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Nr. 46.
Die Gegenwart.
wenig complicirte Geheimniß Caprivis kommen. Und als eines herr¬
zurecht zu machen, was eigentlich zu zart und gebrechlich für die Welt
lichen Tages der Helgolandvertrag publik wurde, da bestand am Newsky-
der Pappendeckel ist. Nippes aus derbem Steingut. Herr Schnitzler
Prospect wie am Quai d'Orsay auch nicht der bescheidenste Zweifel mehr
liebt es gewiß nicht, ein Dichter genannt zu werden, weiß er doch, daß
Da wußte man, daß Deutschland mit ungeheuren Opfern den Eintritt
das moderne Theater mit einem wirklichen Dichter verwünscht wenig
Englands in den Dreibund erkauft, Afrika schweren Herzens aufgegeben
anzufangen wüßte. Er ist auch kein Dichter, aber unter den groben
hatte, um dafür im bevorstehenden europäischen Weltkriege jeder Zeit
Machern von heute berührt sein Gethue fast sympathisch, fällt sein
über die Flotte John Bulls verfügen zu können. Manche meinten
eleganter Kopf angenehm auf.
allerdings, daß Deutschland für Englands Eingliederung in den Drei¬
Mindestens, soweit man der „Liebelei" gedenkt. Im „Freiwild
bund doch wohl einen wesentlich zu hohen Preis gezahlt hätte, und
sieht schon Alles ein wenig anders aus, sudermännischer, handgreiflicher.
Manche meinten, daß der Friedrichsruher seinerseits mit Leichtigkeit von
Das Getändel der hübschen Emierenadeln mit den k. k. Herren
England Unsummen für die bloße Erlaubniß zum Beitritt erhalten
Lieutenants und den anscheinend stark nach Vöslau gravitirenden Bade¬
haben würde. Andere wieder sagten sogar, er hätte das exponirte,
gästen entbehrt wienerischer Eigenart und wienerischer, leichtfertig=frecher
immer in Gefahr schwebende Inselreich unter keiner Bedingung in die
Poesie. Man flirtet und scherzt, aber am Flirt und Scherz von der
Familie des Dreibundes aufgenommen. Doch genug an dem Darüber
Sorte haben wir uns bei zehn Schwankmachern vor Schnitzler über¬
war zunächst alle Welt einig, daß England nunmehr unauflöslich, mit
nommen. Kein socialer Grundton adelt und durchgeistigt diese flachen
chernen Banden der europäischen Friedensliga angeschmiedet war und
Spasseteln, keine echte Satire befeuert sie. Und nur auf seine Quali¬
daß man nur aus diplomatischer Klugheit die bedeutungsschweren Ver¬
täten als Witzbold betrachtet, vermag Schnitzler nicht zu imponiren.
träge noch geheim hielt. Niemals hat sich alle Welt ärger geirrt.
Das weiß er wohl auch, deßhalb „charakterisirt er mit auffälligem
Die Polenpolitik, die Caprivi — nun, sagen wir, machte, bestätigte
Biereifer, selbst da, wo die Oekonomie des Stückes es eigentlich verbietet.
freilich anscheinend ihre Muthmaßungen. Sie reizte den Zaren bis auf's
Aus dem etwas langathmigen Hin und Her der ersten Scenen, das
Blut und überzeugte ihn vollends von dem Einverständnisse des Nachbarn
halb an Roberts erinnert und halb an Blumenthal, steigt plötzlich die
mit England, von der unvermittelten Schwenkung Deutschlands. „Caprivis,
Tragödie auf. Tragödie der Unpersönlichen. Ein zu drei Vierteln
sagte Bismarck im Juni 1892, „hat unser Verhältniß zu Rußland ge¬
ruinirter Lebeoffizier, der übliche Schuldenmacher und Weiberjäger, ver¬
rade an der Stelle vergiftet, wo es am allerempfindlichsten ist: in de¬
mißt sich, auch die keusche Liebhaberin Anna zu besiegen. Er fällt ab,
Polenfrage." Alexander III., der sich vereinsamt, verrathen und ver¬
und das amüsirt den civilistischen Gegenspieler des Herrn Oberlieute¬
kauft glaubte, blieb nichts übrig, als mit Frankreich anzubandeln. Die
nants. Es kommt zu einem gereizten Wortwechsel, und da der mili¬
ersten Schritte fielen ihm wahrlich schwer genug. Noch 1887 war er ja
tärische Typ schließlich dem Menschenthum des naiven Fräuleins nur den
so vertraut mit dem deutschen Kaiserreiche gewesen, daß Windthorst im
sächlichen Artikel zubilligt, ohrfeigt ihn der civilistische Typ. In Er¬
Reichstage gelegentlich der Septennatsdebatten auf den russischen Bundes¬
mangelung eines Degens muß der Oberlieutenant die Schande einst¬
genossen hatte pochen können. „Ich weiß nicht, mußte Bismarck ihm
weilen ungerächt lassen. Aber selbstverständlich fordert er den Beleidiger.
damals mit freundlichem Hohn erwidern, „woher der Herr Abgeordnete
Indessen lehnt der Civilist rundweg ab. Für ihn ist der Gegner ein
weiß, daß Rußland unser Verbündeter ist. Wenn er geheime Nachrichten
Lump, und er weigert sich, einem Lumpen „die Ehre wiederzugeben".
aus Petersburg hat, daß Rußland mit uns ein Bündniß gegen Frank¬
Solche Philosophie entsetzt alles Volk umher, das militärische wie das
reich abschließen will, so würde ich ihm dankbar sein, wenn er mir das
im schlichten Bürgerrocke. Rechts und links sucht man auf den Duell¬
mittheilen wollte... Ich habe gestern noch die Ehre gehabt, mit dem
gegner mit Macht einzuwirken. Man läßt ihn sehr deutlich merken,
russischen Botschafter zu Mittag zu speisen; mir hat er nichts davon
daß man den Grund zu seiner Haltung weniger in seiner consequenten
gesagt, daß er ein Bündniß vorschlage."
Lebensanschauung als in seiner Feigheit erblickt. Der Verdächtigte
Weiterhin sprach damals der Fürst die feste Zuversicht aus, daß
nimmt derlei Anzapfungen verhältnißmäßig gelassen hin, höchstens wirft
Rußland uns nicht angreifen, daß es nicht gegen uns conspiriren und
er gutmüthige Frechlinge, die ihm ihre Meinung in's Gesicht sagen, zur
kein Bündniß mit anderen Mächten gegen uns suchen werde. Er durfte
Thür hinaus. Um jedoch den Zweiflern zu zeigen, daß ihm Furcht
dieser Zuversicht sein, denn er hatte den Vertrag mit dem Zarenreiche
vor der Kugel des Feindes nicht innewohnt, bleibt er tapfer im schönen
in der Tasche. Die damals complicirte Schlage hat sich geklärt und
Vöslau. Die Hand freilich ruht immer schußfertig am Revolver. Leider
gewaltig vereinfacht. Der simplen und vornehmen Politik des neuen
ist der Militär bedeutend fixer, und als die Gegner einmal unvermuthet
Kurses ist es gelungen, Deutschlands Vorherrschaft in Europa zu ver¬
auf einander stoßen, streckt der Lieutenant die Civilperson Knall und
nichten. Wären die Caprivi und Genossen bösen Willens darauf aus¬
Fall zu Boden.
gegangen, so läge machtvolle Tragik in diesem Ausgange. Da sie es
Schnitzler hat sich davor gehütet, für einen der beiden Kämpen
aber gut mit uns meinten, da unser Mißgeschick nur ihrem entschiedenen,
brutal Partei zu ergreifen. Mit ruhiger Gelassenheit wägt er das Pro
einwandfreien Ungeschick entsprang, haben wir nicht einmal den Trost,
und Contra ab; seine Gründe für den Zweikampf sind genau so gut
düstere Leichenbittermienen aussetzen zu dürfen. Denn rings um uns
oder so schlecht wie die dagegen. Dennoch gehört seine Theilnahme
lacht Europa, schallend, überlaut, wie das Gesinde des Königs Rhampsinit
dem Civilisten. Er bemüht sich, ihn als den überlegenen, klaren Geist
lachte, als der Fürst eintrat in die goldene Halle seiner Tochter.
hinzustellen, er schenkt ihm die Liebe des Mädchens, um dessentwillen
Seltsam: Bismarck hat die zwei Eisen im Feuer gehabt, und seine
sich der Streit entspann. Und er läßt ihn, wenigstens seiner Meinung
Caliban.
Nachfolger haben sich die Hände daran verbrannt.
nach, „zielbewußt" bis an's Ende bleiben. Ob man ihm im Bösen oder
im Guten zuredet, ihn mit dem abenteuerlichen, eigentlich recht unmög¬
lichen Vorschlage eines Scheinduells kränkt oder sein Mitleid für den
entehrten Feind wachzurufen trachtet — er bleibt fest. Er trotzt un¬
säglicher Verachtung, ist entschlossen, die Gesellschaft zu meiden, die ihn
ausstößt. Also ganz und gar ein Siegfried der These, ein lichtheller
Moderner, ganz und gar das Pendant seines in finsteren, mittelalter¬
lichen Duell=Aberglauben eingesponnenen Gegners. Und trotzdem nicht.
Dramatische Aufführungen.
Herr Schnitzler sagt uns nicht, ob es die Eitelkeit oder die Dummheit
seines Helden ist, die den Braven in Vöslau festhalten. Es scheint
Freiwild. Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnitzler. (Deutsches
beinahe, als habe der Verfasser hier nicht logisch zu Ende gedacht. In¬
Theater.) — Die goldene Eva. Lustspiel in drei Aufzügen von
dem er den Maler, um so seinen Muth in's rechte Licht zu stellen, nicht
Franz v. Schönthan und Franz Koppel=Ellfeld. (Lessing=Theater.)
abreisen läßt, zeigt er, daß dieser Trutzige ein innerlich Unfreier ist und
Renaissance. Lustspiel in drei Aufzügen von Franz v. Schönthan
noch mit tausend klamm uden Organen an der Kaste hängt, die ihn
Eine. Alt¬
und Franz Koppel=Ellfeld. (Berliner Theater.)
nert denn den Apostaten die Meinung derer,
von sich stieß. Was
deutsches Scherzspiel in drei Akten von Max Dreyer. (Kgl. Schau
unten im Thale ihn für tapfer, ob sie
die er verlacht? O
spielhaus.)
alten — was macht's? Aber es gelüstet ihn,
ihn für einen Hasen
Schau zu stellen, kurz vom Abgange noch
sich breit, behaglich
Der Fall Brüsewitz hat die Berliner Censur doch nicht derartig
zu ernten, mit denen er sich doch für alle Zeit
einmal den Beifall
erschreckt, daß sie für ihr Theil Alles thun zu müssen glaubte, um seine
rum trifft ihn, den Halbfertigen, Schwanken¬
überworfen hat.
öffentliche Discussion einzuschränken. Sie zeigte sich sogar liberaler und
el des in sich gefesteten Widersachers. Hätte
den, mit Recht
weitherziger als ihre Wiener Collegin, die Schnitzlers Mord= und Todt¬
seines Helden so erklärt, dann wäre nicht nur
Schnitzler den Un¬
schlag=Schauspiel kurzer Hand verbot. Eugen Richter darf aus dieser
dlich bereichert worden, sondern es wäre auch
das Stück innerl.
kleinen Thatsache vielleicht ersehen, daß seine Duell= und Siepmann¬
Vorhanges wirklich zu Ende gewesen. Wie
mit dem letzten
Interpellation einer hohen Regierung die Nachtruhe nicht sonderlich
hat lediglich der Zufall die Entscheidung herbei¬
die Dinge jetzt li
stört. Dem Führer der freisinnigen Mißerfolgspartei mag das recht
ußte es ausknobeln, wer von den Gegnern am
geführt; der Dich
peinlich sein, der blondbärtige Arthur Schnitzler wird ihr's danken. So
abgeben sollte. Wie die Dinge jetzt liegen, sehen
Ende die schöne
finden auch schlummernde Regierungen Freunde und Verehrer. Sie
alsche Lösung des Rechenexempels. Besser wäre es
wir nichts als ei¬
müssen es nur richtig anfangen.
wohl gewesen, wenn Schnitzler keine höhere schematisirende Ideenmathe¬
Herr Schnitzler hat sich mit seiner vorjährigen „Liebelei“ als ein
matik getrieben, sondern leibhaftige, lebendige Individualitäten auf die
feiner und kluger Kopf erwiesen, der das Wienervolk kennt, wenigstens
Bühne gestellt hätte. Da er aber nun einmal die interessante These
das der inneren Stadt, und der es versteht, saubere Genrebildchen aus dem
entwickeln wollte, mußte er sie auch rein und klar, vor Allem vollständig
Leben an der nicht immer blauen Donau recht interessant zu dialogi¬
entwickeln.
siren. Sein Projectionsapparat vergröbert die Zeichnung nur unmerk¬
Das Schauspiel ist bei alledem von hohem Spannungreiz, und vor¬
lich; fleißig scheint er die Kunst studirt zu haben, das für die Coulissen
Nr. 46.
Die Gegenwart.
wenig complicirte Geheimniß Caprivis kommen. Und als eines herr¬
zurecht zu machen, was eigentlich zu zart und gebrechlich für die Welt
lichen Tages der Helgolandvertrag publik wurde, da bestand am Newsky-
der Pappendeckel ist. Nippes aus derbem Steingut. Herr Schnitzler
Prospect wie am Quai d'Orsay auch nicht der bescheidenste Zweifel mehr
liebt es gewiß nicht, ein Dichter genannt zu werden, weiß er doch, daß
Da wußte man, daß Deutschland mit ungeheuren Opfern den Eintritt
das moderne Theater mit einem wirklichen Dichter verwünscht wenig
Englands in den Dreibund erkauft, Afrika schweren Herzens aufgegeben
anzufangen wüßte. Er ist auch kein Dichter, aber unter den groben
hatte, um dafür im bevorstehenden europäischen Weltkriege jeder Zeit
Machern von heute berührt sein Gethue fast sympathisch, fällt sein
über die Flotte John Bulls verfügen zu können. Manche meinten
eleganter Kopf angenehm auf.
allerdings, daß Deutschland für Englands Eingliederung in den Drei¬
Mindestens, soweit man der „Liebelei" gedenkt. Im „Freiwild
bund doch wohl einen wesentlich zu hohen Preis gezahlt hätte, und
sieht schon Alles ein wenig anders aus, sudermännischer, handgreiflicher.
Manche meinten, daß der Friedrichsruher seinerseits mit Leichtigkeit von
Das Getändel der hübschen Emierenadeln mit den k. k. Herren
England Unsummen für die bloße Erlaubniß zum Beitritt erhalten
Lieutenants und den anscheinend stark nach Vöslau gravitirenden Bade¬
haben würde. Andere wieder sagten sogar, er hätte das exponirte,
gästen entbehrt wienerischer Eigenart und wienerischer, leichtfertig=frecher
immer in Gefahr schwebende Inselreich unter keiner Bedingung in die
Poesie. Man flirtet und scherzt, aber am Flirt und Scherz von der
Familie des Dreibundes aufgenommen. Doch genug an dem Darüber
Sorte haben wir uns bei zehn Schwankmachern vor Schnitzler über¬
war zunächst alle Welt einig, daß England nunmehr unauflöslich, mit
nommen. Kein socialer Grundton adelt und durchgeistigt diese flachen
chernen Banden der europäischen Friedensliga angeschmiedet war und
Spasseteln, keine echte Satire befeuert sie. Und nur auf seine Quali¬
daß man nur aus diplomatischer Klugheit die bedeutungsschweren Ver¬
täten als Witzbold betrachtet, vermag Schnitzler nicht zu imponiren.
träge noch geheim hielt. Niemals hat sich alle Welt ärger geirrt.
Das weiß er wohl auch, deßhalb „charakterisirt er mit auffälligem
Die Polenpolitik, die Caprivi — nun, sagen wir, machte, bestätigte
Biereifer, selbst da, wo die Oekonomie des Stückes es eigentlich verbietet.
freilich anscheinend ihre Muthmaßungen. Sie reizte den Zaren bis auf's
Aus dem etwas langathmigen Hin und Her der ersten Scenen, das
Blut und überzeugte ihn vollends von dem Einverständnisse des Nachbarn
halb an Roberts erinnert und halb an Blumenthal, steigt plötzlich die
mit England, von der unvermittelten Schwenkung Deutschlands. „Caprivis,
Tragödie auf. Tragödie der Unpersönlichen. Ein zu drei Vierteln
sagte Bismarck im Juni 1892, „hat unser Verhältniß zu Rußland ge¬
ruinirter Lebeoffizier, der übliche Schuldenmacher und Weiberjäger, ver¬
rade an der Stelle vergiftet, wo es am allerempfindlichsten ist: in de¬
mißt sich, auch die keusche Liebhaberin Anna zu besiegen. Er fällt ab,
Polenfrage." Alexander III., der sich vereinsamt, verrathen und ver¬
und das amüsirt den civilistischen Gegenspieler des Herrn Oberlieute¬
kauft glaubte, blieb nichts übrig, als mit Frankreich anzubandeln. Die
nants. Es kommt zu einem gereizten Wortwechsel, und da der mili¬
ersten Schritte fielen ihm wahrlich schwer genug. Noch 1887 war er ja
tärische Typ schließlich dem Menschenthum des naiven Fräuleins nur den
so vertraut mit dem deutschen Kaiserreiche gewesen, daß Windthorst im
sächlichen Artikel zubilligt, ohrfeigt ihn der civilistische Typ. In Er¬
Reichstage gelegentlich der Septennatsdebatten auf den russischen Bundes¬
mangelung eines Degens muß der Oberlieutenant die Schande einst¬
genossen hatte pochen können. „Ich weiß nicht, mußte Bismarck ihm
weilen ungerächt lassen. Aber selbstverständlich fordert er den Beleidiger.
damals mit freundlichem Hohn erwidern, „woher der Herr Abgeordnete
Indessen lehnt der Civilist rundweg ab. Für ihn ist der Gegner ein
weiß, daß Rußland unser Verbündeter ist. Wenn er geheime Nachrichten
Lump, und er weigert sich, einem Lumpen „die Ehre wiederzugeben".
aus Petersburg hat, daß Rußland mit uns ein Bündniß gegen Frank¬
Solche Philosophie entsetzt alles Volk umher, das militärische wie das
reich abschließen will, so würde ich ihm dankbar sein, wenn er mir das
im schlichten Bürgerrocke. Rechts und links sucht man auf den Duell¬
mittheilen wollte... Ich habe gestern noch die Ehre gehabt, mit dem
gegner mit Macht einzuwirken. Man läßt ihn sehr deutlich merken,
russischen Botschafter zu Mittag zu speisen; mir hat er nichts davon
daß man den Grund zu seiner Haltung weniger in seiner consequenten
gesagt, daß er ein Bündniß vorschlage."
Lebensanschauung als in seiner Feigheit erblickt. Der Verdächtigte
Weiterhin sprach damals der Fürst die feste Zuversicht aus, daß
nimmt derlei Anzapfungen verhältnißmäßig gelassen hin, höchstens wirft
Rußland uns nicht angreifen, daß es nicht gegen uns conspiriren und
er gutmüthige Frechlinge, die ihm ihre Meinung in's Gesicht sagen, zur
kein Bündniß mit anderen Mächten gegen uns suchen werde. Er durfte
Thür hinaus. Um jedoch den Zweiflern zu zeigen, daß ihm Furcht
dieser Zuversicht sein, denn er hatte den Vertrag mit dem Zarenreiche
vor der Kugel des Feindes nicht innewohnt, bleibt er tapfer im schönen
in der Tasche. Die damals complicirte Schlage hat sich geklärt und
Vöslau. Die Hand freilich ruht immer schußfertig am Revolver. Leider
gewaltig vereinfacht. Der simplen und vornehmen Politik des neuen
ist der Militär bedeutend fixer, und als die Gegner einmal unvermuthet
Kurses ist es gelungen, Deutschlands Vorherrschaft in Europa zu ver¬
auf einander stoßen, streckt der Lieutenant die Civilperson Knall und
nichten. Wären die Caprivi und Genossen bösen Willens darauf aus¬
Fall zu Boden.
gegangen, so läge machtvolle Tragik in diesem Ausgange. Da sie es
Schnitzler hat sich davor gehütet, für einen der beiden Kämpen
aber gut mit uns meinten, da unser Mißgeschick nur ihrem entschiedenen,
brutal Partei zu ergreifen. Mit ruhiger Gelassenheit wägt er das Pro
einwandfreien Ungeschick entsprang, haben wir nicht einmal den Trost,
und Contra ab; seine Gründe für den Zweikampf sind genau so gut
düstere Leichenbittermienen aussetzen zu dürfen. Denn rings um uns
oder so schlecht wie die dagegen. Dennoch gehört seine Theilnahme
lacht Europa, schallend, überlaut, wie das Gesinde des Königs Rhampsinit
dem Civilisten. Er bemüht sich, ihn als den überlegenen, klaren Geist
lachte, als der Fürst eintrat in die goldene Halle seiner Tochter.
hinzustellen, er schenkt ihm die Liebe des Mädchens, um dessentwillen
Seltsam: Bismarck hat die zwei Eisen im Feuer gehabt, und seine
sich der Streit entspann. Und er läßt ihn, wenigstens seiner Meinung
Caliban.
Nachfolger haben sich die Hände daran verbrannt.
nach, „zielbewußt" bis an's Ende bleiben. Ob man ihm im Bösen oder
im Guten zuredet, ihn mit dem abenteuerlichen, eigentlich recht unmög¬
lichen Vorschlage eines Scheinduells kränkt oder sein Mitleid für den
entehrten Feind wachzurufen trachtet — er bleibt fest. Er trotzt un¬
säglicher Verachtung, ist entschlossen, die Gesellschaft zu meiden, die ihn
ausstößt. Also ganz und gar ein Siegfried der These, ein lichtheller
Moderner, ganz und gar das Pendant seines in finsteren, mittelalter¬
lichen Duell=Aberglauben eingesponnenen Gegners. Und trotzdem nicht.
Dramatische Aufführungen.
Herr Schnitzler sagt uns nicht, ob es die Eitelkeit oder die Dummheit
seines Helden ist, die den Braven in Vöslau festhalten. Es scheint
Freiwild. Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnitzler. (Deutsches
beinahe, als habe der Verfasser hier nicht logisch zu Ende gedacht. In¬
Theater.) — Die goldene Eva. Lustspiel in drei Aufzügen von
dem er den Maler, um so seinen Muth in's rechte Licht zu stellen, nicht
Franz v. Schönthan und Franz Koppel=Ellfeld. (Lessing=Theater.)
abreisen läßt, zeigt er, daß dieser Trutzige ein innerlich Unfreier ist und
Renaissance. Lustspiel in drei Aufzügen von Franz v. Schönthan
noch mit tausend klamm uden Organen an der Kaste hängt, die ihn
Eine. Alt¬
und Franz Koppel=Ellfeld. (Berliner Theater.)
nert denn den Apostaten die Meinung derer,
von sich stieß. Was
deutsches Scherzspiel in drei Akten von Max Dreyer. (Kgl. Schau
unten im Thale ihn für tapfer, ob sie
die er verlacht? O
spielhaus.)
alten — was macht's? Aber es gelüstet ihn,
ihn für einen Hasen
Schau zu stellen, kurz vom Abgange noch
sich breit, behaglich
Der Fall Brüsewitz hat die Berliner Censur doch nicht derartig
zu ernten, mit denen er sich doch für alle Zeit
einmal den Beifall
erschreckt, daß sie für ihr Theil Alles thun zu müssen glaubte, um seine
rum trifft ihn, den Halbfertigen, Schwanken¬
überworfen hat.
öffentliche Discussion einzuschränken. Sie zeigte sich sogar liberaler und
el des in sich gefesteten Widersachers. Hätte
den, mit Recht
weitherziger als ihre Wiener Collegin, die Schnitzlers Mord= und Todt¬
seines Helden so erklärt, dann wäre nicht nur
Schnitzler den Un¬
schlag=Schauspiel kurzer Hand verbot. Eugen Richter darf aus dieser
dlich bereichert worden, sondern es wäre auch
das Stück innerl.
kleinen Thatsache vielleicht ersehen, daß seine Duell= und Siepmann¬
Vorhanges wirklich zu Ende gewesen. Wie
mit dem letzten
Interpellation einer hohen Regierung die Nachtruhe nicht sonderlich
hat lediglich der Zufall die Entscheidung herbei¬
die Dinge jetzt li
stört. Dem Führer der freisinnigen Mißerfolgspartei mag das recht
ußte es ausknobeln, wer von den Gegnern am
geführt; der Dich
peinlich sein, der blondbärtige Arthur Schnitzler wird ihr's danken. So
abgeben sollte. Wie die Dinge jetzt liegen, sehen
Ende die schöne
finden auch schlummernde Regierungen Freunde und Verehrer. Sie
alsche Lösung des Rechenexempels. Besser wäre es
wir nichts als ei¬
müssen es nur richtig anfangen.
wohl gewesen, wenn Schnitzler keine höhere schematisirende Ideenmathe¬
Herr Schnitzler hat sich mit seiner vorjährigen „Liebelei“ als ein
matik getrieben, sondern leibhaftige, lebendige Individualitäten auf die
feiner und kluger Kopf erwiesen, der das Wienervolk kennt, wenigstens
Bühne gestellt hätte. Da er aber nun einmal die interessante These
das der inneren Stadt, und der es versteht, saubere Genrebildchen aus dem
entwickeln wollte, mußte er sie auch rein und klar, vor Allem vollständig
Leben an der nicht immer blauen Donau recht interessant zu dialogi¬
entwickeln.
siren. Sein Projectionsapparat vergröbert die Zeichnung nur unmerk¬
Das Schauspiel ist bei alledem von hohem Spannungreiz, und vor¬
lich; fleißig scheint er die Kunst studirt zu haben, das für die Coulissen