box 14/5
8. Freiwil
gabe der Ideen des Verfassers auf der Bühne hin= und her¬
geschoben werden, wird das Natürliche, Lebensvolle des un¬
mittelbaren Ausdrucks genommen; sie werden zu Raisonneuren.
Was auf der Bühne gesprochen wird, klingt wie ein mit ver¬
teilten Rollen vorgetragener Leitartikel.
Die These, die Arthur Schnitzler aufstellt, ist die seit
Sudermanns „Ehre" immer wieder auf dem Theater
vorgebrachte leidige und noch immer ungelöste Duell¬
oder vielmehr Satisfaktionsfrage. Auch Arthur Schnitzler
wendet seinen ganzen Scharfsinn auf, um das mittel¬
alterliche Vorurteil, das aber leider noch für unabsehbare Zeit
ein notwendiges Übel bleiben wird, mit allen Waffen einer
glänzenden Dialektik und überzeugender Argumentation zu be¬
kämpfen. Das ist vom allgemeinbürgerlichen Standpunkt durch¬
aus anerkennenswert, vom künstlerischen Gesichtspunkt aus aber
sehr bedauerlich, daß er seine Bühnenfiguren so ungeniert dazu
benutzt, um sie reden zu lassen, was er will, und nicht, was sie
ihrem Charakter und ihrer Seelenanlage nach sagen müßten.
Seinen Helden, Paul Renning benutzt er natürlich als Zentral¬
figur besonders gern zu Expektorationen über die Satisfaktions¬
frage. Dieser Graf Trast in anderer Gestalt verweigert einem
Offizier, den er tätlich beleidigt hat, jegliche Satisfaktion, in¬
dem er argumentiert, daß sein handgreiflicher Akt keine Belei¬
digung, sondern nur eine Rüge, die Bestrafung für eine Unver¬
schämtheit gewesen sei, daß die Auffassung, man könne einem
Menschen die Ehre „nehmen", eine Ungereimtheit sei, daß man
etwas so Wertvolles, wie das Leben eines Menschen, für bessere,
höhere Ziele in die Schanze schlagen müsse, als für die Folgen
einer ganz gewöhnlichen Anrempelei rc. rc. Diese Satisfaktions¬
verweigerung zieht natürlich die gesellschaftliche Achtung Paul
Rennings nach sich; doch setzt sich der Held des Dramas
darüber hinweg. Schlimmer gestaltet sich die Situation für
—
— Ganspiel des Moskauer Theaters Korsch. Am 13. März, den Offizier, dem die Satisfaktion verweigert worden ist: nach
Kronpas?" (Freiwild), Schauspiel in 3 Akten von Arthur dem Duellkomment droht ihm Kassierung aus seinem Regiment.
Schnitzler, ins Russische übertragen von E. Matterna und Es bleibt ihm nur ein verzweifeltes Mittel der „Rehabilitierung
ordinkow. — Dem Meister der Stimmungsmalerei, der übrig: er erschießt seinen Gegner auf offener Straße, womit das
inen psychologischen Nüancen im Ausdruck der Worte und Drama ein Ende, die leidige Satisfaktionsfrage aber
Handlungen seiner Bühnenfiguren liegt das dramatische Genre, keinen Abschluß findet.
Das ist sehr interessant als Diskussionsthema, schafft aber
bis er in „Freiwild gewählt hat, nicht ganz. Er findet sich
nichts Lebensvolles auf der Bühne. Etwas mehr Leben bringt
nur sehr schwer in die Bühnenform hinein, die ein Thesenstüt¬
vom Dramendichter verlangt. Und „Freiwild“ ist ein Thesen in das Raisonnement das recht natürlich geschilderte Milieu
stück par excellence. Von den ersten Szenen an wird die einer Schauspielertruppe. Doch ist das nur eine vorübergehende,
These klar und deutlich gegeben und konsequent in jeder in die Handlung eingeflochtene Episode. Der allgemeine Ein¬
Außerung, in jeder Aktion der „handelnden Menschen" auf der druck des Absichtlichen, Gemachten, Gekünstelteten wird nur
Bühne durchgeführt. Dem großen Publikum gefällt diese Deut¬ wenig dadurch abgeschwächt
Das Spielen von Raisonneurrollen gehört zu den leichten,
lichkeit. Es schmeichelt ihm, daß es sofort ebenso gut wie der
Dichter weiß, wo er mit seinem Stück hinaus will, und hat dankbaren Aufgaben der Schauspieler. Ein so gut eingespieltes
Ensemble wie das des Theaters Korsch findet sich natürlich sehr
das Vergnügen, mitanzusehen wie es der Dichter macht", un
seine Idee in allem und jedem zum Ausdruck zu bringen gut mit solchen leichten künstlerischen Aufgaben ab. Die an¬
Vom künstlerischen Standpunk aus liegt aber gerade in zelnen Rollen werden nur relativ besser, wie Herr Tscharin
dieser Art der Arbeit, bei der man allzu deutlich die als Paul Renning, oder relativ schlechter, wie Herr Wyssozki
Nähte sieht, ein störendes Moment, das den unmittel als raisonierender Freund des Helden gespielt. Alles übrige
baren Genuß beeinträchtigt. Man will das Werk auf sich sind aber gute Durchschnittsleistungen.
A. Stürzwage.
wirken lassen und nicht den Künstler an der Arbeit sehen. Be¬
sonders nicht, wenn es der Autor so wenig geschickt anfängt
wie Arthur Schnitzler auf dem ihm ganz fremden Gebiet
der Thesendurchführung. Den Figuren, die nur zur Wieder¬
8. Freiwil
gabe der Ideen des Verfassers auf der Bühne hin= und her¬
geschoben werden, wird das Natürliche, Lebensvolle des un¬
mittelbaren Ausdrucks genommen; sie werden zu Raisonneuren.
Was auf der Bühne gesprochen wird, klingt wie ein mit ver¬
teilten Rollen vorgetragener Leitartikel.
Die These, die Arthur Schnitzler aufstellt, ist die seit
Sudermanns „Ehre" immer wieder auf dem Theater
vorgebrachte leidige und noch immer ungelöste Duell¬
oder vielmehr Satisfaktionsfrage. Auch Arthur Schnitzler
wendet seinen ganzen Scharfsinn auf, um das mittel¬
alterliche Vorurteil, das aber leider noch für unabsehbare Zeit
ein notwendiges Übel bleiben wird, mit allen Waffen einer
glänzenden Dialektik und überzeugender Argumentation zu be¬
kämpfen. Das ist vom allgemeinbürgerlichen Standpunkt durch¬
aus anerkennenswert, vom künstlerischen Gesichtspunkt aus aber
sehr bedauerlich, daß er seine Bühnenfiguren so ungeniert dazu
benutzt, um sie reden zu lassen, was er will, und nicht, was sie
ihrem Charakter und ihrer Seelenanlage nach sagen müßten.
Seinen Helden, Paul Renning benutzt er natürlich als Zentral¬
figur besonders gern zu Expektorationen über die Satisfaktions¬
frage. Dieser Graf Trast in anderer Gestalt verweigert einem
Offizier, den er tätlich beleidigt hat, jegliche Satisfaktion, in¬
dem er argumentiert, daß sein handgreiflicher Akt keine Belei¬
digung, sondern nur eine Rüge, die Bestrafung für eine Unver¬
schämtheit gewesen sei, daß die Auffassung, man könne einem
Menschen die Ehre „nehmen", eine Ungereimtheit sei, daß man
etwas so Wertvolles, wie das Leben eines Menschen, für bessere,
höhere Ziele in die Schanze schlagen müsse, als für die Folgen
einer ganz gewöhnlichen Anrempelei rc. rc. Diese Satisfaktions¬
verweigerung zieht natürlich die gesellschaftliche Achtung Paul
Rennings nach sich; doch setzt sich der Held des Dramas
darüber hinweg. Schlimmer gestaltet sich die Situation für
—
— Ganspiel des Moskauer Theaters Korsch. Am 13. März, den Offizier, dem die Satisfaktion verweigert worden ist: nach
Kronpas?" (Freiwild), Schauspiel in 3 Akten von Arthur dem Duellkomment droht ihm Kassierung aus seinem Regiment.
Schnitzler, ins Russische übertragen von E. Matterna und Es bleibt ihm nur ein verzweifeltes Mittel der „Rehabilitierung
ordinkow. — Dem Meister der Stimmungsmalerei, der übrig: er erschießt seinen Gegner auf offener Straße, womit das
inen psychologischen Nüancen im Ausdruck der Worte und Drama ein Ende, die leidige Satisfaktionsfrage aber
Handlungen seiner Bühnenfiguren liegt das dramatische Genre, keinen Abschluß findet.
Das ist sehr interessant als Diskussionsthema, schafft aber
bis er in „Freiwild gewählt hat, nicht ganz. Er findet sich
nichts Lebensvolles auf der Bühne. Etwas mehr Leben bringt
nur sehr schwer in die Bühnenform hinein, die ein Thesenstüt¬
vom Dramendichter verlangt. Und „Freiwild“ ist ein Thesen in das Raisonnement das recht natürlich geschilderte Milieu
stück par excellence. Von den ersten Szenen an wird die einer Schauspielertruppe. Doch ist das nur eine vorübergehende,
These klar und deutlich gegeben und konsequent in jeder in die Handlung eingeflochtene Episode. Der allgemeine Ein¬
Außerung, in jeder Aktion der „handelnden Menschen" auf der druck des Absichtlichen, Gemachten, Gekünstelteten wird nur
Bühne durchgeführt. Dem großen Publikum gefällt diese Deut¬ wenig dadurch abgeschwächt
Das Spielen von Raisonneurrollen gehört zu den leichten,
lichkeit. Es schmeichelt ihm, daß es sofort ebenso gut wie der
Dichter weiß, wo er mit seinem Stück hinaus will, und hat dankbaren Aufgaben der Schauspieler. Ein so gut eingespieltes
Ensemble wie das des Theaters Korsch findet sich natürlich sehr
das Vergnügen, mitanzusehen wie es der Dichter macht", un
seine Idee in allem und jedem zum Ausdruck zu bringen gut mit solchen leichten künstlerischen Aufgaben ab. Die an¬
Vom künstlerischen Standpunk aus liegt aber gerade in zelnen Rollen werden nur relativ besser, wie Herr Tscharin
dieser Art der Arbeit, bei der man allzu deutlich die als Paul Renning, oder relativ schlechter, wie Herr Wyssozki
Nähte sieht, ein störendes Moment, das den unmittel als raisonierender Freund des Helden gespielt. Alles übrige
baren Genuß beeinträchtigt. Man will das Werk auf sich sind aber gute Durchschnittsleistungen.
A. Stürzwage.
wirken lassen und nicht den Künstler an der Arbeit sehen. Be¬
sonders nicht, wenn es der Autor so wenig geschickt anfängt
wie Arthur Schnitzler auf dem ihm ganz fremden Gebiet
der Thesendurchführung. Den Figuren, die nur zur Wieder¬