II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 192

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sichtlich.
Theater- und Kunstnachrichten.
„Freiwild."
(Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnitzler. — Erste Aufführung
im Carltheater am 4. Februar 1898.)
Auf dem Umwege über Berlin ist Arthur
Schnitzler's Schauspiel „Freiwild", das schon
vor mehr als einem Jahre am Berliner Deutschen
Theater mit Erfolg aufgeführt worden, gestern Abends
im Carltheater gelandet. Warum im Carltheater und
nicht im Burgtheater, dessen Pforten sich doch bereits
früher einem Schauspiele dieses begabten Wiener Autors
erschlossen hatten? Ist „Freiwild“, weniger hoftheater¬
fähig als „Liebelei"? Gewiß nicht, eher mehr. „Frei¬
wild“ ist ein Tendenzstück oder scheint doch wenigstens
eines zu sein, da es die Duellfrage erörtert. Aber in
dieser Erörterung ist einem österreichischen Offizier eine
allerdings nicht gerade rühmliche Rolle zugewiesen. Das
allein ist wohl der Grund, aus welchem das Stück in
Wien so lange antichambriren mußte und im Burg¬
theater überhaupt nicht anpochen durfte.
Der fragwürdige Offizier ist Lieutenant Karinsky,
ein Spieler und Schürzenjäger, der knapp vor dem
Ruin steht. Vorläufig ist Karinsky bemüht, in einem
kleinen Badeorte nächst der Residenz sich seine Sorgen
so gut es geht bei Zechgelagen und galanten Aben¬
teuern aus dem Kopfe zu schlagen. Im Mittelpunkte
des galanten Badelebens stehen die weiblichen Mit¬
a
Oesterr. Volk¬
Samstag 5. Februar 1898.
glieder des kleinen Sommertheaters, deren Zuvor¬
kommenheit gegen die militärischen Badegäste im
Ganzen nichts zu wünschen übrig läßt. Nur
die Naive ist so naiv, tugendhaft bleiben zu wollen.
Aufs Aeußerste gereizt durch ihren beharrlichen Wider¬
stand, läßt sich Karinsky hinreißen, den guten Ruf der
jungen Schauspielerin in Gegenwart ihres Jugend¬
freundes Paul Röning durch niedrige Verleumdung
zu beflecken. Eine Ohrfeige ist die Antwort Röning's,
und eine Duellforderung des geohrfeigten Lieutenants
die unvermeidliche Folge. Der Zivilist jedoch lehnt die
Forderung rundweg ab. Er fühlt sich erhaben über die
Vorurtheile des sogenannten ritterlichen Ehrenkoder und
ist entschlossen, trotz des Widerspruches seiner zivilistischen
Freunde, mit dem beleidigten Mädchen, dem er inzwischen
Herz und Hand angeboten, in der nächsten Stunde ab¬
zureisen. Einen Vorschlag des Rittmeisters Rhonstedt,
wenigstens in ein Scheinduell zu willigen, damit
Karinsky vor dem Zwange schimpflicher Quittirung
bewahrt bleibe, weist Röning ebenfalls mit Entrüstung
zurück. Da aber der Rittmeister diese neuerliche Ab¬
lehnung mit einer ziemlich unverhüllten Drohung er¬
widert, beschließt Röning, nicht zu reisen und büßt
diese trotzige Bekundung seiner Unerschrockenheit mit
seinem Leben. Wenige Stunden später wird er von
seinem lauernden Gegner, ehe er sich zur Wehre setzen
kann, auf offener Straße zusammengeschossen.
Wenn es dem Autor wirklich darum zu thun ge¬
wesen wäre, eine Tendenzkomödie zu schreiben, so wäre
ihm diese Absicht nicht sonderlich geglückt. Eine Figur
wie die Röning's, der sein Leben zu werth hält
um es für ein Vorurtheil im Zweikampf aufs
Spiel zu setzen, und dann aus kindischem Trotze
dem Gegner auf offener Straße in die Mün¬
dung der Pistole läuft, ist nicht geeignet,
die Anhänger der Ritterlichkeitstheorie zu bekehren.
Das Erste, was man von einem Tendenzstück erwartet
und verlangt, ist, daß der Dichter für eine Lehr¬
meinung entschieden und konsequent Partei ergreift.
Schnitzler aber schwankt so unschlüssig zwischen den
Parteien hin und her, daß sich bei der gestrigen Erst¬
aufführung seines Stückes Beifallsparteien bilden konn¬
ten, deren eine den Argumenten gegen, und deren
andere der Beweisführig für das Duell lebhaft
applaudiren durfte, da de Autor für beide gesorgt hatte.
Bei Lichte besehen ist
n auch „Freiwild", vielleicht¬
gegen den Willen des
tors, aber doch zum Besten
Tendenzschauspieles das ge¬
seines Stückes, statt
stärkste Seite seiner Be¬
worden, worauf ihr
gabung gebieterisch
ein Wiener Milienstück mit
Schwächen. Das Milieu
allen seinen Vorzüg¬
diesmal die Schn.
mit ihren charakteristischen
Theaterypen, ist in
vorzüglich gelungen, daß der
app gegen das Ende zu die
erste Akt, obgleiche
Handlung einsetzt,
die allerliebsten kleinen Genre¬
bildchen das Pu
m in trefflicher Stimmung
erhielt und da¬
Glück des Abends entschied.
Für die gesprochen
Leitartikel zur Duellfrage, die den
ganzen zweiten Ak
erfüllen, bieten einige geistreiche
Bemerkungen des Autors eine zwar angenehme, aber
keineswegs aus hende Entschädigung. Hier fehlt
eben das bunten gte Milieu-Leben, das auch in der
dumpfen Spannung des dritten Aktes seine Schuldigkeit
thut. In der flotten, wenngleich nur in oberflächlichen
Umrissen gehaltenen Zeichnung der Wiener Figuren
entfaltet sich auch hier wieder die ausgesprochenste und
liebenswürdigste Seite des Schnitzler'schen Talents
Und Wienerisch war die Atmosphäre von „Freiwild“,
trotzdem die Offiziere in preußische Uniformen gesteckt
waren und auf dem Theaterzettel die Ortsbezeichnung
„in der Nähe von Wien“ beseitigt war.
An dem schönen Erfolge des Abends hatte auch
das immer besser sich entwickelnde Schauspiel Ensemble
des Carltheaters, von dem mit besonderer Anerkennung
die Herren Klein, Reusch, Meyer=Eigen,
Tewele, Korff, Natzler und die Damen Glü¬
mer und Sangora zu nennen sind, einen höchst
Bz.
ehrenvollen Antheil.
Theater in der Josefstadt. Gestern gaben sie
hier einen neuen dreiaktigen Schwank: „Ascher¬
mittwoch von Hans Fischer und Josef Jarno.