II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 378

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8. Freiwild
Ausschnitt aus:
Generalanzeiger für Hamburg allen
Hamburg
vor:
Theater und Musik.
Zentralkommission für das Arbeiter Bildungswesen
von Hamburg=Altona.
Volksschauspiele 1913.
Freiwild,
Schauspiel von Arthur Schnitz,
Es ist nichts Neues, was Schnitzler in seinem Freund bringt; teil¬
weise sind seine Schilderungen der Verhältnisse von einer aufge¬
klärteren, aufwärts strebenden Zeit bereits überholt. Das Bild, das
er vom Offizier gibt, darf heute nicht mehr als typisch angesehen
werden — nur das Milien, in dem der Schauspieler der Schmiere lebt,
mag heute noch das Gleiche sein, wie damals, als Schnitzler sein Stück
schrieb. Auf den feinfühligen Theaterbesucher wirkt das Ganze zu
grell, zu prononziert, er leidet unter den Uebertreibungen des mit
einem Morde endenden Schauspiels. Und aus diesem Grunde nimmt
man auch wenig mit nach Hause. Die falschen Ehrbegriffe gewisser
Kasten, die Unsinnigkeit des Duells sind schon viel seiner und über¬
zeugender geschildert worden, als es Schnitzler hier tut, und die Schau¬
spieler, die er auf die Bühne stellt, den Herrn Direktor, die Soubrette,
den Liebhaber kann man im ersten besten Theaterroman finden, sie sind
zu typisch, zu allgemein gesehen, um irgend welches Interesse wach
zurufen.
Die gestrige Aufführung im Altonaer Stadttheater litt namentlich
im Anfang unter einem etwas schleppenden Tempo, das sich besonders
in der Konversation bemerkbar machte. Den Paul Rönning, der das
Duell ablehnt, spielte Alfred Haase vielleicht etwas
zu weichlich. Oskar Hardel hingegen
zu energielos,
sein Oberleutnant Karinsky stand hart an
übertrieb
der Grenze der Karikatur, das gilt auch von Hans Stahls Poldi
Grehlinger. Durchaus vornehm und sympathisch gestaltete Gustav
Keune seine Vermittlerrolle als Oberleutnant Rohnstedt. Danny
Brüll als Dr. Albert Wellner hatte die Maske nicht sehr glücklich
gewählt und hätte diskreter in der Darstellung sein können. Amüsant
war Fritz Jessner als Liebhaber und Heldendarsteller Balduin.
Hella Wagner brachte als Soubrette die nötige Keckheit mit
Bally von Küstenfeld als Naide schien uns zu larmoyant, es
fehlte ihr an Frische.
Für die Regie zeichneten die Herren Goter, Haase, Harde
und Jessner. Das dankbare Publikum rief die Darsteller an
E. M.
Schlusse unzählige Male vor die Rampe.
ohne Gewähr.)

B
Tagblatt
Ausschnitt aus
vor: 12 11 1913
„Freiwild
(Prédac. Schauspiel in drei Akten von Artur
Schnitzler. Erstaufführung im Ungarischen Thea¬
te am 11. Oktober.)
Ein krasses Beispiel unserer schnellebigen
Zeit, die mit einer Wendung ein heute noch
heiss umstrittenes Problem morgen der Ver¬
gangenheit zuwirft, über jede Rückerinnerung
darüber zur Tagesordnung schreitend. So steht
es auch mit dem heute im Ungarischen Thea¬
ter zur Aufführung gelangenden Stück Schnitz¬
lers.
Im Jahre 1896, als Schnitzlers Werk er¬
schien, war es ein Problem. Morgen wird man
im Lexikon nachsuchen müssen, um das eigent¬
liche Problem, das in diesem Stücke enthal¬
ten ist, verstehen zu können.
Ein Mann verweigerte einem anderen Manne
gegenüber, den er beleidigt, insultiert hat, die
ritterliche Satisfaktion mit folgender Begründung
ich züchtigte ihn, weil sein Benehmen eines
A
Mannes unwürdig. Meinerseits halte ich die An¬
gelegenheit für erledigt und bin nicht gewillt,
mich seiner Kugel preiszugeben. Das aufge¬
worfene Problem ist nun folgendes: Besteht ein
Recht, die Satisfaktion in diesem Falle zu ver¬
weigern und den Gegner — der zufällig Of¬
zier ist mit dieser Weigerung zur Ablegung
seiner Charge, also quasi zu einem moralischen
de un verdamment
Um das aufgeworfene Problem im Lichte
Schnitzlers beurteilen zu können, ist es vielleicht
am geeignetsten, den Inhalt des Stückes wieder¬
zugeben.
In einem kleinen Badeorte ist eine kleine
Theaterschmiere. Ihre Schauspielerinnen gelten
als aller Welt Freibeute, Freiwild. Da hat das
eine dieser jungen Dinger den Mut, sich den
Herren Offizieren zu verweigern. Bei den Herren
Offizieren löst dieses Benehmen Empörung aus.
Sie unterschieben — ungewohnt solcher Sa¬
chen — andere Motive diesem Verhalten. Und
als Oberleutnant Karinszky die junge Schau¬
spielerin aufsucht und auf geschlossene Türen
stösst, nimmt er das Ganze — wie man eben
geschlossene Türen zu deuten pflegt. Und als
er dieser seiner Meinung offen und höhnend
Ausdruck verleiht, versetzt ihm Rönnig, ein
wirklicher Freund der kleinen Schauspielerin,
dem ihre Reinheit heilig eine Ohrfeige. Allge¬
meine Entrüstung. Der Vorhang fällt und mit
diesem theatralischen Effekt schliesst der erste
Akt. Nun eilen die Geschehnisse rasch ihrem
Ende zu. Karinszky fordert Genugtuung. Kon¬
nig verweigert sie, mit der uns schon bekann¬
ten Motivierung. Alle Mühe ist vergeblich. Er
beharrt auf seinem Willen, von dem ihn nichts
und niemand abbringen kann. Und jetzt ant¬
wortet Schnitzler mit einer Revolverkugel. Der
berüchtigte Verleumder entledigt sich seines
Züchtigers, indem er ihn niederknallt.
Auch eine Lösung!...
Wir wollen dieses Stück mit seinen auf den
Kopf gestellten Situationen und Knalleffekten
nicht näher untersuchen, da es der Fehler des
Ungarischen Theaters war, dieses von der Zeit
schon längst überholte, unzeitgemässe Schau¬
spiel dem prächtigen Dreiklang: Der Rui des
Lebens, Anatol, Der grüne Kakadu als viertes
anzugliedern.
Bei der heutigen Uraufführung werden wir
auch das Vergnügen haben, Fräulein Verö ken¬
nen zu lernen. Allem Anscheine nach wird sie
bei ihrem heutigen Erstauftreten grossen und
wohlverdienten Erfolg ernten, etwas, was ihrem
NB.
Können nur voll zukommt.