8. Freiwild
box 14/4
burg, Poron.
Queen
BERLIN
Ausschnitt aus:
1913
JUNI
vom
Theater.
Schiller=Theater Charlottenburg: Freiwild
von Artur Schuldie Aufführung dieses bald zwei
Jahrzehnte alten dramatischen Erstlings Schnitzlers war ein glück¬
licher Griff. Das Stück hat eine Kraft, einen inneren Zusammen¬
hang und eine Plastik, die von der vagen, in lauter Stimmungs¬
nüancen zerfließenden Weichheit seiner letzten Dramen sehr vorteil¬
haft absicht. Daß das Schauspiel Tendenz, gesellschaftskritische
polemische Tendenz besitzt, was heutzutage bei der Kritik nicht
mehr für vornehm gilt, erhöht noch seinen Wert. Dramatische
Tendenz ist nicht ein Ausspielen von Schlagworten, so wenig wie
das Demonstrieren einer Ansicht an einem zu diesem Zweck
verstandesmäßig konstruierten Einzelfall. Dann freilich stünde sie
im Widerspruch zum Schöpferischen und böte billige Surrogate.
geht, si¬
Wo aber dichterische Phantasie am Werte,
in das Gestalten selbst organisch=fruchtbar ein. So auch in diesem
Schnitzlerdrama. Scharfe Schlaglichter wirft es auf den blöd¬
brutalen Unsinn des Duells, auf die frivole Gesinnungslumperei,
die in den schutzlos armen Mädchen nur ein willkommenes Freiwild
ihrer Lüste sicht. Eine bewußte Stellungnahene gesellschaftlichen Er¬
en
scheinungen gegenüber spricht sich eindrucksvoll, Resonanz im Denk¬
und Gefühl des Zuschauers weckend, aus. Aber diese Beziehung zu
einem Allgemeinen geht mit vollständig individualisierender
Charakteristik der Personen und Situationen Hand in Hand.
Namentlich die beiden ersten Akte; die Schilderung der
Offizierstypen und des Komödienvölkchens, das ausgezeichnet
motivierte Renkonter zwischen dem zynischen Oberleutnant
Karinski und Rönning, und die Szenen, in denen Reser seinen Sekun¬
danten die überraschende Erklärung gibt, er dense gar nicht daran,
in junges Leben der Pistolenkugel eines Ransols auszusetzen, er¬
egten angespannte Teilnahme. Der Beifall da von einem, auch
für Schiller=Theater=Verhältnisse ungewöhnlichen Elan. Die Dar¬
tellung verdient im ganzen warmes Lob. Rönning und seine Braut,
die junge gehetzte Schauspielerin fanden in Konrad Wiene und
Leonore Ehn sympathische Vertreter: Noacks Karinski, anfangs
wenig überzeugend, wuchs in dem Schlußakt zu beträchtlicher Höhe.
Ausschnitt Berliner Morgenpost, Berlin
vom
1913
on the
chen im Keller¬
aler Charlottenburg. Es sind nun siebzehn
Jahre her, daß Arthur Schnitzlers Tendenz¬
drama „Freiwild am Deutschen Theater
seine erste Aufführung erlebte, und man tut dem
Schnitzler von heute nicht Unrecht, wenn man es
offen ausspricht, daß man diesem Schauspiel mit
der unverhohlenen Absicht, gegen das Duell mobil
zu machen, nicht mehr so viel abgewinnen kann,
wie ehedem, mag man die Tendenz auch noch so
sehr billigen. Denn Tendenz und Kunst sind nun
einmal schwer zu vereinigende Dinge.
Trotzdem muß man der Leitung der Schiller¬
theater Dank wissen, daß sie sich dieses Stückes
abermals angenommen hat. Denn ein Dichter
wie Schnitzler verdient, daß man sich auch ge¬
legentlich seiner schwächeren Arbeiten erinnert.
Das Publikum war denn auch trotz der Schwüre
recht beifallslustig und klatschte reichlich, trotz¬
dem die Darstellung nicht alles gab, was sie hätte
geben können. Die einzelnen Rollen waren nicht
einmal schlecht vertreten, aber dem Ganzen fehlte
doch so manches. Nicht zum wenigsten die spe¬
zifisch österreichische Atmosphäre. Aber das
kommt davon, wenn niemand so recht den Dialekt
beherrscht. Vor allen fielen Otto Letroe und
Leonore Ehn durch die Natürlichkeit auf, aber¬
auch Conrad Wiene, Karl Elzer, Karl
Noack und Fritz Achterberg standen ihren
Mann. Sehr drollig war der Direktor Pateg
B
als Schmierenleiter.
Ausschnitt aus zu Hamburger Zeit
23
vom
Septen¬
4.
Kunst und Wissenschaft.
O. P. Volksschauspiele im Altonaer Stadttheater.
Daß Arthur Schnitzlers Schauspiel Freiwild
nicht mit Rosenmonia, und noch weniger mit Zapfenstreich
in einem Schubfach unterzubringen, daß es weder als Be¬
rufs- noch als Tendenzdrama zu kategorisieren ist, das sollte
heute schon dem größeren Publikum klar sein. Bringen
wir uns doch nicht immer wieder durch die unerzogene, un¬
begabte Art der Betrachtung um die wirkliche Aufnahme,
das persönliche Miterleben des Kunstwerks, durch jene Art
der Betrachtung, der die bunteren oder grelleren Bestand¬
teile des Stofflichen dermaßen die Augen blenden, daß sie
die Zusammenhänge und Uebergänge, ganz zu schweigen
von der Beseelung und Vergeistigung des Stoffes, gar nicht
mehr sehen. Diese irrtümliche und unkünstlerische Betrach¬
tungsweise sieht in dem Oberleutnant Karinski, dessen
innere Ehre längst zermürbt ist und der, um ihren äußeren
Schein und den letzten Halt, den Namen Offizier, aufrecht¬
zuerhalten, irgendein vermeintliches Hindernis, irgend¬
einen Menschen, der ihn leise reizt, zusammenhaut, den
Typ des Offiziers, wie ihn Schnitzler vermeintlich gesehen
habe. Diese falsche Betrachtungsweise erblickt dann in dem
Zivilisten Rönning, der dem Anrempler die Genugtuung
verweigert, durch keine eindringliche Vorstellung zu be¬
wegen ist, sein Leben im Duell aufs Spiel zu setzen, damit
der Gezüchtigte seine Offiziersehre wiedererhalte, den Typ
des menschlich wertvollen Duellgegners, und in dem Drama
erblickt sie solchergestalt, wenn Rönning, der dem Rasenden
auch nicht entfliehen will, von ihm meuchlings nieder¬
geknallt wird, eine Philippika gegen den Ehrenkodex. Wer
aber mit dem Dichter geht, alle Schwingungen der Tragödie
ohne vorgefaßte Meinung miterlebt, empfindet die uralte,
reinmenschliche Tragödie, in der Schuld und Schicksal un¬
trennbar verknüpft sind. Sieht zwei Menschen, die durch
den individuell bestimmten Lebenswillen in einen Gegensatz
geraten, der nicht mehr zu lösen und darum tragisch ist.
Nicht bloß kein Ehrenkodex, sondern keine soziale Ethik der
Welt schaltet die tragischen Konflikte aus, die aus der be¬
wegten Menschenbrust, einer Welt mit ihren eigenen unter¬
schiedlichen Gesetzen, drohend aufwachsen. In der Beziehung
dieses menschlichen Gehaltes zu dem modernen Milieu, und
insofern ja Menschengestaltung ohne die Einbeziehung aller
Umstände einer bestimmten Zeit und ihrer Anschauungen
wesenlos wäre, verkörpern sich die geistigen Mächte dieser
Zeit ebensowohl wie das persönlich ethische Bekenntnis des
Dichters, nicht aber in einer bestimmten Figur oder einer
bestimmten These. Darum entspricht auch die Fülle der
mit knappen Strichen aufs lebendigste gezeichneten Figuren,
die Tiefe der aus dem bloßen Selbsterhaltungstrieb er¬
wachsenen Ideen von Recht und Unrecht, Freiheit und
Zwang dem differenzierten Reichtum der Lebensformen
unserer Kulturwelt. Daß in dieser Kulturwelt gerade
dieses, eines der packendsten Theaterstücke Schnitzlers, fast
ein schmutziger
nie öffentlich aufgeführt wird, weil
Theaterdirektor und die elenden Verhältnisse einer Schmiere
darin vorkommen, sei nur als Bestätigung jener materiell
verfälschten und irregeleiteten Betrachtungsart von Dich¬
tungen angeführt. Freiwild sind übrigens nicht bloß die
schlecht bezahlten Liebhaberinnen jener Schmiere, sondern ist
jeder Liebhaber des Lebens seinem Antipoden gegenüber.
Die Darstellung verfolgte die dichterischen Absichten mit
starker Eindringlichkeit. Den hervorragenden Charakter¬
zeichnungen der Herren Hardel (Karinski) und Haase
(Rönning) schlossen sich Vally v. Küstenfeld (Anna
Riedel), Paul Bach (Theaterdirektor), Gustav Keune
(Rohnstedt), Richard Gorter (Leutnant Vogel), die
Damen Herzfeld, Wagner und die Herren Fritz
Jeßner, Brüll, Stahl, Willert, Geißler,
Bernardo glänzend und erfolgreich an.
box 14/4
burg, Poron.
Queen
BERLIN
Ausschnitt aus:
1913
JUNI
vom
Theater.
Schiller=Theater Charlottenburg: Freiwild
von Artur Schuldie Aufführung dieses bald zwei
Jahrzehnte alten dramatischen Erstlings Schnitzlers war ein glück¬
licher Griff. Das Stück hat eine Kraft, einen inneren Zusammen¬
hang und eine Plastik, die von der vagen, in lauter Stimmungs¬
nüancen zerfließenden Weichheit seiner letzten Dramen sehr vorteil¬
haft absicht. Daß das Schauspiel Tendenz, gesellschaftskritische
polemische Tendenz besitzt, was heutzutage bei der Kritik nicht
mehr für vornehm gilt, erhöht noch seinen Wert. Dramatische
Tendenz ist nicht ein Ausspielen von Schlagworten, so wenig wie
das Demonstrieren einer Ansicht an einem zu diesem Zweck
verstandesmäßig konstruierten Einzelfall. Dann freilich stünde sie
im Widerspruch zum Schöpferischen und böte billige Surrogate.
geht, si¬
Wo aber dichterische Phantasie am Werte,
in das Gestalten selbst organisch=fruchtbar ein. So auch in diesem
Schnitzlerdrama. Scharfe Schlaglichter wirft es auf den blöd¬
brutalen Unsinn des Duells, auf die frivole Gesinnungslumperei,
die in den schutzlos armen Mädchen nur ein willkommenes Freiwild
ihrer Lüste sicht. Eine bewußte Stellungnahene gesellschaftlichen Er¬
en
scheinungen gegenüber spricht sich eindrucksvoll, Resonanz im Denk¬
und Gefühl des Zuschauers weckend, aus. Aber diese Beziehung zu
einem Allgemeinen geht mit vollständig individualisierender
Charakteristik der Personen und Situationen Hand in Hand.
Namentlich die beiden ersten Akte; die Schilderung der
Offizierstypen und des Komödienvölkchens, das ausgezeichnet
motivierte Renkonter zwischen dem zynischen Oberleutnant
Karinski und Rönning, und die Szenen, in denen Reser seinen Sekun¬
danten die überraschende Erklärung gibt, er dense gar nicht daran,
in junges Leben der Pistolenkugel eines Ransols auszusetzen, er¬
egten angespannte Teilnahme. Der Beifall da von einem, auch
für Schiller=Theater=Verhältnisse ungewöhnlichen Elan. Die Dar¬
tellung verdient im ganzen warmes Lob. Rönning und seine Braut,
die junge gehetzte Schauspielerin fanden in Konrad Wiene und
Leonore Ehn sympathische Vertreter: Noacks Karinski, anfangs
wenig überzeugend, wuchs in dem Schlußakt zu beträchtlicher Höhe.
Ausschnitt Berliner Morgenpost, Berlin
vom
1913
on the
chen im Keller¬
aler Charlottenburg. Es sind nun siebzehn
Jahre her, daß Arthur Schnitzlers Tendenz¬
drama „Freiwild am Deutschen Theater
seine erste Aufführung erlebte, und man tut dem
Schnitzler von heute nicht Unrecht, wenn man es
offen ausspricht, daß man diesem Schauspiel mit
der unverhohlenen Absicht, gegen das Duell mobil
zu machen, nicht mehr so viel abgewinnen kann,
wie ehedem, mag man die Tendenz auch noch so
sehr billigen. Denn Tendenz und Kunst sind nun
einmal schwer zu vereinigende Dinge.
Trotzdem muß man der Leitung der Schiller¬
theater Dank wissen, daß sie sich dieses Stückes
abermals angenommen hat. Denn ein Dichter
wie Schnitzler verdient, daß man sich auch ge¬
legentlich seiner schwächeren Arbeiten erinnert.
Das Publikum war denn auch trotz der Schwüre
recht beifallslustig und klatschte reichlich, trotz¬
dem die Darstellung nicht alles gab, was sie hätte
geben können. Die einzelnen Rollen waren nicht
einmal schlecht vertreten, aber dem Ganzen fehlte
doch so manches. Nicht zum wenigsten die spe¬
zifisch österreichische Atmosphäre. Aber das
kommt davon, wenn niemand so recht den Dialekt
beherrscht. Vor allen fielen Otto Letroe und
Leonore Ehn durch die Natürlichkeit auf, aber¬
auch Conrad Wiene, Karl Elzer, Karl
Noack und Fritz Achterberg standen ihren
Mann. Sehr drollig war der Direktor Pateg
B
als Schmierenleiter.
Ausschnitt aus zu Hamburger Zeit
23
vom
Septen¬
4.
Kunst und Wissenschaft.
O. P. Volksschauspiele im Altonaer Stadttheater.
Daß Arthur Schnitzlers Schauspiel Freiwild
nicht mit Rosenmonia, und noch weniger mit Zapfenstreich
in einem Schubfach unterzubringen, daß es weder als Be¬
rufs- noch als Tendenzdrama zu kategorisieren ist, das sollte
heute schon dem größeren Publikum klar sein. Bringen
wir uns doch nicht immer wieder durch die unerzogene, un¬
begabte Art der Betrachtung um die wirkliche Aufnahme,
das persönliche Miterleben des Kunstwerks, durch jene Art
der Betrachtung, der die bunteren oder grelleren Bestand¬
teile des Stofflichen dermaßen die Augen blenden, daß sie
die Zusammenhänge und Uebergänge, ganz zu schweigen
von der Beseelung und Vergeistigung des Stoffes, gar nicht
mehr sehen. Diese irrtümliche und unkünstlerische Betrach¬
tungsweise sieht in dem Oberleutnant Karinski, dessen
innere Ehre längst zermürbt ist und der, um ihren äußeren
Schein und den letzten Halt, den Namen Offizier, aufrecht¬
zuerhalten, irgendein vermeintliches Hindernis, irgend¬
einen Menschen, der ihn leise reizt, zusammenhaut, den
Typ des Offiziers, wie ihn Schnitzler vermeintlich gesehen
habe. Diese falsche Betrachtungsweise erblickt dann in dem
Zivilisten Rönning, der dem Anrempler die Genugtuung
verweigert, durch keine eindringliche Vorstellung zu be¬
wegen ist, sein Leben im Duell aufs Spiel zu setzen, damit
der Gezüchtigte seine Offiziersehre wiedererhalte, den Typ
des menschlich wertvollen Duellgegners, und in dem Drama
erblickt sie solchergestalt, wenn Rönning, der dem Rasenden
auch nicht entfliehen will, von ihm meuchlings nieder¬
geknallt wird, eine Philippika gegen den Ehrenkodex. Wer
aber mit dem Dichter geht, alle Schwingungen der Tragödie
ohne vorgefaßte Meinung miterlebt, empfindet die uralte,
reinmenschliche Tragödie, in der Schuld und Schicksal un¬
trennbar verknüpft sind. Sieht zwei Menschen, die durch
den individuell bestimmten Lebenswillen in einen Gegensatz
geraten, der nicht mehr zu lösen und darum tragisch ist.
Nicht bloß kein Ehrenkodex, sondern keine soziale Ethik der
Welt schaltet die tragischen Konflikte aus, die aus der be¬
wegten Menschenbrust, einer Welt mit ihren eigenen unter¬
schiedlichen Gesetzen, drohend aufwachsen. In der Beziehung
dieses menschlichen Gehaltes zu dem modernen Milieu, und
insofern ja Menschengestaltung ohne die Einbeziehung aller
Umstände einer bestimmten Zeit und ihrer Anschauungen
wesenlos wäre, verkörpern sich die geistigen Mächte dieser
Zeit ebensowohl wie das persönlich ethische Bekenntnis des
Dichters, nicht aber in einer bestimmten Figur oder einer
bestimmten These. Darum entspricht auch die Fülle der
mit knappen Strichen aufs lebendigste gezeichneten Figuren,
die Tiefe der aus dem bloßen Selbsterhaltungstrieb er¬
wachsenen Ideen von Recht und Unrecht, Freiheit und
Zwang dem differenzierten Reichtum der Lebensformen
unserer Kulturwelt. Daß in dieser Kulturwelt gerade
dieses, eines der packendsten Theaterstücke Schnitzlers, fast
ein schmutziger
nie öffentlich aufgeführt wird, weil
Theaterdirektor und die elenden Verhältnisse einer Schmiere
darin vorkommen, sei nur als Bestätigung jener materiell
verfälschten und irregeleiteten Betrachtungsart von Dich¬
tungen angeführt. Freiwild sind übrigens nicht bloß die
schlecht bezahlten Liebhaberinnen jener Schmiere, sondern ist
jeder Liebhaber des Lebens seinem Antipoden gegenüber.
Die Darstellung verfolgte die dichterischen Absichten mit
starker Eindringlichkeit. Den hervorragenden Charakter¬
zeichnungen der Herren Hardel (Karinski) und Haase
(Rönning) schlossen sich Vally v. Küstenfeld (Anna
Riedel), Paul Bach (Theaterdirektor), Gustav Keune
(Rohnstedt), Richard Gorter (Leutnant Vogel), die
Damen Herzfeld, Wagner und die Herren Fritz
Jeßner, Brüll, Stahl, Willert, Geißler,
Bernardo glänzend und erfolgreich an.