II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 177

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wild
8. F
30. November 1897
Beil z. Boh. Nr. 331.
Seite 2.

geckische Liebhaber Baldnin (Herr Zimmerer), eine Art
hat er andererseits die Unvergänglichkeit der Form,
vorragenden Platz gesichert. Er hat die Beobachtung,
männliche Dirne, die Schmierenwirthschaft von ihrer
das lebendige Weiterwirken der praxitlischen
die aufs Einzelne geht, und den Geist, der in den Kern
erbärmlichsten Seite, während uns in den Gestalten
Werke bis ans Ende der Antike, ja weit über eindringt, er hat Auge und Herz, er hat genug vom
des Komikers Enderle (Herr Thaller) und des Cassiers
dieselbe hinaus, voll und überzeugend entwickel
Techniker und vom Poeten, um als Dramatiker des
lauten Erfolges gewiß zu sein und den stilleren, der Kohn (Herr Bauer) der mildere Humor dieser leicht¬
Wie die Aufgabe gelöst ist, zeigt wohl am deutlichsten
fertigen Welt anmuthet. Der Wiener Hausherrnsohn
das „Hermes“=Capitel. Bekanntlich wird aus der
in den Gemüthern nachklingt, zu behaupten. Der Titel
Poldi Grehlinger (Herr Löwe) und der gutmüthige,
Thatsache des Mangels irgend einer Nachbildung
seines neuen Schauspiels „Freiwild, das am Samstag
bornirte Husarenlieutenant Vogel (Hr. v. Wymetal
dieses in Olympia gefundenen praxitelischen Original
mit durchschlagendem Erfolge in Scene ging, sagt mehr
vertreten den Kreis selbst fälliger und gedankenlose
werkes geschlossen, diese Schöpfung habe nur zu seinen als er mitzutheilen verpflichtet ist. Es ist nicht nur ein
Lebejünglinge, in dem Badearzt Dr. Wellner (Herr
geringgeschätzten und darum nicht copierten Arbeiten
Name, der den Gegenstand bezeichnet und von andern
Schmidt) lernen wir einen überlegenen, in sich ge¬
gehört. Nach einer freisinnig vollendeten Einzelunter¬
unterscheidet, sondern ausnahmsweise ein Merkwort,
festigten Mann kennen, der mit jeder Art von Men¬
suchung wird uns aber gezeigt, daß gerade dies Wer¬
das die Sache, um die es sich handelt, im Wesen
schen fertig zu werden weiß, im Oberlieutenant Rohn¬
eines der wirksamsten der antiken Plastik war, das in
trifft. Unter „Freiwild“ werden jene dem Unglück ge¬
stedt (Herr Reucker) einen trefflichen Officier, der ein
der Silen-Bacchusgruppe, dem „Symplegma" des
weihten Menschen verstanden, die den Vorurtheilen und
Gewohnheiten der Gesellschaft, in die sie der Zufall strenges unbestechliches Urtheil mit den warmherzigen
Sohnes und künstlerischen Erben unseres Meisters,
Empfindungen des Kameraden vereinigt, und in dem
der Geburt oder die Wahl des Berufes versetzt, Tro¬
seine Fortsetzung hat. So wird denn das vielgepriesene
Oberlieutenant Karinski (Herr Tauber) tritt uns eine
Werk des Sohnes zum lautesten Ruhmestitel der zu bieten versuchen und ihrer Natur und ihrer Uiber
jener unheimlichen, gefährlichen Naturen entgegen, die
Schöpfung des Vaters. Doch auch die Isolirung als
zeugung leben wollen. Sie werden von den Schlechten
in ihrer überreizten Leidenschaftlichkeit den Streit
einziges Werk von Praxitele eigener Hand wird
gehetzt, von den Besseren bedrängt, oft von den Besten
suchen und auf die Spitze treiben. Karinski, der sich
durchbrochen, im „Aberdeen'schen Kopf" des British¬
verkannt und erliegen schließlich als Opfer der wilden
nach keiner Seite hin zu zähmen weiß und der die
Museum und dem „Kopf eines Diadochenfürsten in
Jagd. Ein Mann und ein Mädchen, ein reicher,
größte Leich fertigkeit mit herausforder der Empfind¬
scheinbar unabhängiger Erbe, der sich nicht vor die
Berlin werden uns zwei weitere, nicht minder gran¬
lichkeit vereinigt, hat sich in eine äußerst schwierige
Mündung der Pistole stellen will, weil er einen Aus¬
diese Originalwerke wiedergegeben.
Lage gebracht; seine unbeweglichen Spielschulden wur¬
schreitenden gezüchtigt hat, und eine kleine Schauspie¬
Was Praxiteles als eigentlicher Begründer der
den beim Regimente angezeigt, und die Bruta¬
lerin, die der Verderbniß ihrer verlotterten Umgebung
Frauenschönheit in der griechischen Plastik für diese
lität, mit der er an einem öffentlichen Orte
ward, lehrt fast jede Seite des Werkes und was über
widerstrebt, sind das „Freiwild der Gesellschaft; das
einen Civilisten mißhandelte, der zufällig etwas
tragische Schicksal, das sie erleiden, bildet den Kern
Aphrodite, Artemis und Niobe gesagt ist, löst mancher
zu dicht an ihm beigekommen war, hat den
alten Zweifel, beantwortet manche oft gestellte Frage
unseres Schauspiels, das sich getrost eine bürgerlich
Obersten seines Regimentes in lebhaften Unwillen ver¬
Tragödie nennen könnte.
So sehen wir Praxiteles in seine Zeit hineingestellt
setzt. Rohnstedt gibt dem Kameraden in bester Absicht
Der Schauplatz des Stückes ist ein Badeort in
durch sie bedingt, sie selbst aber auch vielfach bedingend
zu verstehen, welch mißliebiges Aufsehen diese Affairen
der Nähe einer Großstadt und das Milieu, in das
Die Modernen modernster Richtung haben unserer
Zeit ein leises Gruseln vor Gypsälen und Antiken wir eingeführt werden, eine leichtfertige Lebewelt, die erregen, und ertheilt ihm den guten Rath, rechtzeitig
die Officierscharge zu quittiren und sich auf das Gut
in den Tag und in die Nacht hinein genießt. Zwi¬
sammlungen beigebracht. Die Erkenntnis zu fördern
des Onkels zurückzuziehen. Karinski aber verschmäht
schen den Officieren, die im besagten Badeort ihren
daß auch hier Schönheit und Wahrheit sehen kann
diesen Rath, weil er lieber gar nicht leben als dem
Urlaub verbringen, und einer Schauspielertruppe
wer nur sehen will. dies wird, so hoffen wir, abgesehen
Officiersstande entsagen mag. Zwischen all diesen
niedrigerer Ordnung, der der Schmierendirector
von dem wissenschaftlichen Werthe, eine dauernde Folge
Menschen, in deren Getriebe uns die sogenannte „Ge¬
Schneider (Herr Zeisler) die Richtung gibt, hat sich
des Was sein.
sellschaft“, die Bohème und die Berührung dieser bei¬
Arthur Mahler.
eine entente cordiale herausgebildet, die auf der An¬
den Lebenskreise anschaulich gemacht wird, begegnen
ziehungskraft des Ewig=Weiblichen beruht. Das Cou¬
uns zwei Ausnahmsnaturen, die sich in die Abhängig¬
lissengetriebe und der moralische Zustand einer kleinen
Theater und Musik.
keit von ihrer Umgebung nicht fügen wollen, die
Sommerbühne werden in den ersten Scenen des
Schauspielerin Anna Riedel (Frl. Fasser), die aus
Neues berisches Theater. (Zum ersten
Stückes mit einer satirischen Energie vor uns aufge¬
Kunstbegeisterung und in der Absicht, ihrer verarmten
Male: „Freiwild, Schauspiel von Arthur Schnit=
rollt, die der Darstellern vielleicht ein erklärliches Un¬
Familie zu helfen, zum Theater ging, und der junge
ler.) Zweimal bringt der Maler die Farbe in sei¬
behagen verursacht. Aber die Letzteren können sich dabei
Privatier Paul Rönning (Herr John), der, von einer
Bild, damit sie natürlich und im Verhältnisse zu den
beruhigen, daß jeder Stand sein Proletariat hat und
schweren Krankheit genesen, zunächst das Dasein in
daß das Proletariat jedes Standes längst in das
anderen Farben günstig wirke. Zum zweiten Male
vollen freien Zügen genießen will, ehe er sich für die
Spiegelbild aufgenommen ist, das die Bühne den
tauchte mit „Freiwild die Farbe Arthur Schnitzler im
Wahl eines Berufes entscheidet. Die junge anständige
Bilde unseres dramatischen Spielplans auf, und nun
Leben entgegenhält. Neben dem erwähnten Director,
Schauspielerin hat um ihrer tadellosen Lebensführung
der allen Vortheilen der Gemeinheit nachgeht und dessen
wirkt sie noch natürlicher und günstiger auf uns ein
willen ein ganzes Martyrium zu bestehen, der Directe¬
Es ist eine eigenthümliche, starke und doch nicht greelle Wesen aus lächerlicher Wichtigthuerei, Servilismus
setzt sie durch Scheinkündigung auf halbe Gage, weil
und frecher Willkür gemischt ist, zeigen uns die leicht¬
Farbe. Unter den modernen Autoren, die das bürger¬
sie sich und dem Theater keine Freunde zu erwerben
fertigen Frauenzimmer Pepi Fischer (Fräulein Moller)
liche Stück zugleich verschärfen und vertiefen wollen.
weiß, und der Oberlieutenant Karinski verfolgt sie mit
und Käthchen Schutz (Fräulein Bardi) und der närrisch
hat sich der junge Wiener Dramatiker rasch einen her¬
.
Farbe, als das der Augen des deutschen Can¬
die Accorde auf dem Instrumente wilder, leiden mit, und Graf Rajew, der den romantischen
didaten, und in den goldenen Knöpfen auf der
Ufern von Schönschwert nicht den geringsten
schaftlicher, und Anna Alexandrowna's Wangen
liebeathmenden Brust des kecken Lieutenants, in
Geschmack abgewinnen konnte und während der
begannen sich zu röthen, bis das Duo in
denen die Julisonne sich in tausend glitzernden
ersten vierzehn Tage seiner Verbannung vor
gleichsam resig
weichen elegischen Tönen
Strahlen brach, glänzte es wie aus ebensoviel
nirend, Verzicht leistend auf die Erfüllung un¬ Langeweile fast gestorben war, verliebte sich
Spiegeln, die Vergangenheit und Zukunft in
sofort mit einer Leidenschaft in Anna Alexan¬
erfüllbarer Wünsche ausklang. Der Candidat
wunderlicher Durchschlingung miteinander wieder¬
drowna, die selbst seinen gestrengen Obersten
stand verlegen auf und rieb sich, da er nichts
gaben, Erinnerungen und Hoffnungen zugleich
nicht geschont haben würde, wenn dieser es ge¬
besseres zu thun wußte, die Hände, bis Anna
erweckend — flimmerte es wie Kerzenlicht und
wagt hätte, sich derselben entgegenzustellen. Der
Alexandrowna ihn bat, ihr in dem deutscher
der angenehme Glanz von Marmor, Bronze,
Candidat war am Tage des ersten Besuches
Buche weiter vorzulesen, das er ihr geliehen.
Malacht, Parkett, Spiegeln, Perlen, Bril¬
Der arme Candidat! Er war schon nahe und der kurz darauffolgenden nicht leihweise au
lanten . . . Dies Blau war das Blau am
dem Gute der Großmutter, sondern bei seinem
daran, sein empfindsames Herz, welches durch
sorgen- und wolkenlosen Himmel des Vater¬
flachshaarigen Zöglinge, dem er sich vergeblich
diese schwärmerische Liebe zur Musik und zur
hauses, diese Sonne die Sonne ihrer lachenden
abmühte, die Elemente des Klavierspieles bei
deutschen Sprache und Literatur ebenso sehr
Kinderzeit.
zubringen; als er wieder erschien, kam er nicht
wie durch die dunklen Augen seiner Schülerin
Pferde wurden gesattelt, Anna Alexan¬
mehr in Betracht. Er trat ab vom Schauplatze
and
ende