II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 245

Nr. 176.
12. Februar 1898.
Die Zeit.
Wien, Samstag,
Seite 106.
punkt unbedingt im Recht; das kann niemand, auch kein Anhänger des
Freiwild.
Duells, leugnen. Niemand kann ihm das Recht streitig machen, sich
nicht schlagen zu wollen. Theoretisch also, als Thesenstück, wäre „Frei¬
(Schauspiel in drei Acten von Arthur Schnitzler. Aufgeführt im Carltheater.)
wild damit zu Ende. Allein — da ist auch schon eine neue, andere Ahnung
Es ist bekannt, dass im zweiten Act von Schnitzlers „Freiwild
in uns aufgestiegen: dass Rönning in seiner Situation mit dem theoretischen
die Duellfrage discutiert wird. Duellfrage! Das ruft mit einem
Recht nicht bestehen wird, dass seine Freiheit, seine Vernunft — und mag
Schlage alles wach, was an Journalistenweisheit und Kannegießere
in Fesseln geschlagen werden können von einer
er zehnmal recht haben —
in uns schlummert. Theater, Spiel und Illusion sind mit einem
brutaleren Macht. Er hat einem Officier auf seine Attaque geantwortet, hat
Schlage vergessen. Die Wiener Kritik und das Wiener Publicum haben
er nicht schwere Rache zu befürchten? In dieser Linie entwickelt sich das Stück
verrathen, dass es ihnen mit „Freiwild" thatsächlich so ergangen ist
auch thatsächlich weiter. Rönning wird bedroht, aber er verschmäht
Sie haben zu diesem Stücke verstandesmäßig Stellung genommen, wie
es, zu fliehen. Der Officier trifft ihn auf der Straße und knallt ihn
zu einer Parlamentsdebatte; sie haben nichts anderes darin gesehen
nieder. Dass dieser Schluss die richtige Consequenz ist, wird nur
oder gesucht als Gründe und Gegengründe, Rede und Widerrede, Logik
derjenige nicht einsehen, der sich von der Duelldiscussion im oben¬
und Unlogik, Gerechtigkeit und Eigensinn. Was aber hat sich dabei
bezeichneten Sinne vollständig blenden ließ. Was ist nun gegen das
herausgestellt? Dass das Schnitzler'sche Stück mit einer solchen Prüfung
Duell bewiesen? fragt so ein hartnäckiger Missversteher am Schlusse.
der Ansichten über das Duell nicht abzuthun ist. Dass die Rechnung
Gar nichts, aber um das Duell hat es sich im Grunde auch gar nicht
mit a und b, mit Plus und Minus, die man in diesem Stück sehen
gehandelt. Wenn überhaupt etwas bewiesen werden sollte, so ist das
will, nicht aufgeht; dass vielmehr noch etwas übrig bleibt, etwas nicht
etwas ganz Anderes, Höheres: — dass Vernunft und Freiheit bei uns
Verstandesmäßiges, nicht Discutierbares, nicht zu Berechnendes. Daraus
nicht zu ihrem Rechte kommen. . . Ein Stück Weltanschauung liegt
haben voreilige Leute geschlossen, dass „Freiwild“ zwar ein Tendenz¬
in diesem Schlusse. Eine Weltanschauung, die für Schnitzler durchaus
stück sei, aber ein unausgeführtes oder nicht folgerichtiges. Ich schließe
charakteristisch ist: der Pessimismus des Verstandesculturmenschen.
besser: „Freiwild“ ist nur scheinbar stellenweise Tendenzdrama, in
Und neben diesem höheren Gesichtspunkte verflüchtigt wohl alles von
Wirklichkeit aber ein Theaterstück, ein Theaterstück, das allenfalls mit
selbst, was wie „Tendenz" aussah.
einer Tendenz spielt. Alle Fragen und Ansichten, alle Discussionen sind
Schnitzlers Charakterisierungsmanier, mehr ein Zeichnen als
darin etwas Höherem untergeordnet, der Illusion, der Wirkung. Mit
Malen, ist bekannt. Sein Dialog ist nicht naturalistisch abgestuft,
dem Verstand — oder gar mit einer verstandesmäßigen Polemik —
sondern nur leicht und oberflächlich schattiert. Die Motive und Charakter¬
kann man diesem Stück nicht beikommen. Ueber kein Werk, das mit dem
züge seiner Menschen schließen sich nicht zu runden, plastischen Formen
geheimnisvollen Gürtel der Kunstform, und zwar der gemeisterten
zusammen, sondern sind sozusagen in der Ebene nebeneinandergesetzt,
Kunstform, geschützt ist, hat ja die Controle der Logik irgendwelche
addiert, nicht multipliciert. Das ist seine Art. Von der temperament¬
Macht. Ein solches Werk aber, geheimnis umgürtet ist „Freiwild". Die
volleren und elementareren Gestaltungsart Hauptmanns unterscheidet
packende, über alles sieghafte Wirkung im Theater lässt darüber
sie sich wesentlich. Ein Vorwurf lässt sich selbstverständlich nicht da¬
keinen Zweifel.
gegen erheben, am allerwenigsten bei „Freiwild", wo diese Eigenart
Die Macht über die technische Kunstform, die dramatische in
so überaus glücklich verwertet erscheint. Den Darstellern dieses Stückes
erster Linie, fängt in unserer Generation an, neu gelernt, verstanden
ist es überdies anheimgestellt, die Contourengestalten desselben mit
und gewürdigt zu werden. Unsere künstlerische Entwickelung treibt da¬
Farbe und unzweideutiger Persönlichkeit zu füllen. Die Möglichkeit
hin, und auch in unserem Urtheil könnten wir uns dem Einfluss dieser
dazu — auch damit beweist ein Dichter Gestaltungskunst! — wird
Richtung nicht entziehen. Da kommt uns gerade Schnitzler überaus ge¬
ihnen von Schnitzler gegeben. Ganz gelungen ist das im Carltheater
legen und wird uns als Lehrmeister doppelt wertvoll und sympathisch,
eigentlich nur der Darstellerin des Mädchens, Fräulein
nun gar mit diesem Drama. Den gewissenhaften, in der Form rein¬
Mit ihrer dürftigen und doch liebenswürdigen Erscheinung, ihrer de¬
lichen, selbstkritischen Künstler schätzen wir schon lange in ihm. Mit
scheidenen und dabei eindringlichen Redeweise und ihrem augenscheinlich
„Freiwild" aber hat er ein Werk geschaffen, das vielleicht als Muster¬
großen Talent war sie ein vollendetes Bild dieser Rolle. Glänzend
beispiel für österreichische Dramentechnik vom Ende des 19. Jahrhunderts
und überaus wirksam war aber auch die Darstellung der anderen
fortgelten wird. Seine Technik schwebt glatt und geräuschlos dahin wie
Hauptrollen. Herr Klein als Rönning beherrschte den Dialog im
auf Fußschwingen; sie verbindet Kunstform und Inhalt eines Werkes
zweiten Acte mit einer künstlerischen Feinheit und Verstandesschärfe,
organisch, so dass eines im andern selbstverständlich, nothwendig und
die einem nicht alle Tage unterlaufen. Raffinement geradezu lag darin,
doch zufällig wird ganz wie ein freigewachsenes Ding der Natur. Das
wie fast jeder Satz scheinbar als Selbstverständlichkeit weggeworfen
zu können, ist immer das Alleinrecht der Künstler gewesen und wird es
wurde und dadurch nur umso stärker wirkte. Herr Reusch als Officier
stets bleiben: etwas, was einen sehr sicheren Instinct, einen sehr empfind¬
war nicht minder gut. Von den übrigen Darstellern schienen mir am
lichen Geschmack und sehr weise Concentration verlangt. Das ist etwas
ehesten die Herren Martin und Czasta ihren Aufgaben zu entsprechen.
was Reife und Seele verräth.
Alfred Gold.
.. Ein Mann schlägt nach einem Officier, der ihn in herausfor¬
dernder Absicht schwer beleidigt hat, verweigert dann die sogenannte
ritterliche Genugthuung und wird von dem deshalb verzweifelten Gegner
Burgtheater.
erschossen. Das der Inhalt des Schnitzler'schen Stückes. Der erste Act
bringt eine ausgezeichnete Verwickelung und Spannung, der dritte den
Der verantwortliche Redacteur der „Zeit" hat eine Zuschrift er¬
interessanten kleinen Umweg zur Katastrophe. Ein wahres Kunststück
halten, welche lautet:
aber ist der zweite Act. Paul Rönning verweigert die Annahme der
Sr. Wohlgeboren Herrrn Dr. Heinrich Kanner,
Heraus orderung. Mit den Gesprächen nun, die sich daraus ergeben,
verantwortlicher Redacteur der Wochenschrift „Die Zeit
bestreitet Schnitzler scheinbar — mit guter Absicht, scheinbar! — den
Wien.
größten Theil der dramatischen Steigerung seines Stückes. Die Fäden
Als bevollmächtigter Vertreter des Herrn Dr. Anton Bettelheim
seiner eigenartigen, von Klugheit und Laune schimmernden Conver¬
ersuche ich Sie auf Grund des § 19 des Pressgesetzes anruhende Be¬
sationskunst flicht er zu einem Netz, das sich um uns zusammenzieht
richtigung in die nächste Nummer Ihres Blattes in der gesetzlichen Form
und uns nicht mehr recht loslässt bis ans Ende. Wir sind entzückt,
einem interessanten, pointenreichen Meinungsstreit beizuwohnen und ver¬
aufzunehmen und mir den Empfang der Berichtigung zu bescheinigen.
gessen fast schon an das Thatsächliche. Und doch, ohne dass wir's vor¬
Hochachtungsvoll
erst wissen, gehen wir dem unaufhaltsamen Fortgang eines Dramas
Dr. Edmund Benedikt.
Wien, am 5. Feber 1898.
nach. Ich habe nie ein wirksameres dramatisches Kunstmittel gefunden
Berichtigung.
als die Täuschung an dieser Stelle des Stückes. Wir glauben den
In Nr. 175 der „Zeit" vom 5. Februar 1898 ist in dem
Dichter sich in Argumenten für und gegen das Duell erschöpfen zu
„Burgtheater" überschriebenen Artikel ein meinen Clienten Dr. Anton
sehen und alles Interesse darauf concentriert — die Voreiligen lächeln
Bettelheim betreffender Passus enthalten, welcher durchaus auf Unwahr¬
sogar schon: ein Thesenstück! — mit einem Male aber öffnen sich uns
heit beruht. Der Inhalt der von Herrn Dr. Anton Bettelheim an die
die Augen. Und wir sehen, dass der Dichter längst nicht mehr im
Frankfurter Zeitung geschickten Berichtigung des in der „Zeit" vom
Kampf der Meinungen drinsteht, und dass er ihn nur spielend gestreift
22. Jänner 1898 erschienenen Artikels „Burgtheater“ ist unrichtig,
hat, vielleicht um uns einen halben Act lang zu beschäftigen, vielleicht
weil verstümmelt wiedergegeben.
um seinem persönlichen Gerechtigkeitsdrang in ein paar hübschen Sätzen
Diese von Herrn Dr. Bettelheim der Frankfurter Zeitung tele¬
Luft zu machen, vielleicht, um seinen Helden, den Duellverweigerer,
graphisch zugesendete und von dieser vollinhaltlich abgedruckte Be¬
schärfer hervortreten zu lassen. Wir glaubten, dem Kampf zweier ver¬
richtigung lautete:
schiedener Principe beizuwohnen. Aber das ist nur ein vorgeschobenes
„Ich habe niemals und mit niemandem zum Sturze Burckhards
Scheingefecht, und während dessen hat der wirkliche Kampf auf einem
mich verbündet. Geradezu absurd ist die Behauptung, dass Excellenz
ganz anderen Feld begonnen; zwischen dem Princip des Helden und
Bezeny mir die Hand gereicht zur Verschwörung. Ich habe niemals
seinem Leben! Paul Rönning verweigert das Duell und vertritt in
die Intendanz betreten und seit länger als einem Jahrzehnt weder
mehreren Gesprächen seinen Standpunkt. Keinen Moment lässt er sich
direct noch indirect mit Baron Bezeny oder Regierungsrath Wlassak
darin beirren, und wir selber kommen keinen Moment in die Lage,
ein Wort gewechselt."
seine Ausführungen anders als vernünftig zu heißen. (Scheinlogik und
Es ist daher unwahr, dass Dr. Bettelheim nicht dasjenige be¬
Scheinargument, vom Dichter sehr fein hergerichtet, ist alles, was seine
richtigt hat, was Herr Bahr in dem Artikel vom 22. Jänner 1898
Partner vorbringen.) Rönning ist ja von seinem Individualitätsstand¬