II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 40

8. Frei

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Officier vornehmerer Richtung. Hr. Hermann Müller war wunderbar echt
als österreichischer Lieutenant. Die fremdländischen Uniformen waren
einer unbefangenen Erörterung der heiklen Frage nur förderlich. Die
Herren Reicher und Hans Fischer boten ebenfalls zwei prächtige öster¬
reichische Typen, eine ernste der Erste, eine sehr lustige, der Letztere
Den Schmierendirektor verkörperte Herr Thielscher so lustig wie natürlich
und auch Fräulein Eberty galt der lebhafte Beifall, der den einnehmend
wienerisch aussehenden Verfasser nach jedem Akt vor den Vor¬
hang rief.
„Das kleine Journal":
Arthur Schnitzler hatte mit seiner „Liebelei" so große Hoff¬
nungen rege gemacht, daß man auch seinem neuen Schauspiel „Frei¬
wild mit berechtigter Spannung entgegensehen mußte. Aus jenem
ernsten Drama sprach eine Fülle kluger und scharfer Beobachtung der
Menschen und des Lebens und Herr Schnitzler zeigte sich darin auch
reif in der schweren Kunst, natürlich zu sein. Auch in „Freiwild“
das gestern Abend mit sehr starkem Erfolge in Scene ging, ist
diese Kunst dem Verfasser treu geblieben, auch dies Schauspiel ist wieder
aus dem vollen Leben herausgegriffen, und wenn man nicht wüßte,
daß es schon vor Monaten geschrieben wurde, könnte man es in seiner
brennenden Aktualität fast aus dem Fall Brüsewitz hervorgegangen
glauben. (Folgt Inhalt.) Das Stück errang einen sehr starken
Erfolg, der sich nach jedem Akt in lebhaftem Beifall und
wiederholten Hervorrufen des Verfassers aussprach. Ver¬
dient hat es diesen Erfolg aber in erster Linie um des vielen, unge¬
wöhnlich gut beobachteten Beiwerks willen, das hauptsächlich den ersten
Alt füllt. Arthur Schnitzler schildert das Leben an einem kleinen
Sommertheater mit seiner Kunst und zahlreiche satirische Seitenliebe
fanden denn auch den stärksten Beifall. Mit scharfer Charakteristik trifft
er den Ton, der in diesen Kreisen herrscht, und jede einzelne dieser
episodischen Figuren ist fest und sicher gezeichnet.
„Berliner Zeitung"
In tiefster Ergriffenheit ist gestern das Publikum dem
fesselnden Konflikte gefolgt, den uns Arthur Schnitzler in
seinem Schauspiel „Freiwild entrollt hat. Dieser Konflikt liegt in
der Luft, es ist der Zusammenprall von militärischer und bürgerlicher
Ehre. Als nach der tragischen Schlußkatastrophe der Vor¬
hang fiel, blieb es einen Augenblick still im Hause, dann
brach wieder der stürmische Beifall aus, der, wie nach den
früheren Akten, so auch zum Schluß den Dichter wieder¬
holt vor den Vorhang jubelte. Das stoffliche Interesse der konse¬
quent und packend entwickelten Handlung ist so groß, daß die Hörer
vielfach allmählich wohl die große Kunst, die literarische Feinheit dieses
Schauspiels übersehen haben. Erst in die Schlußscenen kommen ein
paar Theaterzüge hinein und deshalb ist „Freiwild" als Ganzes nicht
eine so vollendet dichterische Arbeit wie „Liebelei“. In der Behand¬
lung der Nebenhandlung aber und des Milieus, in der tragikomischen
Schilderung der Theatermisère und der als Freiwild geltenden Theater¬
damen hat Schnitzler wieder Entzückendes geschaffen. In musterhafter
Vollendung dargestellt, hat das Schauspiel, von dem wir noch ein¬
gehend zu sprechen haben, eine tiefgehende Wirkung ausgeübt, wie noch
kein Theaterabend dieser Saison.
Die „Vossische Zeitung“:
Der Dichter der „Liebelei“ hat aus seiner Wiener Heimath
wiederum ein Stück Leben mitgebracht und damit auch dieses Mal
beim Berliner Publikum entschiedensten Anklang gefunden.
Nach jedem der drei Akte konnte die behagliche Gestalt des
blondbärtigen Dichters mehrmals vor die Gardine treten
und sich mit den Zuschauern in's freundlichste Einvernehmen
setzen. Das Wort „Ehre", das jetzt so viel und gespenstisch auf unseren
Bühnen umgeht, wird, wenn ich nicht irre, in Schnitzlers Drama gar
nicht ausgesprochen. Es steht weniger „die Ehre, als „der Muth" in
Frage. Die Gesellschaft giebt in ihrem klügeren Theile wohl oder übel
zu, daß unter den obwaltenden Verhältnissen moralischer Muth dazu
gehört, einen Zweikampf abzulehnen. Dieser moralische Muth wird aber
fragwürdig, sobald nicht der physische Muth feststeht; um diesen vor der
Welt und auch vor sich selbst zu beweisen, bleibt dem Gegner des Duells
nicht anderes übrig, als in der Schußweite seines Todfeindes zu bleiben
Das ist die unwiderlegliche Logik in diesem dramatischen Vorgang. Die
Zustände, wie sie nun einmal sind, fordern so wie so ihr Opfer. Ob
im Zweikampf oder ohne Zweikampf, ein blühendes, lachendes Leben
geht zu Grunde. In den Verhandlungen zwischen den Freunden und
den Parteien waren Erörterungen prinzipieller Art nicht zu vermeiden.
Trotzdem meidet Schnitzler, mit demselben künstlerischen Recht und
derselben künstlerischen Kraft wie Sudermann in „Fritzchen", jede un¬
künstlerische Parteinahme. Er stellt, freilich mehr aus Typen als aus
Individualitäten heraus, das Leben so dar, wie es ist, giebt jedem Für
und jedem Weder seinen besonderen Vormund und überläßt die Nutz¬
anwendung, das moralische Urtheil den Zuschauern, die in der That
gestern, durch Tagesereignisse miterregt, lebhaft Partei zu ergreifen ge¬
neigt waren. Jeder Parteigänger in der Dulfrage hörte gestern von
der Bühne herab, bald was ihm gefiel, bald was ihn empörte; man
konnte sowohl bei den Anhängern wie bei den Gegnern des konven¬
tionellen Ehrenkoder wiederholt ein leises Wechseln der Stimmung wahr¬
nehmen. Unser Kunsturtheil hat sich um dergleichen Tendenzlereien nicht
zu kümmern. Je freudiger es zu begrüßen ist, daß unsere jungen be¬
gabten Dramatiker nach der Mahnung des alten Göthe wieder hinein¬
greifen ins volle Menschenleben, um es in seinen lebendigen Zeit¬
konflikten kühn kräftig zu packen, desto ernster und strenger erhebt
sich die ästhetisage Hat der Dichter, was er wollte, auch gekonnt
Und wenn im Le el auch andere Gesichtspunkte maßgebend sind,
so ziemt sich an die Stelle nur auf diese Frage die Antwort. Die
Antwort ist diesmal freulich. Schnitzler's vieraktiges Drama ist
eine feine saubere Dichtung mit köstlichen Beobachtungen
des Wiener Lebens. Aus dem breiten Grund einer Situations¬
schilderung steigt der eigentliche Konflikt langsam und dadurch desto
jäher überraschend auf. Die ganze gemüthliche Frivolität im Verkehr
zwischen Offizieren und Theaterdächen entwickelt sich ohne viel Schärfen,
mit fast naiver Fröhlichkeit. Stark satyrisch ist nur der schuftige
Schmierendirektor geschildert, den Herr Thielscher köstlich spielte. Der
ewig weltschmerzlich=verdrossene Komiker, die leichte Fliege, der alles mit¬
wissende Kassierer Cohn, der geckenhafte Heldenspieler, der jedes Frauen¬
zimmer fragt, ob sie ihn noch nicht liebt — so trefflich sie vom Dichter
mit einigen wenigen, aber zuweilen recht safftigen Strichen hingeworfen
sind, so trefflich wurden sie auch von den meist österreichischen Schau¬
spielern dargestellt. In diesen durch einander gestreuten Gruppen, die
sich anfangs etwas ziellos zu bewegen schienen, steckt mehr individuelles
Leben als in den Hauptfiguren, die vom Schluß des ersten Aktes ab
ihr eigentliches Schachspiel beginnen. Der erste Akt des reizvollen Stücks
ist ein Milieuakt, der zweite ist ein Konfliktakt, im dritten wird nur der
Schluß gefolgert.
Die „National Zeitung“:
Die Duellfrage spukt augenblicklich in unserem Drama und die
Tagesereignisse befördern das Int esse von Stoffen, die sich mit dem
Begriff der Standesehre, ihrer Verletzung und Wiederherstellung be¬
schaftigen. Der Fall Brüsewitz ist noch nicht vergessen und schon be¬
gegnen wir auf der Bühne einen ähnlichen Vorgang, wobei ein Officier
einen Civilisten, der ihn beleidigt hat, tödtet. Der Verfasser der
„Liebelei Arthur Schnitzler, hat sein Schauspiel „Freiwild lange
vor der vielbesprochenen Tragödie geschrieben, er hat die beklagens¬
werthe Wirklichkeit nicht zu einem Stück verarbeitet, sondern sie als
Künstler geahnt und vorweggenommen. Seinem Wienerthum ist er
auch diesmal treu geblieben, der süddeutschen Leichtlebigkeit mit dem
heitern Anfang und dem traurigen Ende. (Folgt Inhalt.) Als Ganzes
gilt „Freiwild“ spröder im Inhalt und nicht so ausgearbeitet als
„Libelei. Dem Publikum des „Deutschen Theaters gefiel das Stück.
„Die Post“.
(Deutsches Theater.) Der hier als Autor bereits bekannte Herr
Arthur Schnitzler hat in seinem gestern der Oeffentlichkeit übergebenen
dreiaktigen Schauspiele, „Freiwild", zwei sehr aktuelle Thematra be¬
rührt; das eine streift die soziale Stellung, welche Schauspieler des
leichteren Genres in der Gesellschaft einnehmen, das andere und zwar
das Hauptthema, schlägt rücksichtslos in die gerade jetzt so brennende
Duellfrage. Um die von dem Autor zu Stande gebrachte Verquickung
dieser beiden Punkte zu einem Schauspiele näher zu beleuchten, müssen
wir uns in Nachfolgendem mit dem Inhalte des Stückes eingehender
beschäftigen. (Folgt Inhalt.) Damit mochte Herr Schnitzler, einen
Zünder in die Anschauungen geworfen zu haben, welche das Premieren¬
Publikum gerade dieses Theater hegt, denn es bereitete dem Autor
die spontansten Ovationen. Vermögen wir uns auch nicht mit der
Tendenz des Schauspiels einverstanden zu erklären, müssen wir doch dessen
Fassung als recht geschickt bezeichnen. Die Figuren sind scharf mit über¬
raschender Naturtreue gezeichnet. Die lustige, stets zum Soupiren ge¬
neigte Soubrette, ihr frecher Direktor, der Alles nur auf seinen Kassen¬
erfolg berechnet, sind ebenso schonungslos wahr, wie echt der sich lang¬
weilende vergnügungssuchtige Lieutenant und die gesinnungstüchtigen
Freunde der beiden Hauptpersonen. Der Auto wurde mehrfach
gerufen.
„Der Reichsbote".
Sein neuestes dreiaktiges Schauspiel „Freiwild", das am Dienstag,
den 3. November, unter großem Beifall im Deutschen Theater ge¬
geben wurde, ist eine Abhanglung über das Duell. (Folgt Inhalt.)
„Norddeutsche Allgemeine Zeitung"
„Freiwild“ nennt sich das neue Drama von Arthur Schnitzler
(über dessen starken Erfolg am gestrigen Abend im Deutschen Theater
wir bereits in der Morgennummer berichtet haben), weil der Verfasser
bestimmte Angehörige der Gesellschaft schildern will, die schutz- und
rechtlos jedem Angriff preisgegeben sind. Schnitzler meint speziell die
weiblichen Mitglieder eines kleinen Schmierentheaters, die in dem
kleinen österreichischen Sommerkurort, der den Schauplatz des Stückes
bildet, von den Offizieren, die ihren Urlaub dort verbringen, eben als
„Freiwild angesehen und demgemäß behandelt werden. (Folgt Inhalt.)
Wenn das Stück trotz einiger Mängel einen starken Erfolg
errang, so liegt die Erklärung, abgesehen von dem reinstofflichen Inter¬
esse, einmal in der vortrefflich gelungenen Milienschilderung und
andererseits in dem künstlerisch abgetönten Zusammenspiel einer Reihe
hervorragender Kräfte.