Liebelei
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Ariom.
Was ist wienerisch? Darüber denkt man jetzt im Burgtheater
eifrig nach, denn Schnitzler's „Liebelei“ ist nach den Versicherungen
sachkundiger Feuilletonisten ein echt wienerisches Stück, Wiener Boden##
Wiener Luft. Und so etwas muß man natürlich wienerisch spielen. Dazl
würde nun vor allem eine Sprache gehören, die der heimatliche zum
mindesten ähnlich klänge. Aber wo nimmt man im Burgtheater#
Sprache her? Sächsisch, plattdeutsch, sogar französisch können dort dier
meisten Schauspieler sprechen, aber wienerisch die wenigsten. Das gehort
V C·
nun einmal zu den Traditionen des Hauses, wo die Leute „wech“ statt
weg, und „Enn'l“ statt Engel sagen. Man denke sich Herrn Sonnenthal
als Musikanten eines Wiener Vorstadtheaters und Fräulein Sandrock als
Wiener Vorstadtmädel! Man braucht das nur auszusprechen, um es
unaussprechlich zu finden. Herr Sonnenthal ist aus Budapest, Fräulein
Sandrock aus Rotterdam — woher sollen die wienerisch verstehen und
wie sollten sie es an einer Bühne lernen, an der bisher jeder deutsche
Dialect eher geduldet wurde als der heimatliche? Aber, wird man sagen,
das Wienerische steckt doch nicht nur in der Sprache, es muß doch etwas
davon auch im Geiste eines echt wienerischen Stückes, in den Charak¬
teren, in ihrer Denk= und Handlungsweise zu merken sein. Ganz richtig.
Aber, ehe man's merken kann, muß man doch wohl wissen, was es ist.
Also heraus endlich mit der Sprache, Ihr sachkundigen Feuilletonisten
und Burgtheaterdenker! Was ist wienerisch? Sie sagen es uns nicht.
Sie behaupten nur es zu spüren, zu riechen, zu schmecken. Man kennt
das ja — angeblich ein Hauch, das Allerfeinste, das Undefinirbare.
Versuchen wir den Hauch zu fassen. In den modernen Großstädten, wo
der Wellenschlag des Zeitlebens am heftigsten ist, wird überall die ur¬
sprüngliche Stadtphysiognomie, der charakteristische Volkstypus verschliffen
und verwaschen. In Wien mit seinem bunten Nationalitätengemisch geschieht
Das noch rascher und gründlicher als in anderen Städten. Man muß
in tiesere Gesellschaftsschichten, besonders in das von Bildung und Welt¬
verkehr noch ziemlich abgeschlossene kleinbürgerliche Spießerthum hinein¬
gehen, um die Reste der alten Eigenart zu finden. Wo man sie aber
findet, da sind sie derb und leben in groben Typen, die — nicht „burg¬
theaterfähig“ sind. In den minder abgeschlossenen und in den gebildeteren
Schichten findet man das Ureigen=wienerische nur mehr verdünnt, abge¬
schwächt bis zur Unkenntlichkeit. Die Sinnlichkeit, die Raisonnirsucht, die
Sentimentalität, die gerne in Spott umschlägt, die weibliche Koketterie und
der männliche Cynismus, das alles hat hier ein allgemein großstädtisches
Gesicht mit kaum mehr merklichen localen Nüancen. Diese Feinheiten
aber sind für die Technik der groben Umrisse, wie sie das Theater selbst
in seinen feinsten Gattungen verlangt, überhaupt nicht faßbar. Was
bleibt also an Wienerischem für das Burgtheater übrig? Gar nichts als
die Sprache, und die beherrscht es nicht. Und was bleibt von den Ent¬
deckungen der sachkundigen Feuiiletonisten übrig? Gar nichts als gerochener
und geschmeckter Unsinn.
Danubius.
Ein Regentag, namentlich einer auf dem Lande, und gar einer in
der Nähe von Olmütz ist eine mißliche Sache. Die Mißlichkeit wächst aber zur
Katastrophe, wenn ein Regentag zu deren drei zerplätschert und eine leichtlebige
Wiener Demi-vierge mit schwerblütigen Provinzleuten in ein Zimmer, in eine
Familiengemeinschaft bannt. Nicht die sprichwörtliche Sonne, sondern der Regen
bringt's hier an den Tag, daß sie zu einander nicht passen, und so gehen die im
strömenden Gusse wieder auseinander, die im hellen Sonnenschein zusammenge¬
kommen waren. Diese dramatische Gegenüberstellung von Sonnenschirm und Para¬
pluie, welche in dem jüngsten Volkstheaterstücke „Ein Regentag“ von J. J. David
vollzogen wird, muß natürlich nur symbolisch genommen werden; der Dichter wollte die
Unverträglichkeit des sonnigen doch wurmstichtigen Wienerthums mit dem ernst umwölkten
bleiernen Pflichtthum der Prooinz aufzeigen. Die Leute im Volkstheater nahmen
aber den Luftdruck als psychologisches Motiv wortwörtlich und lachten den in der
Absicht feinen Gedanken aus. Das Stück fiel mit dem Barometer. Schade, denn in
dem Werke steckt neben falsch Geschantem viel Echtes und Werthvolles.
Justus.
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Ariom.
Was ist wienerisch? Darüber denkt man jetzt im Burgtheater
eifrig nach, denn Schnitzler's „Liebelei“ ist nach den Versicherungen
sachkundiger Feuilletonisten ein echt wienerisches Stück, Wiener Boden##
Wiener Luft. Und so etwas muß man natürlich wienerisch spielen. Dazl
würde nun vor allem eine Sprache gehören, die der heimatliche zum
mindesten ähnlich klänge. Aber wo nimmt man im Burgtheater#
Sprache her? Sächsisch, plattdeutsch, sogar französisch können dort dier
meisten Schauspieler sprechen, aber wienerisch die wenigsten. Das gehort
V C·
nun einmal zu den Traditionen des Hauses, wo die Leute „wech“ statt
weg, und „Enn'l“ statt Engel sagen. Man denke sich Herrn Sonnenthal
als Musikanten eines Wiener Vorstadtheaters und Fräulein Sandrock als
Wiener Vorstadtmädel! Man braucht das nur auszusprechen, um es
unaussprechlich zu finden. Herr Sonnenthal ist aus Budapest, Fräulein
Sandrock aus Rotterdam — woher sollen die wienerisch verstehen und
wie sollten sie es an einer Bühne lernen, an der bisher jeder deutsche
Dialect eher geduldet wurde als der heimatliche? Aber, wird man sagen,
das Wienerische steckt doch nicht nur in der Sprache, es muß doch etwas
davon auch im Geiste eines echt wienerischen Stückes, in den Charak¬
teren, in ihrer Denk= und Handlungsweise zu merken sein. Ganz richtig.
Aber, ehe man's merken kann, muß man doch wohl wissen, was es ist.
Also heraus endlich mit der Sprache, Ihr sachkundigen Feuilletonisten
und Burgtheaterdenker! Was ist wienerisch? Sie sagen es uns nicht.
Sie behaupten nur es zu spüren, zu riechen, zu schmecken. Man kennt
das ja — angeblich ein Hauch, das Allerfeinste, das Undefinirbare.
Versuchen wir den Hauch zu fassen. In den modernen Großstädten, wo
der Wellenschlag des Zeitlebens am heftigsten ist, wird überall die ur¬
sprüngliche Stadtphysiognomie, der charakteristische Volkstypus verschliffen
und verwaschen. In Wien mit seinem bunten Nationalitätengemisch geschieht
Das noch rascher und gründlicher als in anderen Städten. Man muß
in tiesere Gesellschaftsschichten, besonders in das von Bildung und Welt¬
verkehr noch ziemlich abgeschlossene kleinbürgerliche Spießerthum hinein¬
gehen, um die Reste der alten Eigenart zu finden. Wo man sie aber
findet, da sind sie derb und leben in groben Typen, die — nicht „burg¬
theaterfähig“ sind. In den minder abgeschlossenen und in den gebildeteren
Schichten findet man das Ureigen=wienerische nur mehr verdünnt, abge¬
schwächt bis zur Unkenntlichkeit. Die Sinnlichkeit, die Raisonnirsucht, die
Sentimentalität, die gerne in Spott umschlägt, die weibliche Koketterie und
der männliche Cynismus, das alles hat hier ein allgemein großstädtisches
Gesicht mit kaum mehr merklichen localen Nüancen. Diese Feinheiten
aber sind für die Technik der groben Umrisse, wie sie das Theater selbst
in seinen feinsten Gattungen verlangt, überhaupt nicht faßbar. Was
bleibt also an Wienerischem für das Burgtheater übrig? Gar nichts als
die Sprache, und die beherrscht es nicht. Und was bleibt von den Ent¬
deckungen der sachkundigen Feuiiletonisten übrig? Gar nichts als gerochener
und geschmeckter Unsinn.
Danubius.
Ein Regentag, namentlich einer auf dem Lande, und gar einer in
der Nähe von Olmütz ist eine mißliche Sache. Die Mißlichkeit wächst aber zur
Katastrophe, wenn ein Regentag zu deren drei zerplätschert und eine leichtlebige
Wiener Demi-vierge mit schwerblütigen Provinzleuten in ein Zimmer, in eine
Familiengemeinschaft bannt. Nicht die sprichwörtliche Sonne, sondern der Regen
bringt's hier an den Tag, daß sie zu einander nicht passen, und so gehen die im
strömenden Gusse wieder auseinander, die im hellen Sonnenschein zusammenge¬
kommen waren. Diese dramatische Gegenüberstellung von Sonnenschirm und Para¬
pluie, welche in dem jüngsten Volkstheaterstücke „Ein Regentag“ von J. J. David
vollzogen wird, muß natürlich nur symbolisch genommen werden; der Dichter wollte die
Unverträglichkeit des sonnigen doch wurmstichtigen Wienerthums mit dem ernst umwölkten
bleiernen Pflichtthum der Prooinz aufzeigen. Die Leute im Volkstheater nahmen
aber den Luftdruck als psychologisches Motiv wortwörtlich und lachten den in der
Absicht feinen Gedanken aus. Das Stück fiel mit dem Barometer. Schade, denn in
dem Werke steckt neben falsch Geschantem viel Echtes und Werthvolles.
Justus.