II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 118

8.
Freiwild
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N. 590. Abendblatt.
Mittwoch, 16. Dezember.
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Ohrfeige und Pistolenschuss.
Aus der schönen schlesischen Provinzialhauptstadt Breslau
ist wieder einmal etwas recht Interessantes zu melden. Am
letzten Sonnabend ging daselbst im Lobe=Theater Schnitzlers
„Freiwild“ zum ersten Male über die Breiter. In dem Drama
kommt auch ein Lieutenant vor, der von einem Bürger eine
handgreifliche Zurechtweisung erfährt. Der Herr
Lieutenant, ein östreichischer, war einer Künstlerin zu nahe
getreten und erhielt von dem Beschützer derselben eine Ohr¬
eige. Aus Rache und um seine Ehre zu rehabilitiren, schießt
der Herr Lieutenant den Künstler im dritten Akte über den
Haufen. Dies der dramatische Tatbestand, soweit er an dieser
Stelle interessirt. Am Sonnabend nun trug, wie die „Brest
Morgen=Ztg." berichtet, der Herr Lieutenant sowohl im ersten
Akte, in dem ihm die wohlverdiente Züchtigung zu Teil
wird, wie im dritten Akte, in welchem er die Heldentat eines
ehrlosen Buschkleppers vollbringt, Uniform — und das ist
durchaus geboten durch den Gang der dramatischen Entwicklung
und entspricht außerdem vollkommen den in Oestreich geltenden
Bestimmungen über die Adjustirung der Offiziere.
Da kam die zweite Aufführung am Sonntag. Und
siehe da! Der Herr Lieutenant des ersten Aktes empfing

seine Ohrfeige als Zivilist, der schießende Herr Lieutenant
aber des dritten Aktes erschien wiederum in Uniform. Wes¬
Niema
halb diese partielle Unkleidung? Wie kam die Regie dazu,
tadelt
das dramatische Kunstwerk in einer den Effekt nicht unwesent¬
leidige
lich beeinträchtigenden Weise zu — nun, sagen wir zu ver¬
schlimm bessern? Tat sie es aus eigenem Antriebe, oder tat
Anklage
sie es unter dem Zwange einer äußeren Einwirkung? Klar¬
zu ne
stellung wäre jedenfalls erwünscht. Es wird berichtet, daß auch
der
Offiziere der Première beiwohnten, daß dieselben aber — bis auf
in Le
einen — das Theater schon im zweiten Akte verließen. Es
daran
wäre nicht unmöglich, daß die erschreckliche Tatsache der ver¬
Majes
dienten Realzüchtigung eines Vertreters der bewaffneten Macht,
leidig
obschon selbiger als einem fremden Heeresverbande angehörig
schen
gedacht wird, genügte, die Herren aus dem Theater zu ver¬
auch
treiben, und daß daraufhin die Umkleidung des Waffenträgers
eine
in einen Zivilisten erfolgte. Ja, warum fand man es denn
weil
nicht auch für nötig, ebenso den auf einen Wehrlosen
hätte
schießenden Lieutenant zivilistisch zu maskiren? Zu
gröbl
mancherlei Gedanken giebt diese Frage Anlass
Gewiss. Das Breslauer Blatt hat Recht, und sein
de
Theaterreferent giebt an andrer Stelle derselben Nummer des
Blattes einem dieser Gedanken bereits Ausdruck, indem er
gung
schreibt: „In dem Aufzuge, zu dessen Schlusse Karinski
mag
geohrfeigt wird, ging er in Zivil, erst als er im letzten Akte
fragt
„brisewitzte", durfte er wieder in Uniform erscheinen. Nach
diese
dieser neuesten Kleidervorschrift ist also das Zivil¬
wärt
gewand für einen Lumpen, wenn er die verdienten Ohr¬
führ
feigen kriegt, de rigueur, während zum Niederschießen eines
Tod
Wehrlosen hinwiederum die Uniform gehört."
wenn
Wir aber sagen dazu:
bele
Mein liebes deutsches Publikum. Es ist dein Bürger¬
den
tum, das durch seine demütige Unterwürfigkeit unter den
Ba¬
Militarismus solche Kulturbilderchen gezeitigt hat! Aus nichts
zur
wird nichts!
Kön.
Berlin, den 16. Dezember 1896.
Der Magdeburger Majestätsbeleidigungsprozess,
von dem wir am Sonntag Mitteilung gemacht haben, erregt
selbst in streng monarchischen Kreisen großes Aufsehen. Der D.