II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 98


unleuchtet. Es ist Alles jetzt minder gedämpft.
Es scheint, als ob eine Seele gereift wäre. Durch
das Florgespanst brechen nun strahlende
Farben. Der Schrei aus seiner Brust klingt
voller und machen wie im Schluchzen,
erschütternder.
Im Naturalismus, den er äusserlich ver-
lassen hat, ist ein neuer Mann erstanden:
Joseph Ruderer Fahrt er fort, wie er in der
Fahnenweihe begann, dann wird er bald
neben unseren Besten stehen. Dramatisch hat
er nicht einmal besondere Vorzüge. Er sieht
nicht immer bühnenmässig, er ist anfänger¬
haft breit, er hebt nicht scharf heraus. Er
differenzirt nicht alle Gestalten. Sein Humor
ruht weniger in Einzelcharakteren als in
grossen Gesammtverhältnissen. Aber in dieser
symphonischen Gestaltung gibt er die wunder¬
vollste menschliche Komödie. Er führt Dorf¬
bewohner vor, mit Städtern untermischt, und
zeigt die schlaue Energie des Menschen¬
thieres, das in einem Rahmen von bürger¬
lichem Anstand, Gerechtigkeit und Biderbheit
gaunerisch-brutal um den Vortheil ringt. Er
gibt entkleidete Seelen des irdischen Durch¬
schnittes. Das Alles wird ohne Galle ge¬
zeichnet. Ueber dem Gewimmel der komischen
Bestien sitzt der gesunde Dichter und blickt
zwinkernd abwärts: such is life! Die hübsche
Posthalterin, die zu einem blöden jungen
Protz Beziehungen hat; der naiv schlu¬
Gatte, der sie erlaubt und ihn schröpft; dieser
Gatte, der einen Knecht als zweiten Kost¬
gänger der lieben Frau ertappt und rasend
ausruft: »Wenn's wahr ist und Du hast mein
guten Namen befleckt...; dieser geruhig
priesterliche Phariser, dieser Amtsrichter,
dieser Bürgermeister, diese Stadtgäste alle
und diese Bauern ein harmonisches Band
umschlingt sie bei einer Fahnenweihe, unter
halb der Fest-Inschrift:
Nicht viele Worte machen wir,
Wir heissen Euch willkommen hier,
Und geben schlicht, ohne Falsch und Spott,
Nur unser biederes: Grüss Gott!
Es ist überwältigend. Bengalische Be¬
leuchtung, Gesang und drei Münchener Frauen
zimmer als costumirte, palmenschwingende
Friedensengel bilden den Höhepunkt. Im
Kern dieser lebensechten Komödie steckt
ine Art von Ewigkeitshumor.
Neben Ruederer's derbe Erscheinung tritt
die feine Gestalt Arthur Schnitzlers. Er
scheint neue Wege einzuschlagen und kam
diesmal als Problemdichter. Hier hielt er sich
zumeist in engen Grenzen; doch er gab starke
Anregungen. In Freiwilde sind zwei Menschen
als lebende Pole des Duellproblems constatirt;
ein Officier, ein grollgeladener, verzweifelter,
gewaltthätiger Mann, und ein Bürgerlicher,
der lebensfroh und unabhängig seine Forde¬
rung abweist. Schnitzler zeigt, als guter
Seelenkenner, wie auch im Moderneren der
Beiden ein Hang zu körperlichen Auskunfts¬
mitteln schläft und erwacht: der Schluss
sieht die Gegner in einem regellosen physi¬
schen Kampf. Wer fällt, ist für das Problem
gleichgiltig. Diesmal der Civilist. Im Bewusst
sein heutiger Menschen wird nun der Duell¬
verweigerer zum Helden; wenn schon des
Autors Vornehmheit bemüht war, beiden
Theilen gerecht zu sein. Dass dieser Held
blos von einer Seite gesehen ist, dass sein
Charakter vorwiegend aus Duell verweigerung
besteht: darin liegt der Fehler des Stückes
Dennoch ist es das Werk eines besonderen
Künstlers, der mehr als ein Problemstück zu
geben weiss. Ueberraschend wirkt hier eine
fortreissende, ganz ungewöhnliche dramati¬
sche Gewalt. Der Aufbau bietet Wunder¬
volles. Und aus dem Ganzen strahlt von
Neuem die glückliche und feine Schönheit,
um derentwillen wir in Deutschland diesen
Dichter so widerstandslos lieben.
Und sonst Renaissance, oriri, Die
officielle Frau und Kaiser Heinrich hatten
viel Zulauf. Der abendfüllende Todtentanz
des dramatischen Schriftstellers Herrn Suder¬
mann vollzog sich unter glatt functionirenden
Aufsehen. Das rührende Fritzchen, der Gothe
Teja mit der blutigen Schale und dem un¬
glücklich edlen Kern, zwei Leichen erster
Classe, traten auch in Wien neben dem
Maler und dem Marschall auf. Die Berliner
heute ist es nicht gelungen. Wildenbruchs
klirrendes Blechdrama, gab die Fortsetzung
der Heinrichshistorie. Der Sohn des Canossa-
gängers stand diesmal in der Mitte, der
Racher des Vaters. Schwere Strafe brachte
er ausser dem Papst den Hörern, die sich
bei einem vierstündigen Gebrüll krümmten.
Wilhelm der Zweite wohnte diesem Polter
Abend bei. Da er sich die Renaissancepoesie
des Dichters Schönthan und des Dichters
Koppel-Elfeld in vierzehn Tagen zweimal
vorspielen liess, verzichte ich tactvoll, sie zu
beurtheilen. Dagegen darf der officiellen Frau
nachgesagt werden, dass sie den höchsten
bisher bekanntgewordenen Schmierenreiz
bietet. Olden, der früher litterarische Ge¬
wissensregungen kannte, hat damit ange¬
kündigt, dass er gewillt ist, ein Bösewicht
zu werden.
Auch Max Dreyer verleugnete in dem
Versschwanz Eine bessere Zeiten. Er be¬
an als ein Seelenzerleger und endete hier
bei einem stylisirten Spassversuch, ohne rechte
Lustigkeit, mit den fatalen Abrundungen,
die Könnern zweiter Ordnung eigenthümlich
sind. Der betriebsame Rudolf Lothar lieferte
flink ein historisches Lustspiel des Titels
Königsidylle; er schuf es zu Ungarns
Ruhm, in Arien, Terzetten und bauchgrim¬
migen Versen. Requiescat. Die goldene Eva
erfreute sich keines längeren Lebens. Man
hätte sie geduldet, wenn sie nur historischer
Bierulk gewesen wäre; doch sie kam auch
wunniglich. Hartleben wollte humoristisch
und zugleich ein Sittengeissler sein. Man
nahm aber seine Sittliche Forderung nicht
als sittliche Forderung, sondern als Zötchen¬
schwank, als einen, der manchmal fein und
manchmal matt war. In dem Schauspiel »Ein
Ehrenworte bewies er seiner Gemeinde, dass
ihm auch jene Gegend nicht fremd ist, wo
die Kunst aufhört und die schüchterne Spe¬
culation beginnt. Immerhin, er ist Keiner
von den Schlechtesten.
Von der alten Garde kam Paul Lindau
mit dem Abend, einem wehmuthsvollen
Schauspiel Es birgt die Stimmung eines
Bankerotteurs, der sich in der tiefsten Zer¬
knirschung noch nicht entschliessen kann,
echt zu sein. Blumenal, der grosse Zwi¬
scherer, fiel mit seinem Einmaleins ab.
Dieser alternde Speculant hat jetzt Pech,
»Abu Saïd machte nichts, wenn schon die
blumigen Epigramme im Augenblick wirkten.
Es geht zu Ende.
Na, und so weiter. Wir müssen es dies
mal unterbrechen. Jedenfalls auch wir kochen
mit Wasser.
Fidus.
Berlin.
Concerte.
Die musikalisch reiche Saison hat eine Fülle
interessanter Ereignisse gebracht; bekannte Grössen,
neue Erscheinungen warben um die Gunst des
Publikums.
Man hat Sistermans gehört und Meschaert be¬
wundert. Der Holländer mit seinem Meistersange
gehört zu den bedeutendsten heute lebenden Sanges¬
künstlern. Neben Meschaert erregte sein alter 90
Röntgen, der seltsame Pianist, grosses Interesse.
Man bejubelte Gura, den tief angelegten Balladen¬
sänger, der einen Kranz herrlicher Werke Löwes,
zur Feier von dessen hundertjährigem Geburtstage
meisterlich sang. Wir hörten die Sängerin Gulbranson,
welche ihr Concert mit Grieg hätte geben sollen.
Da der nordische Musikdichter erkrankte, sang sie
allein, und vermochte warmen Beifall zu erringen.
Frau Sembrich, welche man die polnische Nachtigall
nennt, entfachte in zwei Concerten helle Begeiste¬
rung. Frau Bellincioni, die erst, ohne besonderen
Erfolg in Mascagnis letztem Opernwerke im Theater
an der Wien gesungen, vermochte auch im Concer¬
saale nicht besonders zu erwärmen.

Bruckners Todtenweihe gewesen. In ihrem zweiten
und vierten Concerte hörte man symphonische
Dichtungen von Dwork. Erfolgreich kamen in dem
Rahmen ihrer Veranstaltungen der Geiger Achille
Rivarde und die Pianistin Adele aus der Obe vor
das Publikum.
In zwei Gesellschafts-Concerten, brachte man
Mendelsohn's etwas veraltetes Werk Elias und
Haydn's Schöpfung. Edvard Grieg erschien in
einem grossen Orchester-Concerte am Dirigenten-
pulte und leitete seine Meisterwerke, bei deren Inter¬
pretation ihm der italienische Pianist Ferruccio
Busoni, Sistrans und die Singakademie glänzend
zur Seite standen. Die Streichquartette von Rose,
Hellmesberger, Fitzner fanden reichen Beifall vor
dem getreuen Publikum ihrer Concertabende. Es
hat sich die Nothwendigkeit ergeben, den kleinen
Concertsaal des Musikvereines zu adoptiren. Dort
waltet jetzt vor Allem Rosé mit seinem Quartette,
der unter anderem das As-dur Quartett von Dvorzik
Photogr. Stuckie von John S. Bergheim (Wien, Cam.-C.)
glänzend interpretirte. Das bekante böhmische
Streichquartett veranstaltete drei Abende und brachte
eine Sonate von Nedbal und ein Quartett von Suk.
Beide sind Mitglieder der erfolgreichen Künstler¬
vereinigung. In zwei Soiréen bot das Quartett Joa¬
chi das Vollkommenste auf dem Gebiete der
Kammermusik. Es waren die beiden Abende wirklich
genussreiche Ereignisse der Saison. Unzählige hei¬
mische und ausländische Pianisten, Geiger und
Sänger kämpften weiters um die Palme, ohne sie
völlig erringen zu können. Alfred Grünfeld siegte,
wo er erschien. Die kleine Szalit gab Proben wirklich
grosser Kunst, und die Geigerin Rosa Hochmann
fand vielen Beifall in ihrem Concerte. In einem
Wohlthätigkeitscondere erkannte man in der Toch¬
ter des Professors Schrötter eine stark veranlagte
Violinistin und hörte die bekannte Pianistin Fanny
Basch-Mahler mit besonderem Vergnügen, als eine
Meisterin ihrer Kunst. Die Trio Grünfeld-Zajis-
und Petri-Olsen-Beker erwarben sich viele Freunde.
Die Concertsaison geht mit glänzenden Programmen.
welche von den Concertarrangeuren Guttmann, Rose
etc. geboten werden und das allgemeine Interesse
fesseln müssen, wuchtig weiter.
Zarten Treibhauspflänzchen gleich, die zu früh
versetzt, im Freilande verkümmern, theilen die
edelsten und begabtesten Menschen oft dasselbe
Schicksal, wenn ihr Charakter noch nicht genügend
erstarkt ist, um die scharfe Luft der Oeffentlichkeit
Paula Baronin Bülow-Vendhausen.
zu ertragen.
Es sind nicht immer die Bedauernswerthesten,
die mit Jammerienen un Mitleid betteln. Wir gehen
ahnungslos an manchem schwergetroffenen Helden
vorbei, der wie der sterbende Gladiator mit heiterer
Miene den Todesstreich erwartet.
laula Baronin Bülow-Wendhausen.
Die Mission der moralischen Wohlthätigkeit
ist ein noch wenig cultivirtes Feld, trotzdem die
leichte Arbeit Jedem möglich ist. Wer kennt nicht
geistig Verschmachtende, warmherzige Einsame
denen ein verständnisvolles Wort, ein warmer
Händedruck, ein freundlicher Blick ihre dunklen
Stunden erhellt, ihnen wieder den Glauben an die
Menschheit zurückbringt! Mit geringen Mitteln so
Grosses zu erreichen, sollte uns zu schwer fallen?
Paula Baronin Bülow-Wendhausen.