II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 158

8. Freiwild
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unserem Horizont hängt, sie würde sich sofort
chweiße des Angesichtes, wenn sie wird es wohl auch in dem jetzigen Parlamente
lichten, sie würde bald ganz verschwinden, wenn
geben. Debatten dieser Art aber, sie werden heute
der innere Ausgleich, wenn die Versöhnung
was man spazieren und slaniren ge¬
Das gesellige Beisammensein einer meistens zu Skandalen. Sie sind nicht dazu be¬
der Deutschen und Czechen sich endlich, endlich ein¬
hl von Menschen wird zu einer stimmt, zu erheben, sondern herunterzureißen, nicht
mal vollziehen kann!
ammlung. Selbst die Kunst richtet geistiges Behagen zu wecken, sondern rohe und

nach ein, daß das Genießen derselben wilde Leidenschaften anzufachen. Da ist wahrlich

Geschaffene festzuhalten — denn das sei unnütz, „Sag
werden soll, streben aber gewaltig auseinander. Darum war
ihr, daß ich sehr glücklich bin," trägt er dem Freund auf.
es gestern auch keine leichte Aufgabe, den vier Vermittler
Wien am Vorlesetisch.
Der aber weiß, nachdem er „bei Beiden" war, daß der
ihrer eigenen Gestaltungen des Lebens von Anfang bis
trug von allem Anfange an den Keim de¬
ch. Große Erfolge machen immer Schule; zum Ende mi, gleicher verständnißvoller Aufmerksamkeit Riß zwischen „Beiden" am meisten — ihn erschüttert hat.
Diese Skizze hat Hirschfeld in der modernen Manier ge¬
und vor Allem mit gleicher Aufnahmsfähigkeit zu folgen.
immer die Erfolge selbst, aber die Mittel
schrieben, die jedes Milieu wie ein Stilleben, oder ein
angestrebt wurden. Es war also für jeden Und es war doch wahrhaftig ein literarisches Publikum
Blumenstück behandelt. Er zeigt uns alle Theile des
bereits nach dem ersten verkauften, das den Saal bis zu das letzte Plätzchen füllte. Den
Ganzen, soweit seine Handlung sie streift, er malt uns
al vorauszusehen, daß die wackeren fünf Vortritt hatte man dem Gaste gelassen, den „Jung¬
jedes Detail, auf, wenn es gar nichts zur Gesammt¬
Wien“ zählte einen Fremden in seiner Mitte; Georg
die sich zuerst zusammengethan hatten,
stimmung beiträgt. So wird die Aufmerksamkeit zer¬
Hirschfeld ist bekanntlich ein Berliner. Schlank und
hen vorzulesen, nicht die einzigen bleiben
splittert und irregeführt. Einzelheiten, die nicht charakte¬
schmächtig, mit völlig dartlosem, edel geschnittenen Gesicht
Autoren=Abende veranstalten. „Jung=Wien
ristisch sind, verwischen das Gesammtbild und nehmen der
und vorgestern Abends die Feindseligkeiten Bescheiden, ja schüchtern — gestern außerdem mit
Arbeit den großen Zug. Der Ballast der kleinen, hem¬
gewaltigem Lampenfieber. Hirschfeld las eine Novelle
öffnet. „Jung=Wien" besteht jedoch wede
in, noch aus Konkurrenten des köstlichen „Bei Beiden." Er hatte wohl mit Ab¬ menden Natürlichkeiten beschwert das Gedächtniß und die
Einzelzüge zerflattern ohne einheitlichen künstlerischen
sicht etwas gänzlich Undramatisches gewählt, um
intetts. Denn „Jung=Wien" will ernst
Eindruck. Statt menschlicher Dokumente erhält man mensch¬
seine Begebung auch von der anderen, in Wien
men werden. Georg Hirschfeld, der
liche Protokolle. Der psychologische Theil ist reinlich
schon mit Recht verhätschelte Dichter der noch unbekannten Seite zu zeigen. Unmittelbare Wirkung
ist natürlich aus dramatisch geführten und bewegten Vor= und diskret herausgearbeitet; die Sprache durchaus sorg¬
Hugo v. Hoffmannsthal, der kann
fältig gefeilt. Der Vorleser kam in Hirschfeld dem Dichter
liche Renaissance=Moderne mit den Ge¬ gängen mehr zu holen. Hirschfeld schildert zwei Besuche.
Es hat Einer erfahren, daß sein bester Freund, sein keineswegs zu Hilfe, denn jener sprach leise, fast unver¬
Weg über Nietzsche, und den Formen, die
ständlich und pointenlos in leichtem Berlinerisch, was
he genommen haben, Arthur Schnitzler, intimster Seelenkamerad, ein hochbegabter Musiker, de
dieser deutlich, klar und trefflicher in einer Sprache gesagt
sik der Liebelei gestaltet hat und den es Bräutigam seiner besten Freundin, plötzlich, unmittelbar
vor der Hochzeit, wahnsinnig geworden ist. Das er hatte, die Allen gemeinsam ist. Das Publikum würdigte
gerade dem Publikum den Spiegel vor
Hirschfeld, so weit es ihn überhaupt gehört hatte.
sich darin auch erkennen kann, und schließlich schüttert ihn, der soeben von einer größeren Reise
Der Zweite war Hugo v. Hoffmannsthal. Er
zurückkommt, bis zur Fassungslosigkeit. Er sucht, nur
las sein schon bekanntes Dramolet „Der Thor und
Ihr, der der Reifste und Abgeschlossenste sei¬
Beide auf. Erst sie in ihrem alten Mädchenheim
der Tod“. Warmherzig, kräftig und edel wird hier
er davor nicht selbst den horror der echten
dann ihn in einer Privatheilanstalt. Und er findet si¬
gelehrt, „sich an die Welt mit klammernden Organen" zu
hätte — das ist das Jung=Wiener Quartet,
zum erstenmale zusammenklingen solltes Eine Beide ganz anders, als er gedacht hat. Sie hat sich eine
halten und das Leben zu fühlen, indem man es lebt;
merkwürdige, fast egoistische Art von Schmerz und Ent¬
denn wenn wir das stets erfassen, was wir haben, dann
rische Einheit des ganzen Abends war nur
viel schwerer zu erzielen, als bei den sagung zurechtgelegt und er gedenkt der todten Liebe
ist das Leben lebenswerth und der Tod trifft Jeden rei¬
Chiavacci, Groß, Karlweis, Pötzl und wie der sernen Geliebten ohne jede Spur von Erregung
zum Tode, so daß dieser sagen darf:
— und doch sind Menschenleben und Berge von Hinder¬
nn man wohl als Vertreter des Wiene
„Wirf dies ererbte Grauen von Dir
in allen seinen Spielarten gelten lassen. Sie nissen dazwischen gewesen, ehe sie so weit waren, einander
Ich bin nicht fürchterlich, bin kein Gerippe,
Facetten geschliffen, aus welchen sich ein angehören zu dürfen! Alle Empfänglichkeit des Kranken hat
Bin aus des Bacchus und der Venus Sippe;
sich seiner Kunst zugewendet. Er lauscht so den Harmonien der
Ein großer Gott der Seelen steht vor Dir.
siegel zusammensetzt, in dem man lachend die
aus der großen Narrenzunft erkennt. Die Gestirne, die er hört, den Symphonien der Seewellen, die
Hoffmannsthal liest sehr leicht, sicher, nach¬
„verarbeitet, aber ohne den Versuch, das
en der tragische Gehalt des Lebens ausgeschöpft er vernimmt
Hiezu Nr. 89 des „Wiener Familien-Journal" als Gratisbeilage.

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