II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 18

8. Freiwil
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anschließen müssen, der ihm die „goldene Eva“ ins Haus
brachte. Seit dem vor langer, langer Zeit gegebenen
Braccoschen „Untreut hat das Lessing=Theater keine
Rolle gespielt, und wer Berlin kennt und die Stimmung
des Publikums beläuscht, ist sich darüber klar, daß „man
in dieses Theater nicht mehr geht. Es gibt eben große
Gruppen im Publikum, literarische Gruppen, französelnde
Gruppen, Zirkus=Gruppen, die in der ganzen Welt neben
einander leben und auch hier neben einander sich halten,
weil eine große Stadt das notwendige Miniaturbild der
Welt ist. Wenn dabei vielleicht der Schwankgeschmack
etwas stärker in den Vordergrund treten sollte (was ich
noch nicht einmal bemerke, so wäre auch das eine Folge
der Großstadt, die hinweg zu dozieren eine Danaidenarbeit
ist. Ich denke gar nicht daran, Berlin in Schutz zu
nehmen, mir ist Berlin sehr gleichgiltig und sein Trubel
ist mir nur ein notwendiges Uebel — aber wenn man
immer in so malitiösem Tone vom Berliner Geschmack
reden hört, so muß ich doch sagen, daß es für einen Kenner
hiesiger Verhältnisse den Berliner Geschmack überhaupt
nicht gibt und daß vorläufig im Programm des erfolg¬
reichsten Theaters, des „Deutschen", ein so rein künstle¬
risches Wesen waltet, wie es sich bei keiner zweiten Bühne
Deutschlands trifft, weil keine solche Schauspielermittel
hat und keine sich so rein halten kann, insofern als die
starke Konkurrenz allen Kehricht des öffentlichen Geschmacks
ganz von selbst hier abführt.
Im Bereich des Schwankes fiel in letzter Zeit, nach¬
dem Jarno und Fischer ihrem trefflichen „Rabenvater
leider eine mißlungene „Vielgeliebte“ hatten nachfolgen
lassen, ein Stückchen von Hirschberger und Kraatz
auf, das das „Neue Theater“ gab: „Bocksprünge". Wie
fast alle Schwänke, existiert es nur durch seinen zweiten
Akt, in dem zwei komische Ideen zu recht guter Wirkung
gebracht werden: erstens die Verwandlung eines schlaf¬
mützigen Provinzialen durch Einimpfung von Bockblut
(neue Theorie) in einen menschlichen Satyr, und zweitens
die Parodie der Szene aus der Kameliendame, in der
Armand von seiner Geliebten Abschied nimmt. Der
Alte in dem Schwank glaubt nur an die Heiratsfähigkeit
seines Schwiegersohnes, wenn dieser vor seinen Augen
seine Geliebte verabschiede. Aber der hat nun gar keine!
Er muß sich schließlich eine nehmen, um sich von ihr ver¬
abschieden zu können. Er findet eine Chansonnette zu dieser
Komödie bereit, welche gern Schauspielerin werden möchte.
Und nun spielen sie dem Alten die Kameliendame vor¬
sie spielt, wie eben eine Chansonnette diese Rolle spielen
kann. Der Alte aber wird von diesem falschen Pathos in
seiner provinziellen Seele so gerührt, daß er — es nicht
übers Herz bringt, die beiden zu trennen. Das ist eine
lustige Wendung.
Im „Schauspielhaus", dem Hort des Familiendramas
und der bittersten Harmlosigkeiten, passiert manchmal etwas,
in der feinsinnige Oberregisseur Grube durch eine glück¬
liche Fügung von Umständen seinen eigenen Willen be¬
thätigen kann. Diese „literarischen Abende mögen seine
glücklichsten Stunden sein. Beim alten Drama hat er
freies Spiel, wir sehen dort die alten Spanier, öfters
auch Shakespere, und mit besonderem Interesse Grillparzer
und Hebbel auferstehn. Mit den neueren Stücken muß er
vorsichtig sein, denn gegen das Neue herrscht in diesen
Räumen eine apriorische Abneigung, die nur durch Skowron¬
neksche oder Lotharsche Biederkeiten oder durch patri¬
otische Salven versöhnt zu werden pflegt. Neulich wagte
man wieder einmal etwas: man führte ein Stück von
Dreyer auf, der immerhin nicht zu den Publikumsdichtern
gehört. Es ist ein Scherzspiel in altdeutschen Reimen,
welches „Eine heißt, weil aus der wiedertäuferischen
Vielweiberei, die den Hintergrund bildet, schließlich eine
ernste Magd als Vertreterin der vernünftigen Monogamie
übrig bleibt. Ein derber niederländischer Ton geht hin¬
durch und gar im zweiten Akt, wo ein Landsknecht mit
drei Mädeln auf seine Bude zieht, aber, nachdem sich alle
verzankt, sich unbeweibt auf sein Strohlager strecken muß,
gibt es viel Material für Teniers und Ostade und auch der
Schuß Lyrik mangelt nicht. Aber schließlich hält das Ver¬
gnügen an diesen Dingen nicht lange an, es ist eine Art
kunstgewerblicher Genuß, der mit dem Augenschein kommt
und geht. Ein literarischer Nachgeschmack bleibt zurück.
Sie straft sich immer, die Empfindung, die nicht aus dem
Innern kommt, sondern erst ein Medium braucht; und die
Lustigkeit braucht noch mehr ursprünglichen Witz, um aus
einem modernen Fastnachtspiel alle Arbeit, alle theoretische
Liebe herauszubringen.
Das Deutsche Theater hatte seinen letzten Erfolg wir
Arthur Schnitzlers „Freiwild". Schnitzler ist ein stark
musikalischer Mensch, auch in seinen bisherigen Dichtungen.
Er ist unter den modernen Dichtern der „unter dem
Strich" lebenden Menschen derjenige geworden, der das
Feuilleton dieses Lebens, die Musik dieser freien Exi¬
stenzen mit der zartesten Lyrik besungen hat. In seiner
„Liebelei hatte er das Milieu der herzigen „Verhältnisse
in so echten, heinlich süßen Tönen geschildert, daß man
warm wurde vor Sympathie. Zum Schlusse dieses
Stückes hat er versucht, das intime Milieu dieser Menschen
mit der groben Außenwelt auseinanderzusetzen
grobe Außenwelt hatte nur so hineingeguckt, außerhalb der
Kulissen fiel Fritz in dem Duell mit dem Manne, dessen
Gattin er liebte. Die Vorgänge sehn wir nicht, wir sehen
nur die Wirkungen; und so wurde der Dichter, der hier¬
mit eine starke Hebung des Schlusses erzielte, nicht darin
gestört, das Milieu seiner geliebten Menschen, mit allen
Nebenästen, breit und innig auszumalen. Darum ist
„Liebelei besser und echter geworden, als „Freiwild“.
Auch im „Freiwild“ ist das Milieu von Menschen gebildet,
die unter dem Strich leben. Er ist ein freier Mann, der
Liebe am Leben empfindet, der einem Lumpen von Offizier
nicht Satisfaktion geben will, weil er ihm schon seine
Ohrfeige gegeben hat — sie ist ein armes Mädchen, das
zur Bühne geht, um zu verdienen, und wiederum nur ver¬
dienen kann, wenn sie sich prostituiert. Das ist das Frei¬
wild — sie jagen nach ihr, weil bei ihr Existenz und
Prostitution sich bedingen, und sie jagen nach ihm, weil
er dem Koder der Gesellschaft trotzt und durch seinen Trotz
den Andern unmöglich macht. Freie Menschen, die mit
ihrem Glücksbedürfnis in die Räder der Gesellschafts¬
schaftsmaschine geraten und von ihnen zerrieben werden
müssen.
Dieses wunderbare Milieu zeichnet Schnitzler im ersten
Akt mit meisterhafter Technik. Die Offiziere, die mit
Schauspielerinnen sich amüsieren, sind echte österreichische
Typen, halb deutscher Kodex, halb pariser Leichtsinn. In
einem Badeort fließen die Beziehungen zwischen Offizieren
und Bühnenmitgliedern leicht hin und her. Dazwischen die
Zivilisten, welche die Skala vom äußersten Offizierskoder bis
zum gewissenlosesten Leichtsinn der Bühnenwelt stufenweise
vermitteln. Aus diesen rauschenden Linien, in denen wir
die verschiedenen Nüancen der Offiziere und der Schau¬