II, Theaterstücke 9, (Der grüne Kakadu. Drei Einakter, 1), Paracelsus. Versspiel in einem Akt, Seite 43

Paracelsus
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einbezogen und als steigernde stilistische Kunstmittel gebraucht
werden: Thomas Manns „Zauberberg“, der sicherlich mehr zur
Freie Fahrt für Bobe!
„Vermenschlichung“ — das heißt eben nicht Popularisierung —
der Medizin beigetragen hat als viele Dutzend volkstümlich=auf¬
„Reformator der Reichsbahn“
klärender Schriften aus noch so wohlmeinender und geschulter
Auf ein deutsches Original, den Möbelfabrikanten und
Daß wir Gundolf selbst auf seinem Gebiet zuallererst die Rück¬
Lyriker Carl Bobe macht die amüsante kleine Bibliophilen¬
führung der wissenschaftlichen Sprache vom Gelehrten=Jargon zum
zeitschrift „Der Bücherhort“ aufmerksam. Aus ihrer Schil¬
als
schönen Stil, zur Dichtung verdanken, daß ihm Geschichte schre.ben
derung geht hervor, daß Bobe sich auch praktisch,
nicht viel Geringeres heißt als ein Kunstwerk formen, dafür ist
Reformator der deutschen Reichsbahn, betätigt hat. Wir
auch der „Paracelsus“ wieder Beweis. Freilich geht sein be¬
geben Bobes Bericht wieder, ohne seine Methode unbedingt
wußter Stil=Wille manchmal ein bißchen weit und tut unversehens
zur Nachahmung zu empfehlen:
jenen kleinen Schritt, der die virtuose Sprachbeherrschung von der
Bobe, der als Möbelfabrikant in Oerlinghausen im Teuto¬
Manier trennt. Wenn Gundolf über „eigenwütigste Neutöner
burger Walde lebte und dort im Zeitraum von zwei Jahren
und Urschreisucher“ mit ihrer „Sucht nach Ballungen, Steilungen,
neben allen seinen anderen wichtigen Beschäftigungen noch Zeit
Knallungen und Heulungen“ sich lustig macht, so empfindet man
fand, über fünfzehnhundert Gedichte zu verfassen, wurde in
es desto peinlicher, wenn er selbst von einem „trauten Werde¬
Deutschland durch seinen aufsehenerregenden Streit mit dem
schauer“ spricht (mit dem Paracelsus „Natur empfing“), oder gar
Reichsverkehrsministerium bekannt. Als „Welt¬
von einer „regen Schmeidigung der Sprache“.
verkehrsreformator“ stellte sich Bobe einen „Freifahrt¬
Daß die geisteswissenschaftliche Schau, die Charakterisierung und
schein“ aus, der oben links mit seinem Lichtbild versehen war
Deutung ganzer Zeitströmungen von einer ganz außerordentlichen
und die gedruckte Ueberschrift trug: Freifahrtschein zur Benutzung
Klarheit, daß der Paracelsus in anspruchsvoll Gundolfschem Sinne
alle bestehenden und noch entstehenden Verkehrsmittel innerhalb
„gestaltet“ ist: das bewundern wir wieder an diesem verhältnis¬
des Weltalls. Mit diesem Schein fuhr Bobe, wohin er wollte.
mäßig schmalen Zwischen=Werk. Und sollte es wahr sein, daß es
„Bald hagelte es Strafbefehle, ich bezahlte sie nicht, sondern reimte
ein eigenes Krankheitserlebnis war, das Gundolf zu dem Arzt
die Behörden humorvoll an. Bei der Eisenbahn=Verkehrs=Inspektion
Paracelsus geführt hat, so wünschen wir uns, daß er bald die
Vielefeld beschwerte ich mich über meine eigene unzulässige Ma߬
volle Gesundheit finde zu dem großen Shakespeare=Buch, das er
nahme und verlangte gesetzliche Bestrafung. Man sagte mir, das
Heinrich Mühsam
versprach.
Gericht könne mich nicht als zurechnungsfähig ansehen und lehne
ein Strafverfahren glattweg ab. Ich fuhr lustig weiter und setzte
mich mit mehr oder minder ernst und heiteren Hindernisszenen
überall bahnfrei durch. Mein Kampf ging froh und heiter, stets
zielbewußt weiter.
Georg Kaisers „Präsident“
Am 8. Januar 1920 fuhr ich nach Berlin und kündigte den
Stationen Oerlinghausen sowie Bielefeld meine Freifahrtreise
Komödienhaus
tags zuvor schriftlich an, traf mit Sack und Pack auch glatt in
Die Kritik respektiert Georg Kaisers Namen, indem sie seine
Berlin ein, drückte meinen Schein dem Schaffner am Bahn¬
hof Friedrichstraße, unter den Augen der Polizei, mit Friedens¬
Premieren selbst im Schmelzofen der Julibül besucht. Aber sie
ministeriumstempel versehen, als „amtlichen Ausweis“ in die
erweist diesem Namen die tiefste Reverenz, wenn sie möglichst
Hand nebst den Worten, er habe den Schein zu behalten.
wenig über den „Präsidenten“ spricht. Ein frühes Werk aus un¬
Einige Tage später ging ich in das Reichseisenbahn¬
reifer Schaffenszeit, mühsam modernisiert, das ist diese Komödie
ministerium, stellte mich Herrn Geheimrat Knebel als Welt¬
ohne Komik.
verkehrsreformator vor, erzählte ihm, daß ich die Eisenbahn kon¬
Sie spottet über einen Wichtigmacher mit dem Lebensprogramm:
trolliert hatte und gegen die Gültigkeit meines Freifahrtscheins
man muß von irgend etwas Präsident sein, ganz egal wovon.
wegen Unachtsamkeit des Fahrdienstpersonals Beschwerde führen
Ein Pariser Advokat, so gesonnen, wird Vorsitzender eines Kon¬
müsse. Gegen solche Lotterwirtschaft wolle ich zwang¬
gresses zur Bekämpfung des Mädchenhandels. Er spricht nicht
läufige Kontrollen darbieten, und um die bisher vergeblich nach¬
wie die Sozialisten: das Ziel ist nichts, die Bewegung alles.
gesuchte Gelegenheit zu Reformvorschlägen ihn persönlich bitten.
Nein er sagt: die Sache ist nichts, die Präsidentenglocke alles.
Schnell bekam ich dann den erwarteten abschlägigen Bescheid
Hätte Kaiser diese Situation aus ihrem eigenen Gesetz ent¬
und die Ankündigung, daß man mich wegen des Freifahrtscheins
wickelt, so wären wir um eine schöne Posse reicher. Aber in
gerichtlich belangen wolle und vom Eisenbahnverkehr völlig aus¬
schwachen Stunden seiner Inspiration ist ihm nur eine morali¬
schließe. Am 28. Februar 1920 fand das Verfahren statt, und
sierende Tochter des Präsidenten eingefallen, frisch aus dem Kloster
am 6. März erhielt ich folgenden Beschluß: „Sie werden hiermit
entlassen. Weil sie ihres Vaters Mangel an Ernst ausgleichen will,
in Kenntnis gesetzt, daß das gegen Sie eingeleitete Verfahren
fällt sie zwei Hoteldieben ins Retz, und der Präsident muß den
wegen Betruges, begangen durch wiederholtes Fahren auf der
Glanz seines Amtes mit seinem Vermögen bezahlen. Seine Narr¬
Eisenbahn ohne Fahrkarte, eingestellt wird, da eine schuldhafte
heit begeht also keinen Selbstmord, sondern sie wird von außen
Tat nicht vorliegt.“
her erschlagen.
Erneut trat ich nun an das Reichseisenbahnministerium heran
Wie reich ist die Theaterstadt Berlin noch im Hochsommer! Wie
und bat nochmals um Gelegenheit zu Reformvorschlägen, indem
opfermutig sind ihre Schauspieler! Julius Falkenstein
ich gleichzeitig die gerichtliche Verkündung wegen meiner als
hat das Schicksal des Präsidenten sicher genug geahnt, um sich mit
schuldlos abgeurteilten Freifahrtmaßnahme als ein mir nun zu¬
dem Erlernen seiner Worte keine überflüssige Mühe zu bereiten.
stehendes Recht begründete. In Berlin legte man sich aufs Still¬
Aber er legte, der Arme, am tropischen Schiffbauerdamm Geh¬
schweigen. Ich fuhr aber lustig weiter auf der Eisenbahn und
rock, Zylinder, Handschuhe an, und er krächzte auf sein rauhes
ordnete als Diktator beim Ministerium an, daß sämtliche
Falkensteinisch jenen Furor, den Georg Kaiser diesmal beizu¬
Beamten von der Gültigkeit meines Freifahrtscheines in
steuern versäumt hat.
Kenntnis zu setzen wären, bei Beanstandungen würde i
Das Diebespaar: Hedwig Wangel und Oskar Sima —
sofort die Rotbremse ziehen. Bald hielt mich
also der Humor der Zweideutigkeit und die scharf zuschnappende
dann im Zuge ein Schaffner ganz energisch an. Ich schritt zur
Präzision der Kaltblütigkeit.
— und ein Ruck: der Zug stand mittels Natbremsel
Tat
Endlich die Tochter mit der idealen Forderung: ein neues
Drohungen und Fluchworte drangen auf mich ein, doch im Herzen
Gesicht, Marianne Hoppe. Schlanke Jugend und ein Blick
leuchtete mir Sonnenschein. Auf der nächsten Station, in Biele¬
aus dem tiefen Brunnen kindlicher Illusionen heraus. Dieses
feld, verlangte ich meine Verhaftung, aber sie wurde abgelehnt,
unbekannte Fräulein weiß ihren Körper noch nicht zu halten.
man ließ mich weiterfahren. Ich teilte nun der Eisenbahn¬
Aber sie scheint zu den Berufenen zu gehören, die gefördert wer¬
direktion jede Bremsung telegraphisch mit, z. B.: „Notbremse
M. J.
den müssen.
und Ziererei, schied sie ein wenig von den übrigen Be¬
wohnern der Pension; aber dennoch konnte, ehrlich gesagt,
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dem Taubenglück dieses harmlosen Paares niemand ernst¬
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