II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 388

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8. Freiw.


Ausschnitt aus ESTER LOYE
vom
anderer Wesen ein, als irge
TOBER 1913
beeinflussen vermöchte. Doch
suchen gewohnt waren. Es gibt Leute, die ihn unter die Gerechtigkeit verhängt das
„Freiwild.
Unterhaltungsschriftsteller zählen möchten; vielleicht weil
Arthur Schnitzler als der
Drama in drei Aufzügen von Arthur Schnitzler.
seine Werke meist in Kreisen oder doch in Kreise hinein verscheint und zugleich als
(Erstaufführung im Ungarischen Theater.)
spielen, in denen die Unterhaltung keinen unerheblichen
einzige, was jene wirklich
Von Elsa Stephani.
Teil des Lebens ausmacht. Doch gerade er ist es, der
Tod. Und merkwürdig: selbst
„Freiwild ist sicherlich eines der schwächsten Dramen
die kranken Wurzeln und die tiefen Schatten dieser
Wahrheit nicht die Männer,
Arthur Schnitzlers; doch unter dem Gesichtspunkte von
„Unterhaltung", im weitesten Sinne, sieht und empfindet;
Frauen, die daran zugrunde
Schnitzlers Lebenswerk betrachtet, kommt ihr eine gewisse
und der von ihnen zu erzählen weiß, nicht mit dem
schließt die Tragödie nicht al
Bedeutung zu, die es, von diesem Oeuvre losgetrennt, als
Eifer des Moralpredigers, sondern mit der feinen, skep¬
Man muß das Leben sehr lieb
naiv empfangenes Theaterereignis nicht hätte. Es ist im
tischen Melancholie dessen, der selbst mit dazugehört. Der
bestritten als sein tragischestes
Jahre 1896, zwei Jahre nach der „Liebelei", ein Jahr vor
junge Mann aus gutem Hause und der Arzt, das war
In allen dreien: in der
dem „Vermächtnis“, entstanden. Es ist von der gleichen
Arthur Schnitzler, bevor er ein Schriftsteller war, und
nis und im „Freiwild, stirbt
Luft erfüllt wie die beiden anderen, es behandelt, nicht
von diesen beiden ist sein Weltblick determiniert,
der der einzige Halt eines ar
eben in krasser Aehnlichkeit, aber doch so ziemlich das
Der junge Mann aus gutem Hause ist es, der in Ursachen, in die einzugreifen
gleiche Problem, es stellt die gleichen Menschen auf die
seinen Werken Schicksale erleidet und Schicksale bringt.
men unmöglich ist. In der
Bühne. Daß es Typen sind, die Schnitzler geschaffen oder
Und wenn, in jener frühen Epoche seines Schaffens, auch
wegen einer Frau, deren Exist
entdeckt hat, für Oesterreich wenigstens, und daß es die
eine Frau, und mit Vorliebe eine Frau aus einer niedri¬ liebt und das er zu seiner
Typen sind, die auch durch seine späteren, stärkeren und
gen Gesellschaftsschichte: das süße Mädel, das er mit dem
einmal kennt, nur in qual
größeren Werke schreiten, macht „Freiwild“, historisch
ehrfurchtsvollen und verklärenden Blick eines schuld¬
Vermächtnis ist es ein Reit
interessant.
bewußten Mitleids erfaßt hat, im Mittelpunkte steht, so
Mann schon im ersten Akt töt
Ob dem Dichter sehr damit gedient war, daß man
ist der Bringer und Erfüller des Schicksals doch stets der
ihm vier Jahre lang unge
das Drama heute auf die Bühne brachte, ist fraglich. Es
junge Mann. Dieser kultivierte, ein wenig farblose, von
samt ihrem Kinde zu Parias
war zur Zeit seines Entstehens eine Aktualität; was ein leisen Leidenschaften beglückte oder gequälte junge Mann,
der tödliche Schuß erst in de
Vorzug war, ist zum Fehler geworden. Was damals neu
hier trifft er für unser Empfin¬
dessen erotische Anziehungskraft wir als gegebene Tatsache
war, haben wir seither oft behandelt gesehen, auch von
Sitte unbarmherzig den Mann
hinnehmen müssen, hat im Georg v. Wergenthin im Roman
Schnitzler selbst. Die nachträgliche Gerechtigkeit, die seine
„Der Weg ins Freie seine durchgebildetste Gestalt erhalten.
Mann es nicht schützt; und an
Priorität feststell, kann dem Stück die verlorene Bühnen¬
liche Tragödie mit dem Tode
Es ist eine Menschensorte, die dank ihrer gesellschaftlichen
frische nicht zurückgeben. Doch es ist lehrreich, die Fäden
Stellung und ihrer materiellen Lage ein Maß von seelischer
dem der Vorhang gefallen ist.
zu verfolgen, die zwischen diesem Drama und den übrigen
Freiheit genießt, wie es der tragischen Schicksalsgestaltung
Das Freiwild ist die Sch
hin und her gehen, interessant, die Gestalten zu betrachten,
am allerwenigsten entgegenkommt. Tragik ist Zwang, in¬
noch so stolz und trotzig sein,
die schon hier Träger des gleichen Schicksals sind, das auch
nerer oder äußerer, und die Fähigkeit, unter ihm zu
alle gilt, die die Hand nach
die anderen Menschen der Schnitzlerschen Welt erfüllt und
leiden oder zugrunde zu gehen. Drei Viertel der tragi¬
Jäger gibt es in dieser Jagd
fällt, und sehr reizvoll ist es, die hier erreichte Etappe im
schen Möglichkeiten des Lebens können diesen freien Men¬
Wild vor den Lauf
Prozeß der Problembildung bei diesem Dichter zu be¬
schenkindern nichts anhaben. Doch der Arzt Arthur
Theaterdirektor, dessen Interess
obachten. Es gibt Schriftsteller, die nur Werke haben, kein
Schnitzler hat die Tragik erfaßt, die dem jungen Mann
Schauspielerin auch andere Er¬
Lebenswerk; wer aber ein Oeuvre im kostbaren, über
aus gutem Hause vielleicht verborgen geblieben wäre, und
Gage, die Kolleginnen, die in
lieferten Sinne dieses Fremdwortes besitzt, bei dem werden
die sie nicht glauben, nur eine
er hat sie dort gefunden, wo sonst alle Tragik ihr Ziel
die verschiedenen Werke aus einer innerlich umgrenzten
hat: im Tode.
die Kollegen, die durch ihre
Epoche, vielleicht sogar die Werke seines ganzen Lebens
keit verletzt sind. Und die Jo
Bei Arthur Schnitzler ist der Tod sehr oft, bedeut¬
in ihrem innersten Problem wie die einzelnen, immer fort¬
die Schauspielerin die beste un
sam oft, nicht Krönung, sondern Keim der Tragik. Die
geschritteneren Blätter, die verschiedenen Stadien einer ein
Anstrengung zu erlangende
freien Glückskinder, die die Kraft ihrer Nerven nicht in
zigen, Radierung sein.
aufreibendem Lebenskampf verzehrt haben und die, wider¬
bedeutet und die es als eine
Schnitzlers größte Bedeutung liegt darin, daß
standskräftig, den Schmerz zur feinen Traurigkeit zu
sich eine einmal dem unver
dort. Tiefen gefunden hat, wo wir nur Oberflächen zu verarbeiten wissen, greifen ungleich tiefer in das Leben