8.
Freiwil
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Theater= und Kunstnachrichten.
Wien, 4. Februar.
Carl-Theater.] Das dreiactige Schauspiel „Freiwild“
von Arthur Schnitzler, das heute zum erstenmale aufgeführt
wurde, ist ein Stück, das mit resolut zugreifender Hand einen
empfindlichen und gefährlichen socialen Conflict vorführt. Es be¬
handelt die Frage der Verpflichtung zum Duelle mit der Ver¬
schärfung, daß es sich um die Forderung eines beleidigten, und
zwar thätlich insultirten Officiers handelt. Der Schimpf war em
Officier für die Verdächtigung der Tugend eines anständigen
Mädchens widerfahren, und der Beleidiger weigert sich, die Satis¬
faction zu geben, weil er nur eine verdiente Züchtigung ertheilt
habe. Das Schauspiel flößte starkes und anhaltendes Interesse ein,
der zweite Act rief, wie dies selten vorkommen mag, immer und
immer wieder lauten Beifall, zuweilen wol auch Opposition hervor;
Zustimmung und Widerspruch aber galten weniger dem Stücke,
als den gewechselten Reden. „Freiwild" spielt in einem kleinen
adeorte und zeigt uns in sehr gelungener Schilderung das leicht¬
fertige, fröhlich harmlose Bühnenvölkchen eines Sommertheaters.
Die jungen Actricen sind nicht allzu spröde und nehmen gerne die
Einladungen der Officiere an, die ihren Urlaub dort zubringen;
diese erscheinen in deutscher Uniform, wiewol einer von ihnen
der liebenswürdigste — man weiß nicht recht warum, mit unga¬
rischem Accent und einem Anfluge wienerischer Ausdrucksweise
spricht. Nur eine der Schauspielerinnen, die Naive, lebt zurück¬
gezogen, hält auf Ehrenhaftigkeit und Anstand. Aber gerade diese
Eine will Lieutenant Karinski, ein Officier, über dessen Ver¬ inclusive
Porto.
gangenheit wir nichts Günstiges hören, besitzen. Seine Annäherung
Zahlbar
wird zurückgewiesen, und im Aerger darüber verdächtigt er im Voraus.
ihre Gründe, spricht die Meinung aus, daß sie doch
nicht besser sein werde, als die Anderen. Der Maler Paul tte ist das
Rönning, der eine warme Neigung für das geschmähte Mädchen steht es den
Anna Riedel hegt, vernimmt diese in einem Gasthausgarten Indern.
gesprochenen Worte und schlägt in seiner Empörung den Officier,
der ihn auch gehänselt hatte, ins Gesicht. Dieser ist, wie seine bei¬
den anwesenden Kameraden, ohne Waffe und wird von ihnen,
damit ein weiterer Scandal vermieden werde, hinweggedrängt. Im
nächsten Acte wird Rönning gefordert. Seine beiden Freunde
erscheinen bei ihm, um ihm als Secundanten zu dienen, aber er
lehnt den weikampf ab. Er habe Jemanden, der ihm in den Weg
gelaufen sei gebührend gerächtigt, das sei aber kein Grund, sie
vielleicht erschießen zu lassen. Die Freunde machen ihm Vor¬
stellungen, sie bezeichnen die Annahme des Duells unter den gegen¬
wärtigen Umständen als eine Ehrenpflicht, sie drohen ihm mit
ihrer Mißachtung — umsonst, er beharrt bei seiner Weigerung.
Die Stimme der Vernunft stehe ihm höher als alle conventionellen
Ehrenregeln. Er erhält den Besuch des Rittmeisters Rohnstedt,
eines Ehrenmannes, welcher das Verhalten des Lieutenant
Karinski mißbilligt, aber in Rönning vom menschlichen Stand¬
punkte aus, wie er sagt, dringt, das Duell einzugehen, da
der Lieutenant sonst schimpflich quittiren, ja sich erschießen
müßte. Er bietet endlich dem Maler, wenn er sein Leben nicht in
Gefahr bringen wolle, ein Scheinduell an, nur damit Karinski
gerettet werde. Rönning weist auch diese Comödie ab; er mag sich
nicht begnadigen lassen. „Nicht dadurch," ruft er dem Rittmeister
zu, „daß er den Schlag erhalten, sondern dadurch, daß er den Schlag ver¬
dient hat, ist seine Ehre verloren," und ein Beifallsbanner aus
dem Publicum begleitet diese Worte. Mit einer schwach verhüllten
Drohung entfernt sich der Rittmeister. Der Maler, der sich in¬
zwischen mit Anna Riedel verlobt hat, erhält den Rath, abzureisen,
aber er bleibt, obwol er die Gefahr kennt, die seiner harrt. Die
Katastrophe läßt nicht lange auf sich warten. Lieutenant Karinski
will den Rath des Rittmeisters, sich einer andern Lebenssphäre zuzu¬
wenden, nicht befolgen. Gedemüthigt und moralisch vernichtet,
schießt er Rönning nieder. — Das Schauspiel ist geistvoll geschrieben
und hält die Spannung bis zum Schlusse fest; trotzdem ist
es in seinem Aufbau verfehlt, denn es ruft die Wirkung
nicht ganz hervor, die der Autor beabsichtigte. Man ruft
allen Sentenzen, die Rönning ausspricht. Bravo! zu, ver¬
mag aber doch nicht ihm die Sympathien ungetrübt
zuzuwenden. Die Motive seines Verhaltens sind keine zwingenden.
Es war nicht zwingend für ihn, sogleich zur äußersten thatlichen
Beleidigung des Officiers zu schreiten. Theoretisch vollkommen in
Rechte, erscheint er uns doch, der junge und unabhängige Mann,
unbarmherzig gegenüber dem zur Verzweiflung getriebenen Officier,
welcher sich von dem schmachvollen Untergange durch die Preis¬
gebung des Lebens retten möchte. Auch unvernünftig ist seine
starre Haltung, da er ja weiß, daß ihm als Rache der Tod und
vielleicht noch Schlimmeres, die gemeine Mißhandlung drohe. So
het seine eiserne Consequenz etwas Schrullenhaftes; er ist, im
günstigsten Sinne genommen, ein Michel Kohlhaas. Der Dichter
hat eben die Bedingungen für die Entwicklung seines Problems nicht
günstig gewählt. Trotzdem wußte das Werk, wie schon gesagt, sehr zu
fesseln, und wird diese Wirkung gewiß auch in den künftigen Vor¬
stellungen üben. Es ist ein Drama voll Leben und Actualität.
Herr Klein, das künftige Mitglied dieser Bühne, spielte als
Gast den Maler Rönning mit Wärme und schöner Beredsamkeit;
man könnte sich aber die Gestalt aus härterem und gedrungenerem
Stoffe denken. Fräulein Sangora, die Herren Reusch,
Meyer=Eigen, Tewele, Korff und alle anderen Dar¬
steller bildeten ein rühmenswerthes Ensemble.
Freiwil
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Theater= und Kunstnachrichten.
Wien, 4. Februar.
Carl-Theater.] Das dreiactige Schauspiel „Freiwild“
von Arthur Schnitzler, das heute zum erstenmale aufgeführt
wurde, ist ein Stück, das mit resolut zugreifender Hand einen
empfindlichen und gefährlichen socialen Conflict vorführt. Es be¬
handelt die Frage der Verpflichtung zum Duelle mit der Ver¬
schärfung, daß es sich um die Forderung eines beleidigten, und
zwar thätlich insultirten Officiers handelt. Der Schimpf war em
Officier für die Verdächtigung der Tugend eines anständigen
Mädchens widerfahren, und der Beleidiger weigert sich, die Satis¬
faction zu geben, weil er nur eine verdiente Züchtigung ertheilt
habe. Das Schauspiel flößte starkes und anhaltendes Interesse ein,
der zweite Act rief, wie dies selten vorkommen mag, immer und
immer wieder lauten Beifall, zuweilen wol auch Opposition hervor;
Zustimmung und Widerspruch aber galten weniger dem Stücke,
als den gewechselten Reden. „Freiwild" spielt in einem kleinen
adeorte und zeigt uns in sehr gelungener Schilderung das leicht¬
fertige, fröhlich harmlose Bühnenvölkchen eines Sommertheaters.
Die jungen Actricen sind nicht allzu spröde und nehmen gerne die
Einladungen der Officiere an, die ihren Urlaub dort zubringen;
diese erscheinen in deutscher Uniform, wiewol einer von ihnen
der liebenswürdigste — man weiß nicht recht warum, mit unga¬
rischem Accent und einem Anfluge wienerischer Ausdrucksweise
spricht. Nur eine der Schauspielerinnen, die Naive, lebt zurück¬
gezogen, hält auf Ehrenhaftigkeit und Anstand. Aber gerade diese
Eine will Lieutenant Karinski, ein Officier, über dessen Ver¬ inclusive
Porto.
gangenheit wir nichts Günstiges hören, besitzen. Seine Annäherung
Zahlbar
wird zurückgewiesen, und im Aerger darüber verdächtigt er im Voraus.
ihre Gründe, spricht die Meinung aus, daß sie doch
nicht besser sein werde, als die Anderen. Der Maler Paul tte ist das
Rönning, der eine warme Neigung für das geschmähte Mädchen steht es den
Anna Riedel hegt, vernimmt diese in einem Gasthausgarten Indern.
gesprochenen Worte und schlägt in seiner Empörung den Officier,
der ihn auch gehänselt hatte, ins Gesicht. Dieser ist, wie seine bei¬
den anwesenden Kameraden, ohne Waffe und wird von ihnen,
damit ein weiterer Scandal vermieden werde, hinweggedrängt. Im
nächsten Acte wird Rönning gefordert. Seine beiden Freunde
erscheinen bei ihm, um ihm als Secundanten zu dienen, aber er
lehnt den weikampf ab. Er habe Jemanden, der ihm in den Weg
gelaufen sei gebührend gerächtigt, das sei aber kein Grund, sie
vielleicht erschießen zu lassen. Die Freunde machen ihm Vor¬
stellungen, sie bezeichnen die Annahme des Duells unter den gegen¬
wärtigen Umständen als eine Ehrenpflicht, sie drohen ihm mit
ihrer Mißachtung — umsonst, er beharrt bei seiner Weigerung.
Die Stimme der Vernunft stehe ihm höher als alle conventionellen
Ehrenregeln. Er erhält den Besuch des Rittmeisters Rohnstedt,
eines Ehrenmannes, welcher das Verhalten des Lieutenant
Karinski mißbilligt, aber in Rönning vom menschlichen Stand¬
punkte aus, wie er sagt, dringt, das Duell einzugehen, da
der Lieutenant sonst schimpflich quittiren, ja sich erschießen
müßte. Er bietet endlich dem Maler, wenn er sein Leben nicht in
Gefahr bringen wolle, ein Scheinduell an, nur damit Karinski
gerettet werde. Rönning weist auch diese Comödie ab; er mag sich
nicht begnadigen lassen. „Nicht dadurch," ruft er dem Rittmeister
zu, „daß er den Schlag erhalten, sondern dadurch, daß er den Schlag ver¬
dient hat, ist seine Ehre verloren," und ein Beifallsbanner aus
dem Publicum begleitet diese Worte. Mit einer schwach verhüllten
Drohung entfernt sich der Rittmeister. Der Maler, der sich in¬
zwischen mit Anna Riedel verlobt hat, erhält den Rath, abzureisen,
aber er bleibt, obwol er die Gefahr kennt, die seiner harrt. Die
Katastrophe läßt nicht lange auf sich warten. Lieutenant Karinski
will den Rath des Rittmeisters, sich einer andern Lebenssphäre zuzu¬
wenden, nicht befolgen. Gedemüthigt und moralisch vernichtet,
schießt er Rönning nieder. — Das Schauspiel ist geistvoll geschrieben
und hält die Spannung bis zum Schlusse fest; trotzdem ist
es in seinem Aufbau verfehlt, denn es ruft die Wirkung
nicht ganz hervor, die der Autor beabsichtigte. Man ruft
allen Sentenzen, die Rönning ausspricht. Bravo! zu, ver¬
mag aber doch nicht ihm die Sympathien ungetrübt
zuzuwenden. Die Motive seines Verhaltens sind keine zwingenden.
Es war nicht zwingend für ihn, sogleich zur äußersten thatlichen
Beleidigung des Officiers zu schreiten. Theoretisch vollkommen in
Rechte, erscheint er uns doch, der junge und unabhängige Mann,
unbarmherzig gegenüber dem zur Verzweiflung getriebenen Officier,
welcher sich von dem schmachvollen Untergange durch die Preis¬
gebung des Lebens retten möchte. Auch unvernünftig ist seine
starre Haltung, da er ja weiß, daß ihm als Rache der Tod und
vielleicht noch Schlimmeres, die gemeine Mißhandlung drohe. So
het seine eiserne Consequenz etwas Schrullenhaftes; er ist, im
günstigsten Sinne genommen, ein Michel Kohlhaas. Der Dichter
hat eben die Bedingungen für die Entwicklung seines Problems nicht
günstig gewählt. Trotzdem wußte das Werk, wie schon gesagt, sehr zu
fesseln, und wird diese Wirkung gewiß auch in den künftigen Vor¬
stellungen üben. Es ist ein Drama voll Leben und Actualität.
Herr Klein, das künftige Mitglied dieser Bühne, spielte als
Gast den Maler Rönning mit Wärme und schöner Beredsamkeit;
man könnte sich aber die Gestalt aus härterem und gedrungenerem
Stoffe denken. Fräulein Sangora, die Herren Reusch,
Meyer=Eigen, Tewele, Korff und alle anderen Dar¬
steller bildeten ein rühmenswerthes Ensemble.