II, Theaterstücke 8, Freiwild. Schauspiel in 3 Akten, Seite 399

8. Fr.
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Stadttheater. Es ist nun über zwanzig Jahre her, daß
der Dichter des „Anatole mit dem Tendenzstück „Freiwild über¬
raschte. „Freiwild war jeder Mann aus den Gesellschaftskreisen,
welche sich die guten nannten, für irgend einen Bravo seiner
Kaste, der in der Laune war, ihn zu beleidigen. Der Duell¬
koder, der ebenso hoch über dem Strafgesetz stand wie über dem
biblischen „Du solls nicht töten, verpflichtete den Beleidigten
für die Büberei seines Widerparts sein Leben aufs Spiel zu
setzen, wenn er nicht als verächtlicher Feigling gelten wollte.
Die Arbeiterklasse ging diese Einrichtung nur mittelbar an:
wegen der innewohnenden Unmoral und wegen der frechen
Scheidung der Menschen in solche, die mit den Waffen Genug¬
nung geben durften, und solche, die zu gering dazu waren.
Denn satisfaktionsfähig waren nur die Offizierskaste und die¬
jenigen Schichten, welche sie ihres Verkehrs würdigte, wie reiche
Richtstuer, Adelige, Hochstapler und leider auch Akademiker¬
satisfaktionsunfähig dagegen alle, die ihre Hände mit Arbeit
befleckten. Für diese kam nur der Ehrennotwehrparagraph
in Betracht, der den Offizieren erlaubte, ja gebot, wehrlose
Menschen, von denen sie sich beleidigt glaubten, ohne
weitere Förmlichkeiten niederzuhauen. Heute ist das alles
ja Vergangenheit, freilich eine zu junge, noch zu
lebendig in unserer Erinnerung haftende, als daß wir
Schnitzlers Schauspiel so rein historisch betrachten könnten
wie etwa Lenzens „Soldaten, die vor anderthalb Jahr¬
hunderten die Gefährdung der bürgerlichen Moral durch das
Offizierskorps schilderten. Immerhin tritt jetzt die Kendenz
hinter dem rein menschlichen Inhalt des Stückes zurück. Wir
sehen in Paul Rönning nicht so sehr das Sprachrohr des
Dichters als den Menschen von Fleisch und Blut. Dem Stück,
das ja, ein bei Tendenzdichtungen nicht seltener Fall, zu den
schwächeren Werken Schnitzlers gehört, kam die Aufführung im
Stadttheater wenig zu Hilfe. Philipp Zeska in der Haupt¬
rolle war gut, doch hätte man gewünscht, daß er Rönnings Lebens¬
gefühl und Selbstsicherheit klarer zum Ausdruck bringe. Pa¬
Richter, der Rönnings Freund Dr. Wellner gab, betonte
mit Recht den ehemaligen Couleurstudenten, hätte aber doch
auch den Arzt durchschimmern lassen können. Die Anna Riedel
The Rosenquists war allzusehr aufgescheuchtes Vöglein
und man war erstaunt, vom Theaterdirektor, den Audwig
Nerz nach guter Tradition gab, zu hören, daß sie auch recht
temperamentvoll sein könne. Julius Strobis Karinski
glaubte man weder den Hitzkopf noch den eingefleischten
Offizier und Louis Böhm gab einen zappeligen Husaren¬
leutnant, der gar nicht daran dachte, sich den Zivilisten überlegen
zu fühlen. Anerkennend zu nennen wären noch Felix Norfolk,
A. b.
Alexander Marich und Adrienne Geßner.

Theater.
Stadttheater. Gestern wurde Schnitt
Schauspiel „Freiwild", das einst zu jenen
Stücken gehörte, bei denen das Publikum über die
Kühnheit des Verfassers stante, neu inszeniert in
den Spielplan aufgenommen. Die recht sauber vor¬
bereitete Aufführung kann natürlich mit den
früheren Glanzbesetzungen nicht verglichen werden,
verfehlte aber nicht ihre Wirkung. Ein technischen
Fehler ist es, die weibliche Hauptrolle, die vom
Dichter als Naive bezeichnet wird, im Grunde
aber eine Sentimentale ist, von einer Naiven
spielen zu lassen. Die besten Sellen des Stückes
gingen dadurch verloren, nichts destoweniger ver¬
dienen Fräulein Rosenquists Bemühungen
Anerkennung. Die Publikumswirkung des Schau¬
spieles war nicht allzu stürmisch. „Freiwild
macht heute ungefähr den Eindruck, als ob
jemand in einem Nachtlokal um 9 Uhr abends
sänge: „Weil i an alter Drahren bin!"
r. b.
Obligatorische Schülervorste
lungen im Komödienhaus. Ueber An¬
regung des Herrn Ernst Oesterreicher, Sekre¬
tär des Komödienhauses, finden gegenwärtig im
rogramm:
Künstlerkapelle Eduard Seidl
— Frieda u.
geunerkapelle Miskolcz y el
koma Salus
Aeren Berahtschaft
Neues 8 Uhr Blatt,
. .
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Stadttheater. Artur Schniker Schau¬
spiel „Freiwild“ wurde gestern hervorgeholt.
Hier ist der Charakter des Dichters noch größer als
sein Talent. Es gehörte schon einiger Mannesmut
dazu, 1893 den k. k. Vorurteilen so unerbittlich zu
Leibe zu rücken und mit dem schwarz=gelb gestrichenen
ärarischen Ehrenloder anzubinden. Die Herren Strobl, 15000
Zeska und Nerz, sowie das bildhaft schöne
Fräulein Rosenquist nahmen sich ihrer Aufgaben
mit dem schätzbarsten Eifer an. Gleichwohl hielt sich
der Beifall in seinen Grenzen; er klang gar nicht be¬
sonders enthusiastisch. Die Türen, die hier eingerannt
werden, hat eben die Zeit längst aus den Angeln
gehoben.
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