II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 99

Liebelei
3. M
box 10)
Wien, Dienstag
Seite 2
eine Genesung unserer öffentlichen Moral angebahnt! Mar
Stel
werden. Der schlichteste politische Anstand würde
Jah
Gemeinderäthe, deren
es fordern, „daß jene
Ueberzeugungen mit jenen ihrer Wähler nicht Stal
im Einklang sind, sich zu einer Niederlegung ihrer Man= Mai
date entschließen. Doch dergleichen scheint wirklich allzu Min
altmodisch zu sein. Es ist allerdings noch eine andere
Auslegung möglich. Man könnte sich auch vorstellen, daß
das Programm, auf welches hin die Wahl erfolgt, heute
bereits zur conventionellen Lüge zwischen den Wählern!
und dem Candidaten geworden ist. Dann könnte dieser
nich der Wahl das bewußte Programm verlassen, ohne
Stäz
irgend mit den Anschauungen der Wähler in Zwiespalt
Con
zu gerathen. Vielleicht gibt es irgend ein geheimes Frei¬
maurerzechen, irgend einen Wink, irgend ein bedeutungs¬
volles Zwinkern, an dem sich die Gesinnungsgenessen
„jüd
erkennen, und in dem sie sich des Eintlangs zwischen
ihren Seelen erfreuen. Mit andern Worten: die Liebelei
dem Programm, die Liebe dem programmlosen Streber¬
der
thum.
Die Haltung, welche Dr. v. Billing annimmt, er¬
innert nicht nur an Schnitzler's „Liebelei,“ sondern auch
an David's „Regentag“. Der weibliche Anatol heißt in
diesem Stücke Kitty. Das seelenlose Geschöpf könnte
in 2
trefflich in der Mitte anständiger Leute leben, eine achtbare
Familie öffnet ihr die Arme, ein Mann von Geist und
Herz schließt sie an die Brust. Sie aber wendet sich ab.
Libe
Warum? Weil ihr das Geziemende öde und langweilig
Ge¬
vorkommt. Der Regen scheucht sie heim. Der Liberalismus
bedeutet ein etwas altmodisches, cher immerhin tüchtiges
und verwendbares Princip, Dr. v. Billing verläßt es.
nug,
Der Liberalismus ist ihm zu fade. Dr. v. Billing ist die
wähl
Kiny des Gemeinderathes.
David und Schnitzler sind Kinder unserer Tag;, sie
sind moderne Geister, sie sind Wiener der Gegenwart.
Losu
Durch das zeitgenössische Schriftstellerthum weht aber ein
Jnd
symbolistischer Zug. Das ist eine literarische Tendenz,
vermöge welcher uns ein dichterischer Vorgang geboten
wird, der nicht nur etwas schildert, sondern auch etwas
nich
bedeutet. David und Schnitzler führen uns das Wiener¬
nöt
thum von heute vor. Sie zeigen den leichten wetter¬
wendischen Sinn, der auf unserem Boden gedeiht, die
Genußsucht, die das lächelnde Behagen dem Ernst der
Die
Pflicht vorzieht, die Gedankenlosigkeit, mit welcher einer
für
flüchtigen Annehmlichkeit wegen die heiligsten Güter der
Menschenbrust mit Füßen getreten werden. Aus dem
gib
Charakterbild des Einen, us dem Sittenbild des Andern
ges
lugt grinsend die Satire hervor: Die Satire, welche
unsere Vaterstadt heute Herausfordert.
Politische Chronik.
Wien, 14. October.
Statthalterwechsel in Steiermark. Die „Wiener Blätz
Just
Zeitung“ publieitt heute die auf eigenes Ansuchen erfolgte Pensio¬
nirung des Statthalters im Herzogthume Steiermark Guido
Freiherrn v. Kübeck, bei welchem Anlasse demselben in neuer¬
licher Anerkennung seiner durch eine lange Reihe von Jahren mit
ich
treuer Hingebung geleisteten ausgezeichneten Dienste das Gro߬
krenz des Leopold=Ordens mit Nachsicht der Taxe verliehen wurde.
Gleichzeitig wird der gewesene Minister des Innern Olivier
Feuilleton.
Deutsches Volkstheater.
(„Ein Regentag“. Charakterstudie in drei Acten von J.
her
— „Die Prüfung". Lustspiel in einem Act von
David.
mel!
Lothar Clement. Zum erstenmale aufgeführt am
wel¬
12. October 1895.)
alle
Der Herr Baron Ludwig Stöber auf Stöbersbach und
zur
schon seine samnttlichen