II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 397

Freiwild
8.
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„Freiwild.
(Stadttheater.)
Das ist bekanntlich das Stück mit der
Ohrfeige zum ersten Aktschluß; die notabene
ein Offizier von einem Zivilisten erhält.
Aber man kann sich erst dann die richtige
Vorstellung davon machen, wie sehr diese
Tatsache einmal als Kühnheit gewertet
worden ist, wenn der Zufall einem einen
angenehmen älteren Sitznachbarn beschert
hat, der der Uraufführung im Carl-Theater
beigewohnt hat und der, im Zwischenakt
natürlich, seine Erinnerungen auskramt.
Vor einundzwanzig Jahren war das:
Korff hat mitgewirkt und Hubert Reusch,
und Rudolf Schildkraut, der damals weber
entdeckt, noch berühmt gewesen ist, hat den
Theaterkassier gespielt, eine Rolle, die es
dem Darsteller nicht einmal gestattet, in
ganzer Person aufzutreten. „Freiwild
wurde natürlich sofort von der Zensur ver¬
boten. Aber zum Glück hat doch der Direktor
Jauner seine guten Beziehungen gehabt.
Wo doch sein Bruder bekanntlich ein ganz
hohes Tier bei der Polizei oder im Ministe¬
Kurz — er hat das
rium gewesen ist
Stück frei gekriegt. Allerdings mußten
ganz besondere Weisungen befolgt werden.
Weil doch die Herren Offiziere auf die
Bühne kommen sollten. Vor allem wurden
die Rosetten verboten, die bisher an Stelle
der Sterne auf den Uniformkragen pranger
durften. Aber auch sonst waren noch ein¬
schneidende Aenderungen anbefohlen wor¬
den. Die uniformierten Schauspieler wurden
teils mit krummen Türkensäbeln, teils mit
malayischen Dolchmessern ausgestattet, die
mit papageiengrünen Portepees geschmückt
waren; die Waffenröcke waren schottisch
karriert, die Hosen karmesirt. Die Kopfbe¬
deckung hielt die Mitte zwischen einer
Portiermütze und einem Briefträgerkäppi.
Also ausgestattet, konnte man die „Offi¬
ziere" für indianische Medizinmänner oder
venezuelanische Gardereiter halten. Trotz¬
dem stand auf dem Theaterzettel: Baden bei
Wien, und nach dem letzten Vorhangfallen
gab es einen Sensationserfolg.
Diesmal paradierte eine blütenweiße
Sommerbluse mit rotem Aufschlag auf der
Szene, daneben schimmerte eine herrlich
echt mit Gold verschnürte Husarenattila
und vorschriftsmäßig ergänzten auf allen
Kragen die Sterne, silbern klirrten die
Sporen ... Aber trotzdem — oder eben
darum war einem zumute, als ob von
einer Schachtel der Deckel abgenommen
worden wäre, die über zwanzig Jahre lang
im Winkel gestanden hatte. Spielzeug, ver¬
staubt und entseelt eigentlich, kraftlos ge¬
wordene Aufrichtigkeiten und Verlogen¬
heiten. Was sich gar nicht verändert hat, ist
wenn man vom Substanziellen absicht, das
eben inzwischen zerbröselt ist; die elegante
Form, die Meisterschaft, einen wirklich
natürlichen Dialog zu führen, die Artur
Schnitzler immer und auch damals
schon besessen und die er ja seither noch um
ein Bedeutendes zu steigern vermocht hat.
Die Aufführung durchaus ansprechend
in ihrem Mittelpunkt diesmal von Herrn
Strobl belebt, der den Oberleutnant mit
famosen Strichen zeichnete; man kann die
ekelhafte Schneidigkeit des Stänkerers von
Beruf, den Hergottsdünkel eines Niemands,
der Katzenjammer mit Melancholie zu ver¬
wechseln beliebt, nicht überzeugender dar¬
stellen. Herr Zeska, in seiner angenehm