will. Der flachsblonde Wanderbursche, schüchtern,
aus Schüchternheit frech, sich leicht und gern anbiedernd,
dann lustig, unbekümmert, ein froher Geselle, aus Halt¬
losigkeit außerhalb der bürgerlichen und jeder Ordnung. —
Kein Wunder, daß diese Leistung begeistert ausgenommen
wurde.
Im „Paracelsus“ hatte Moissi Walter Brandt
und Renée Stobrawa zu Partnern. Brandt gab
lebensecht den selbstsicheren, erdenfesten Waffenschmied und
Ratsherrn und machte das Aufkeimen des Zweifels und den
Uebergang zu der resignie#ten Einsicht durchaus glaubhaft.
Bei der schwachen Charakterisierung des Stückes eine be¬
achtenswerte Leistung. Die Stobrawa kam aus sich nicht
heraus, ihre Wahrheit wie ihr Traumgesicht überzeugten
nicht.
In Tolstois „Er ist an allem schuld“ war
wieder Brandt der innerlich gutmütige, wenn auch jäh¬
zornige und rohe Bauer. Johanna Terwin gab seine
Frau. Beide gut in einzelnen Momenten bei der Dar¬
stellung der verschiedenen Stimmungen, aber beide ohne
das typisch bäurische Naturell. Das Milieu war nicht vor¬
handen. Für die Regie zeichnete in beiden Stücken Richard
Gerner verantwortlich. Sie war diskret, unaufdeinglich,
aber etwas langatmig. Mit Moissi kam und verschwand
das Leben auf der Bühne.
M. Charol.