8.
box 14/4
re
vild
.
WIENER ABENDROST
15. N. 119
—
hinab, und wenn nach einem Gewitter die angeschwol¬
lenen Wildbäche oben, so ist es fast, als ob der
Teufel es nochmals wagen wollte, St. Wolfgang zu
besuchen, um ihm irgend einen Schaberack zu spielen.
Anton Mailly.
Theater und Kunst.
Neues Wiener Stadttheater.) Gestern gab es eine
sehr saubere, wirksame Aufführung des Schnitzlerschen
Schauspieles „Freiwild. Entstanden zwischen der
„Liebelei und dem „Vermächtnis“, zeigt das Stück den
Typus des „füßen Mädels" in der aufsteigenden Linie zur
tragischen Charakterfigur. Das Problem des Duells, das
Artur Schnitzer so nachhaltig beschäftigte, wird auch in
dieser Komödie zu einem tragischen Vorwurfe herangezogen,
hier in Beziehung auf die verweigerte Satisfaktion.
Gestern stellte sich die Wahrnehmung ein, daß
diese Gesellschaftskritik aus dem einstigen Gesichts¬
winkel des militärischen Ehrbegriffes und des Duellkoder
jetzt erst ihre volle satirische Kraft erlangt hat.
Ganz vortrefflich war die Darstellung: die Herren
Strobl, Norfolk und Böhm zeichneten überaus
lebensgetreu Offizierstypen, ohne übertreibung, ohne
unangenehme Tendenz. In guter Haltung gaben die
Herren Richter, Zeska und Walter die „Zivilisten“,
gleichfalls sehr charakteristisch und eindringlich. Die Damen
Rosenquist und Geßner spielten die beiden Parallel¬
figuren zur Christin und der Schlager=Mitzi aus der
„Liebelei": die sentimentale Liebhaberin und die vorurteils¬
lose Naive. — Man nahm Schnitzlers Schauspiel so wie
es gemeint ist: als Protest gegen Auswüchse und Ver¬
kennungen von Standesvorurteilen, keineswegs als
Hr.
Tendenzstück.
Theater und Kunst.
Wiener Stadttheater.
Arthur Schnitzler: „Freiwild.
Dieses nur scheinbar veraltete Stück ist eine beredte
Warnung. Es handelt von der verblichenen Sonderehre des
Offiziersstandes, vom Ehrbegriff der „Gesellschaft" von dazu¬
mal, der heute wie ein letztes, endlich ausgetilgtes Über¬
bleibsel aus dem Mittelalter anmutet. Damals, vor kurzer
Zeit noch, besaß eine bevorzugte Kaste das Recht der Ehren¬
notwehr, das den Übermut, die überhebung einzelner bis zur
beispiellosen Mißachtung aller Menschen steigerte, die nicht dem
bevorrechteten Stande angehörten. Aus diesem Verhalten
weniger aber erwuchs eine bewaffnete Drohung Schritt auf
Schritt; wehe dem Unbesonnenen, der einem solchen zufällig
aufs äußerste gereizten Uniformierten gleich auf gleich gegen¬
übertrat. Brachte er den sehr zweifelhaften Mut zum Zwei¬
kampf nicht auf, war er jeder Gewalttat des anderen ausge¬
liefert, der seine beschädigte Sonderehre nur auf diese kanni¬
balische Art heilen zu können glaubte: Freiwild. Und da wir
nur zu leicht geneigt sind, das Unerträgliche von gestern über
dem Unangenehmen von heute zu vergessen, mahnt dieses vor
Jahrzehnten geschriebene Stück, Errungenschaften der Kultur
nicht leichtsinnig aufs Spiel zu setzen.
Das Stück wird im Stadttheater einwandfrei
gespielt; Julius Strobl, Thea Rosenquist, Philipp Zeska in
den Hauptrollen und die übrigen Darsteller erhöhten die ohne¬
hin rege Teilnahme der Zuschauer an den dramatisch wirk¬
.
samen Vorgängen.
rer Conrad in der Rolle der Gesellschaftere West, da¬
ei ihr in guten Händen lag. Beifall für alle Hauptrollen¬
täger gab es in Hülle unde. Einen guten Teil davon
onnte auch Kapellmeich für seine tüchtige Leitung
Chr.
er Operette in Anspruch nehmen.
Meer
Gestern wurde er zum erstenmal das Schauspiel „Frei¬
vild“ von Artur Schnitzler aufgeführt, ein Stück, in
dem die Duellfrage erörtert wird, also ein Stück, das in
unsere Zeit nicht gut hineinpaßt. Die Duellfrage hat sich
überlebt und mit ihr auch Schnitzlers Schauspiel, das
übrigens die Sache an einem falschen Punkte anfaßt. Weil
ein von sich selbst stark eingenommener Oberleutnant eine
abwesende Schauspielerin beleidigt, gibt ihm deren Ver¬
ehrer eine Ohrfeige und weigert sich darauf, die Heraus¬
forderung zum Duell anzunehmen. Infolgedessen mußte der
Offizier den Dienst verlassen, welche Aussicht ihn veranlaßt,
seinen Beleidiger niederzuschießen. Damit ist das Tuell¬
problem nicht gelöst, so wenig, wie die Voraussetzung
glücklich gewählt ist, daß ein Beleidiger sich auf Menschen¬
rechte berufen darf, nachdem er sich selbst verletzt hat. Ge¬
spielt wurde das überlebte Schauspiel unter der Leitung
des Herrn Julius Herzka sehr gut. Herr Strobl brachte
die Selbstüberschätzung des Oberleutnants mit sprechenden
Mitteln zum Ausdruck, Herr Norfolk stellte einen
anderen Offizier mit guter Betonung des einlenkenden
Wesens dar, Herr Zeska spielt den Beleidiger mit schöner
Energie, Fräulein Rosenquist meisterte ihre Rolle als
gekränktes und liebendes Mädchen mit aller Anmut, Herr,
Nerz war ein köstlicher Schmierendirektor. Die Darstellung
Dr. H. F.
fand großen Beifall.
box 14/4
re
vild
.
WIENER ABENDROST
15. N. 119
—
hinab, und wenn nach einem Gewitter die angeschwol¬
lenen Wildbäche oben, so ist es fast, als ob der
Teufel es nochmals wagen wollte, St. Wolfgang zu
besuchen, um ihm irgend einen Schaberack zu spielen.
Anton Mailly.
Theater und Kunst.
Neues Wiener Stadttheater.) Gestern gab es eine
sehr saubere, wirksame Aufführung des Schnitzlerschen
Schauspieles „Freiwild. Entstanden zwischen der
„Liebelei und dem „Vermächtnis“, zeigt das Stück den
Typus des „füßen Mädels" in der aufsteigenden Linie zur
tragischen Charakterfigur. Das Problem des Duells, das
Artur Schnitzer so nachhaltig beschäftigte, wird auch in
dieser Komödie zu einem tragischen Vorwurfe herangezogen,
hier in Beziehung auf die verweigerte Satisfaktion.
Gestern stellte sich die Wahrnehmung ein, daß
diese Gesellschaftskritik aus dem einstigen Gesichts¬
winkel des militärischen Ehrbegriffes und des Duellkoder
jetzt erst ihre volle satirische Kraft erlangt hat.
Ganz vortrefflich war die Darstellung: die Herren
Strobl, Norfolk und Böhm zeichneten überaus
lebensgetreu Offizierstypen, ohne übertreibung, ohne
unangenehme Tendenz. In guter Haltung gaben die
Herren Richter, Zeska und Walter die „Zivilisten“,
gleichfalls sehr charakteristisch und eindringlich. Die Damen
Rosenquist und Geßner spielten die beiden Parallel¬
figuren zur Christin und der Schlager=Mitzi aus der
„Liebelei": die sentimentale Liebhaberin und die vorurteils¬
lose Naive. — Man nahm Schnitzlers Schauspiel so wie
es gemeint ist: als Protest gegen Auswüchse und Ver¬
kennungen von Standesvorurteilen, keineswegs als
Hr.
Tendenzstück.
Theater und Kunst.
Wiener Stadttheater.
Arthur Schnitzler: „Freiwild.
Dieses nur scheinbar veraltete Stück ist eine beredte
Warnung. Es handelt von der verblichenen Sonderehre des
Offiziersstandes, vom Ehrbegriff der „Gesellschaft" von dazu¬
mal, der heute wie ein letztes, endlich ausgetilgtes Über¬
bleibsel aus dem Mittelalter anmutet. Damals, vor kurzer
Zeit noch, besaß eine bevorzugte Kaste das Recht der Ehren¬
notwehr, das den Übermut, die überhebung einzelner bis zur
beispiellosen Mißachtung aller Menschen steigerte, die nicht dem
bevorrechteten Stande angehörten. Aus diesem Verhalten
weniger aber erwuchs eine bewaffnete Drohung Schritt auf
Schritt; wehe dem Unbesonnenen, der einem solchen zufällig
aufs äußerste gereizten Uniformierten gleich auf gleich gegen¬
übertrat. Brachte er den sehr zweifelhaften Mut zum Zwei¬
kampf nicht auf, war er jeder Gewalttat des anderen ausge¬
liefert, der seine beschädigte Sonderehre nur auf diese kanni¬
balische Art heilen zu können glaubte: Freiwild. Und da wir
nur zu leicht geneigt sind, das Unerträgliche von gestern über
dem Unangenehmen von heute zu vergessen, mahnt dieses vor
Jahrzehnten geschriebene Stück, Errungenschaften der Kultur
nicht leichtsinnig aufs Spiel zu setzen.
Das Stück wird im Stadttheater einwandfrei
gespielt; Julius Strobl, Thea Rosenquist, Philipp Zeska in
den Hauptrollen und die übrigen Darsteller erhöhten die ohne¬
hin rege Teilnahme der Zuschauer an den dramatisch wirk¬
.
samen Vorgängen.
rer Conrad in der Rolle der Gesellschaftere West, da¬
ei ihr in guten Händen lag. Beifall für alle Hauptrollen¬
täger gab es in Hülle unde. Einen guten Teil davon
onnte auch Kapellmeich für seine tüchtige Leitung
Chr.
er Operette in Anspruch nehmen.
Meer
Gestern wurde er zum erstenmal das Schauspiel „Frei¬
vild“ von Artur Schnitzler aufgeführt, ein Stück, in
dem die Duellfrage erörtert wird, also ein Stück, das in
unsere Zeit nicht gut hineinpaßt. Die Duellfrage hat sich
überlebt und mit ihr auch Schnitzlers Schauspiel, das
übrigens die Sache an einem falschen Punkte anfaßt. Weil
ein von sich selbst stark eingenommener Oberleutnant eine
abwesende Schauspielerin beleidigt, gibt ihm deren Ver¬
ehrer eine Ohrfeige und weigert sich darauf, die Heraus¬
forderung zum Duell anzunehmen. Infolgedessen mußte der
Offizier den Dienst verlassen, welche Aussicht ihn veranlaßt,
seinen Beleidiger niederzuschießen. Damit ist das Tuell¬
problem nicht gelöst, so wenig, wie die Voraussetzung
glücklich gewählt ist, daß ein Beleidiger sich auf Menschen¬
rechte berufen darf, nachdem er sich selbst verletzt hat. Ge¬
spielt wurde das überlebte Schauspiel unter der Leitung
des Herrn Julius Herzka sehr gut. Herr Strobl brachte
die Selbstüberschätzung des Oberleutnants mit sprechenden
Mitteln zum Ausdruck, Herr Norfolk stellte einen
anderen Offizier mit guter Betonung des einlenkenden
Wesens dar, Herr Zeska spielt den Beleidiger mit schöner
Energie, Fräulein Rosenquist meisterte ihre Rolle als
gekränktes und liebendes Mädchen mit aller Anmut, Herr,
Nerz war ein köstlicher Schmierendirektor. Die Darstellung
Dr. H. F.
fand großen Beifall.