II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 19

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8. Freiwild
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spieler sich aus einander legen sehen, löst sich in scharf
geführter Konvergenz zum Schluß die eine Szene: der Ge¬
liebte der reingebliebenen Schauspielerin ohrfeigt den
Offizier, der dieser nachgestellt hatte und über ein unwill¬
kürliches Lächeln jenes Mannes gereizt wurde.
Von diesem Punkte an verläßt Schnitzler sein Milieu
so ziemlich und schreibt ein „Stück“. Der freie Mann
lehnt im zweiten Akt die Forderung des Offiziers ab; er
habe nicht Lust, sein Leben einem Lumpen zu opfern, der
von ihm bereits genügend gezüchtigt sei. Ein Kamerad
des Fordernden kommt zu ihm und erklärt ihm: wenn
sein Freund sich nicht schlage, müsse er sich selbst beseitigen
und werde vorher zweifellos seine Rache nehmen. Er
schlägt ihm sogar ein Scheinduell vor, er appelliert als
Mensch an den Menschen. Jener bleibt fest: man könne
nicht verlangen, daß er um des Lebens eines Lumpen
willen sein Leben aufs Spiel setze oder eine schändliche
Komödie spiele. Der dritte Akt bringt das notwendige
Ende. Der Offizier schießt seinen Feind auf offener
Straße nieder, um ihm bald zu folgen. Jener hat den
„Holzkomment vor sich gesehen; er ist ihm mit Mut ent¬
gegengegangen, nachdem er ihm nicht hat ausweichen
können, ohne feig zu scheinen; noch im Tode zieht er
die Pistole, die er für diesen Fall in der Tasche ge¬
tragen hat.
Die Auseinandersetzung mit der groben Außenwelt,
nitzler bei der „Liebelei“ nur streift, hat er hier so
sehr zum Thema des Stückes gemacht, daß einige glauben
konnten, er habe ein Tendenzstück schreiben wollen. Der
Dramatiker in ihm suchte — und hat den Dichter er¬
tränkt. Das Milieu der Liebelei hatte er in wenigen Ge¬
stalten scharf umrissen und ganz ausgeschöpft; das Milieu
des Freiwilds hat er breiter angelegt, eine Fülle präch¬
tiger Typen rechts und links herauswachsen lassen, aber
der Fluß staute sich an der „Schriftstellerei", der beiden
letzten Akte, und gar die beiden Vertreter des freien
Wildes konnten aus Trägern nicht zu Menschen werden.
Nur in einer wunderbar diskreten und echt empfundenen
Liebesszene des zweiten Aktes eröffnen sie den Horizont
ihrer Welt, wie sie ein Dichter schaut. In diesem Akte
hat man noch das Gefühl dafür eine ähnliche Szene im
dritten Akt dagegen, in der der Offizier von einem herz¬
lichen Kameraden in stillster Zwiesprache auf die Möglich¬
keiten einer weiteren Existenz hingewiesen wird, bleibt
stumpf. Aus ernsten Szenen, die zu theatralisch heraus¬
kommen, und lustigen Szenen, die nur wie Kontrastlichter
wirken, erhebt sich hier ein unruhiger Aufbau, der nichts
ist als die notwendige Folge des gesamten Dispositions¬
fehlers. Es ist, als ob die schöne Welt des Freiwilds so
breit angelegt wäre, daß sie vom zweiten Akt an Angst
bekommt, kein „Stück“ zu werden.
Oskar Bie.
Dresdener Bericht.
Das Dresdener Hoftheater hat die zweifelhafte Ehre,
nicht nur das erste Theater, sondern auch zugleich das
erste Hoftheater zu sein — leider vermutlich nicht auch das
letzte — an dem der neueste Mummenschanz der Kompag=
niefirma Franz von Schönthan und Exintendanz¬
rat Franz Koppel=Ellfeld in Szene ging. Konnte
man den letzteren als Dramaturgen aus bekannten Gründen
nicht mehr halten, so mochte man ihn doch als „Dichter
nicht entbehren und mußte es sich dann auch gefallen lassen,
daß er den Rufen der Menge folgend als Stehaufmännchen
auf derselben Bühne wieder auftauchte, von der man ihn
gänzlich in der Versenkung verschwunden glaubte. Nach¬
dem einst Lindau auf der Dresdener Hofbühne eine Stätte
bereitet worden war, auf der er den Bann Berlins wohl¬
gemut ertragen konnte, wird diese liebevolle Wiederauf¬
nahme des einstigen Dramaturgen tiefer Blickende kaum
überrascht haben. Nach Erledigung dieser persönlichen
Fragen, die leider für die Auffassung von künstlerischer
Ehre sehr bezeichnend sind, brauchen wir dem neuesten
Werke der beiden Herren, die Arm in Arm den Geschmack
des zu Ende gehenden Jahrhunderts versimpeln helfen,
nicht viele Worte zu schenken. „Die goldene Eva“ steht im
Zeichen des Erwerbes, nicht in dem der Kunst. Gemein¬
gefährlich ist sie nur deshalb, weil sie den Schein der
Kunst sich borgt, um desto schneller zu dem Ziele vor¬
zudringen. Wollte das Stück nichts sein als eine Posse,
so könnte man es mit so vielen anderen seines Gleichen
unbeachtet seines Weges gehen lassen, aber es schielt mit
dem einen Auge nach oben, mit dem anderen nach unten,
es ist zu ernst gemeint, um Posse zu sein, zu läppisch,
um als Lustspiel zu gelten. Es putzt sich auf mit den
Kostümen des 16. Jahrhunderts und bringt eine Schwank¬
handlung des 19., es paradiert mit Versen und ist matte,
banale Prosa, die ohne Scheu das neue Kalau in das alte
Augsburg verlegt, es hat sich bei Blumenthal, L'Arronge
und Shakespere etwas abgesehen, ist in einer pathetisch¬
schwungvollen Stelle bei Baumbach in die Schule gegangen
und gibt sich doch als Originalprodukt einer neuen höheren
Richtung im Lustspiel. Es will durch den Vers adeln und
zieht eben durch den Mißbrauch des Verses zu einer saloppen
Alltagsware die Kunst herunter. Bei der Verwilderung
unseres Geschmackes ist diese Zwittergeburt aus Poesie
und Banalität geradezu gefährlich. Das Publikum acht
und oht, ruft herzig, sinnig, wonnig und minnig und
findet alles zu reizend". Wie herrlich die Kostüme, wie
interessant die Dekorationen, und wie so nett, so gerade
wie bei uns die Handlung! Wir sinken allmählich auf
den Urzustand der Bühnenkunst zurück. Die Fastnachts¬
narren, die in Nürnberg herumsprangen, freuten sich auch
ihrer bunten Kostüme, ihrer Verhüllung, ihrer Unkenntlich¬
keit, aber sie waren noch naiv. Die Väter der goldenen
Eva sind es nicht, sie berechnen mit mehr oder weniger
Geschick, das Publikum aber kennen sie genau. Es ist jedoch
anzunehmen, daß die Menge, die der Mode bald über¬
drüssig wird, auch dieser Mode bald überdrüssig wird.
Einstweilen mag der Mummenschanz noch eine Weile gehen,
dann wird er in die Ecke geworfen wie so viele Mode¬
narrheiten, von denen die Enkel dann, kopfschüttelnd, nicht
begreifen, wie man „so etwas hat schön finden können.
Kinder müssen alt werden, um zu erkennen, vielleicht wird
es das Publikum auch einmal und wundert sich dann,
wie es ihm möglich war, in einem Atem Schiller, Shake¬
spere und Hebbel Beifall zuzurufen und den Vätern der
goldenen Eva. Als Drama steht das Stück noch unter
„Renaissance“, die Handlung ist allzu mager, die Episode
wuchert üppig, die Sprache ist gemischt, und nur einzelne
Szenen erinnern an das sympathische Unterhaltungstalent,
das Schönthan früher bewiesen hat. Aber auch ihnen
schadet das anspruchsvolle Kostüm, das Erwartungen
herausfordert, die in keiner Weise erfüllt werden.
Leonhard Lier.
Münchener Bericht.
Es sei mir erlaubt, heute an dieser Stelle auf die
Bemerkungen Max Kochs über unsere Theaterverhält¬
nisse mit einigen Worten zu antworten.