8. Freiwild
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Theater und Musik.
* (Uniontheater.) Von Arthur Schnitzler, dem Verfasser
des Schauspiels „Freiwild, das am Mittwoch zum ersten Male
im Uniontheater in Szene gegangen ist, wurde vor kurzem ge¬
meldet, er sei vom militärischen Ehrenrathe in Wien seiner Charge
als österreichischer Reserveoffizier (Regimentsarz der Reserve
verlustig erklärt worden, weil er durch seine novellistische Studie
„Leutnant Gustl“ der Ehre des österreichischen Offizierkorps nahe¬
getreten sei. Wenn der Ehrenrath in dem Inhalt dieser Studie
in der Schilderung des Rencontres des Leutnants Gustl mit
einem Zivilisten, der qualvollen Lage des Offiziers, den der
Gegner durch seine überlegene Körperkraft daran hindert, den
Säbel zu ziehen, und der glücklichen Lösung der Sache durch
den unerwarteten Tod des Zivilisten eine Beleidigung der Ge¬
Abon sammtheit der österreichischen Offiziere zu erblicken vermochte, so
Ahon erscheint es schwer verständlich, weshalb nicht schon nach dem Er¬
scheinen des weit früher veröffentlichten Schauspiels „Freiwild“
das hochnothpeinliche Verfahren gegen den Regimentsarzt und
Schriftsteller Schnitzler eingeleitet und seine Entfernung aus dem
Heere herbeigeführt worden ist. Die Verwandtschaft der beiden
Dichtungen ist unverkennbar; hier wie dort sehen wir einen Offizier,
der beim feindlichen Zusammenstoß mit einem Nichtmilitär der
Unterliegende ist, und in beiden Fällen giebt der Tod des Zivilisten
were dem Offizier die verlorene „Ehre" wieder. Ein Unterschied freilich
ist dabei: Leutnant Gustl wird durch einen Zufall gerettet, indem
seinen Widersacher der Schlag trifft, Oberleutnant Karinski in
„Freiwild dagegen schießt seinen Gegner, der die verlangte Ge¬
ungthuung verweigert, weil die Sache für ihn mit der „Züchtigung
Karinskis abgethan sei, auf offener Straße über den Haufen.
Schnitzler läßt in „Freiwild keinen Zweifel darüber, daß er die
Scheinehre, die nach seiner Darstellung im österreichischen Offizier¬
korps auch dem moralisch tief Gesunkenen bleibt, wenn er nur in
gewissen Fragen „korrekt" handelt, in ihrer ganzen Hohlheit treffen
will; Karinski ist ein wüster Spieler und Frauenverderber, der
hämisch die Ehr eines braven Mädchens, das seine Belästigung
zurückweist, verdächtigt, ein haltloser, mit sich und der Welt zer¬
fallener Mensch, dem auch nicht ein sympathischer Zug eigen ist;
seine „Ehre aber bleibt unberührt, bis ein Freund des von ihm
beschimpften Mädchens dem Verleumder einen Faustschlag ins
Gesicht versetzt. Dieser Flecken auf der Ehre Karinskis kann nur
durch Blut getilgt werden, und da Paul Rönning, sein Feind,
als grundsätzlicher Gegner des Zweikampfes die Forderung
Karinskis ablehnt, erzwingt dieser sich die „Wiederherstellung seiner
Ehre", wie schon bemerkt, durch die Tödtung Rönnings. Sehr
ungünstig wirkt es, daß wir auch mit Paul Rönning, dem Gegner
des Duells und jenes Ehrbegriffs, den Schnitzler als falsch kenn¬
zeichnet, nicht so recht zu empfinden vermögen; sein Benehmen
nach der schweren Beschimpfung Karinskis entbehrt der Würde,
und was er zur Begründung seiner Weigerung, sich zu duelliren,
geltend macht, besitzt keine überzeugende Kraft. Die beiden letzten
Akte, in denen fast in allen Szenen nur dieser uneralickliche Ehren¬
handel in Frage kommt, fesseln den Hörer denn auch in weit ge¬
ringerem Maße als der erste Akt, der eine ganze Reihe lebendig
erfaßter Bilder aus der niederen österreichischen Theaterwelt ent¬
hält und durch Gestalten belebt wird, die mit kecken Griff jener
Welt entnommen sind, die schon Eichendorff in seiner Novelle
„Dichter und ihre Gesellen so anschaulich darstellt. Von dem
romantischen Hauch, der Eichendorffs Kordelchen rc. umschwebt, ist
hier freilich nichts zu spüren; ungeputzt und ungeschminkt, ja vielfach
roh und abstoßend, wie die Gestalten dieser verlodderten Ge¬
sellschaft, wird auch ihr Empfinden und Handeln geschildert. Im
Mittelpunkt des Interesses stand bei der Aufführung des Schau¬
spiels selbstredend der ausgezeichnete Gast der Bühne, Herr
Hubert Reusch, der gleich in den ersten Auftritten Karinskis
die nervöse Gereiztheit des schuldbeladenen Mannes erkennen
ließ, um dann im weiteren Verlaufe der Vorstellung dessen
innerliche Zerrüttung immer deutlicher im leidenschaftlich bewegten
Mienenspiel, im höhnischen oder bitteren Auflachen, in jedem wie
knirschend den Lippen entpreßten Worte hervortreten zu lassen.
Eine schauspielerische Leistung ersten Ranges, in gleicher Weise
hervorragend durch die überall zu Tage tretende scharfe geistige
Durchdringung der Aufgabe wie durch die vollendete Natür¬
lichkeit des Spiels. Ein liebenswürdiges Gegenstück zu dem
unheimlichen Karinski des Schnitzlerschen Schauspiels bot
Herr Reusch in seinem prächtigen, gemüthvollen Doktor
Volkart in Fuldas Lustspiel „Unter vier Augen, das den Abend
eröffnete. Der geschätzte Gast, dem eine sehr herzliche Auf¬
nahme bereitet wurde, hatte in dem letztgenannten Einakter in
Fräulein Halden (Hermine) eine gewandte, wenngleich an diesem
Abend nicht völlig sichere Partnerin gefunden; in „Freiwild
waren es besonders Fräulein Göricke (Anna Riedel) und die
Herren Direktor Jürgens, Scharrelmann und Colmar deren gute
schauspielerische Leistungen mit dazu beitrugen, diese Aufführung
zu der bisher einwandfreiesten der Saison zu gestalten. Fräulein
Meißner und die Herren Ahnelt, Bugge und Czerny spielten die
Szenen der „Komödianten mit augenscheinlichem Behagen und
guter Laune.
L. Ordesign.
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Theater und Musik.
* (Uniontheater.) Von Arthur Schnitzler, dem Verfasser
des Schauspiels „Freiwild, das am Mittwoch zum ersten Male
im Uniontheater in Szene gegangen ist, wurde vor kurzem ge¬
meldet, er sei vom militärischen Ehrenrathe in Wien seiner Charge
als österreichischer Reserveoffizier (Regimentsarz der Reserve
verlustig erklärt worden, weil er durch seine novellistische Studie
„Leutnant Gustl“ der Ehre des österreichischen Offizierkorps nahe¬
getreten sei. Wenn der Ehrenrath in dem Inhalt dieser Studie
in der Schilderung des Rencontres des Leutnants Gustl mit
einem Zivilisten, der qualvollen Lage des Offiziers, den der
Gegner durch seine überlegene Körperkraft daran hindert, den
Säbel zu ziehen, und der glücklichen Lösung der Sache durch
den unerwarteten Tod des Zivilisten eine Beleidigung der Ge¬
Abon sammtheit der österreichischen Offiziere zu erblicken vermochte, so
Ahon erscheint es schwer verständlich, weshalb nicht schon nach dem Er¬
scheinen des weit früher veröffentlichten Schauspiels „Freiwild“
das hochnothpeinliche Verfahren gegen den Regimentsarzt und
Schriftsteller Schnitzler eingeleitet und seine Entfernung aus dem
Heere herbeigeführt worden ist. Die Verwandtschaft der beiden
Dichtungen ist unverkennbar; hier wie dort sehen wir einen Offizier,
der beim feindlichen Zusammenstoß mit einem Nichtmilitär der
Unterliegende ist, und in beiden Fällen giebt der Tod des Zivilisten
were dem Offizier die verlorene „Ehre" wieder. Ein Unterschied freilich
ist dabei: Leutnant Gustl wird durch einen Zufall gerettet, indem
seinen Widersacher der Schlag trifft, Oberleutnant Karinski in
„Freiwild dagegen schießt seinen Gegner, der die verlangte Ge¬
ungthuung verweigert, weil die Sache für ihn mit der „Züchtigung
Karinskis abgethan sei, auf offener Straße über den Haufen.
Schnitzler läßt in „Freiwild keinen Zweifel darüber, daß er die
Scheinehre, die nach seiner Darstellung im österreichischen Offizier¬
korps auch dem moralisch tief Gesunkenen bleibt, wenn er nur in
gewissen Fragen „korrekt" handelt, in ihrer ganzen Hohlheit treffen
will; Karinski ist ein wüster Spieler und Frauenverderber, der
hämisch die Ehr eines braven Mädchens, das seine Belästigung
zurückweist, verdächtigt, ein haltloser, mit sich und der Welt zer¬
fallener Mensch, dem auch nicht ein sympathischer Zug eigen ist;
seine „Ehre aber bleibt unberührt, bis ein Freund des von ihm
beschimpften Mädchens dem Verleumder einen Faustschlag ins
Gesicht versetzt. Dieser Flecken auf der Ehre Karinskis kann nur
durch Blut getilgt werden, und da Paul Rönning, sein Feind,
als grundsätzlicher Gegner des Zweikampfes die Forderung
Karinskis ablehnt, erzwingt dieser sich die „Wiederherstellung seiner
Ehre", wie schon bemerkt, durch die Tödtung Rönnings. Sehr
ungünstig wirkt es, daß wir auch mit Paul Rönning, dem Gegner
des Duells und jenes Ehrbegriffs, den Schnitzler als falsch kenn¬
zeichnet, nicht so recht zu empfinden vermögen; sein Benehmen
nach der schweren Beschimpfung Karinskis entbehrt der Würde,
und was er zur Begründung seiner Weigerung, sich zu duelliren,
geltend macht, besitzt keine überzeugende Kraft. Die beiden letzten
Akte, in denen fast in allen Szenen nur dieser uneralickliche Ehren¬
handel in Frage kommt, fesseln den Hörer denn auch in weit ge¬
ringerem Maße als der erste Akt, der eine ganze Reihe lebendig
erfaßter Bilder aus der niederen österreichischen Theaterwelt ent¬
hält und durch Gestalten belebt wird, die mit kecken Griff jener
Welt entnommen sind, die schon Eichendorff in seiner Novelle
„Dichter und ihre Gesellen so anschaulich darstellt. Von dem
romantischen Hauch, der Eichendorffs Kordelchen rc. umschwebt, ist
hier freilich nichts zu spüren; ungeputzt und ungeschminkt, ja vielfach
roh und abstoßend, wie die Gestalten dieser verlodderten Ge¬
sellschaft, wird auch ihr Empfinden und Handeln geschildert. Im
Mittelpunkt des Interesses stand bei der Aufführung des Schau¬
spiels selbstredend der ausgezeichnete Gast der Bühne, Herr
Hubert Reusch, der gleich in den ersten Auftritten Karinskis
die nervöse Gereiztheit des schuldbeladenen Mannes erkennen
ließ, um dann im weiteren Verlaufe der Vorstellung dessen
innerliche Zerrüttung immer deutlicher im leidenschaftlich bewegten
Mienenspiel, im höhnischen oder bitteren Auflachen, in jedem wie
knirschend den Lippen entpreßten Worte hervortreten zu lassen.
Eine schauspielerische Leistung ersten Ranges, in gleicher Weise
hervorragend durch die überall zu Tage tretende scharfe geistige
Durchdringung der Aufgabe wie durch die vollendete Natür¬
lichkeit des Spiels. Ein liebenswürdiges Gegenstück zu dem
unheimlichen Karinski des Schnitzlerschen Schauspiels bot
Herr Reusch in seinem prächtigen, gemüthvollen Doktor
Volkart in Fuldas Lustspiel „Unter vier Augen, das den Abend
eröffnete. Der geschätzte Gast, dem eine sehr herzliche Auf¬
nahme bereitet wurde, hatte in dem letztgenannten Einakter in
Fräulein Halden (Hermine) eine gewandte, wenngleich an diesem
Abend nicht völlig sichere Partnerin gefunden; in „Freiwild
waren es besonders Fräulein Göricke (Anna Riedel) und die
Herren Direktor Jürgens, Scharrelmann und Colmar deren gute
schauspielerische Leistungen mit dazu beitrugen, diese Aufführung
zu der bisher einwandfreiesten der Saison zu gestalten. Fräulein
Meißner und die Herren Ahnelt, Bugge und Czerny spielten die
Szenen der „Komödianten mit augenscheinlichem Behagen und
guter Laune.
L. Ordesign.