II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 127

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Wiener Salonblatt.
menschlich logisches Mitleid mit dieser Christine suggerirt werden,
„1 Intruse“ erinnert, da dieser am Schlusse des Stückes im Finstern
daß wir das Weibthum in ihr erkennen, das unsere Gefühle für
steht und klagt: sie haben mich ganz allein gelassen!
sie zum warmen Mitgefühl steigert, ähnlich wie uns Dumas zu
Schnitzler hat uns Unbedeutendes durch unbedeutende Menschen
diesem für Marguerite Gautier zwingt. Indeß erfahren wir nur
sagen lassen, er stellt Vorgänge auf die Bühne, welche uns gleich¬
noch einmal, was wir von dem „kleinen Mädel“ ohnehin schon
giltig lassen, haben wir sie selbst erlebt, die uns fremd bleiben,
wissen, daß sie aus gar keinem Grunde plötzlich anderes als nur
wenn wir sie früher nicht kannten. Denn es fehlt ihnen die Gewalt
eine Laune sein will im Leben des passiven Helden, obwohl man
uns zu überzeugen und zu bannen. Er hätte die Welt von einer
sie warnt, obwohl sie selbst einbekennt, zu solchen Ansprüchen auch
anderen Seite zeigen müssen, wahr und echt, daß wir in ihr zu
keinem Worte nach berechtigt zu sein. Sie will aber doch! Ueber
fühlen vermögen. Dies gelang ihm nicht. Und so hat die flüchtige
solchen Widersinn sucht Schnitzler mit kleinen Sentimentalitäten
Lacerte, welche des Abends durch die Straßen huscht, bei ihrem
mit Aeußerlichkeiten wie Mondenschein 2c. in diesem zweiten Akte
zweiten Versuche, in die dramatische Literatur zu gelangen, nicht
zu täuschen. Es mußte eine Parallelscene zu jener des ersten
siegen können, trotz des Aufwandes von feiner Beobachtungsgabe
Aktes gefunden werden. Statt dieser, mit ernst gezogener Moral
in vielen Dingen, trotz mancher ernster dichterischer Züge, über welche
oder brausenden Gefühlen, welche die Herzen erregen, stellte der
Schnitzler verfügt.
Dichter zwei flache Menschen, das girrende Mädchen und den
Das „süße Mädel“ bleibt, nach wie vor, ein „dummes Mädel“,
seufzenden Studenten, flach, unsinnig grüblerisch und noch klein¬
das überflüßige Sentimentalität mit großen Geberden verabreicht,
licher zu einander, als man sie bisher erkannt hat. Sie entwickeln
der „fesche Kerl“ welcher statt zu studiren mit Liebeleien die Zeit
sich nicht, sie wachsen nicht. Und Stillstand ist nirgends sonstwo
sich vertreibt, bleibt, trotzdem er dafür mit dem Tode büßt, nach
eher Rückstand als auf der Bühne. Es erscheinen diese schon in
wie vor, ein „dummer Junge". Man hat kein Mitleid mit den
der Exposition angedeuteten Auseinandersetzungen knapp vor dem
Beiden und keine überzeugende Lehre von dem Ganzen, das ein
Duelle weitschweifig vorgetragen, wie der Ausfluß hysterischer
enger Horizont einschränkt, gewinnen können. Der Dichter ver¬
Empfindungen, die lyrisch sein wollen.
mochte es nicht uns dramatisch aufzuregen und zu überzeugen.
Man kann sich zudem des Ueberdrußes nicht erwehren,
Die Darstellung im Burgtheuter bot eine Ueberraschung
in dem Wiener Grisettenheim einen alten Vater zu finden,
durch Fräulein Kalling. Die sonst so unbehilfliche Schauspielerin
der unwahrscheinlich scheint. Der alte Weiring mit seiner schiefen
zeichnete eine Schlager Mizzi frisch von der Ringstraße weg. Da
Moral ist ein unnatürlicher Komödienvater, der abstößt, weil er
war jeder Zug ebenso echt und wahr wie an ihrem Partner, Herrn
nichts sonst als der Träger einer These ist, die gegen alle Wahr¬
Zeska, der den Theodor Kaiser gab. Fräulein Sandrock
scheinlichkeit sich auflehnt und seiner Gestalt jede männliche Würde
traf als Christine den Ton des Wienerthums nicht; sie wußte
raubt. Er müßte wenigstens blind sein, wie der alte Nowak in
jedoch später durch innige Schlichtheit zu gewinnen. Herr Mitter¬
„Gefallene Engel“, der den noblen Herrn in seiner wahren Gestalt
wurzer, der nur einige Sätze zu sagen hat, war eben Mitter¬
nicht erkennt.
wurzer. Das genügte, um der Gestalt, welche als „ein Herr“ auf dem
Man muß ihn sittlich weit tiefer noch stellen, als Vater
Zettel bezeichner ist, frisches Leben einzujagen. Er spielte mit seinen
Heinike in Sudermann's „Ehre“, der wenigstens für keinen Ehren¬
paar Worten den Fritz Lobheimer des Herrn Kutschera nieder,
mann gelten will und freimüthig herausbekennt: er freue sich der
der in dieser Scene hilfloser war, als ihn der Dichter gebacht
Liebschaft seiner Tochter, welche dadurch in eine materiell bessere
haben mochte. Herr Kutschera beherrscht das Wort noch lange
Situation kommt, damit er daraus dann selber Nutzen ziehe! Der
nicht; seine Sprache ist unklar und schwerfällig. Er wird erst nach
alte Weiring hingegen treibt die sentimentale Moral: werde schlecht,
fleißigem Studium sich in den Rahmen des Burgtheaters fügen
damit Du wenigstens eine Erinnerung für's Leben habest.
lernen. Frl. Walbeck in der Rolle der Frau des Strumpfwirkers
Heinike muß erst von seinem Weibe dazu bekehrt werden.
brachte alle Farbe des Wienerthums auf die Bühne. Herr Sonnen¬
Er hat noch ein Fünkchen von Ehre, das ihm der krasse Egoismus
#thal, der alte Weiring, rührte — nicht mehr! Es war gut, daß
der Mutter aus dem Hinterhause einlullt und schwinden macht.
im Burgtheater die Jugend der Wiener Dichter die Probe hat
Dem alten Weiring jedoch fehlt auch diese Regung der
bestehen dürfen. Man konnte sehen, wie weit, in guter Darstellung
Männlichkeit. Man kann den Schwachkopf nicht ernst nehmen; er
und vorzüglicher Regie, ihre Wirkung geht.
ist wider die Natur, ob er nun der künstlich hereingezerrten Strumpf¬
Vor dem Wiener Autor kam der Italiener Giacosa zu
wirkersgattin Binder umständlich das Warum seiner Moral erklärt,
Wort. „Recht der Seele“ nennt sich der Einacter, welcher
oder ob er den Schatten seiner verewigten Schwester anruft, um
im Sinne des Henry Becque und Porte=Riche Seelenzustände ver¬
seine Empfindlichkeit zu motiviren.
tiefen will. Anna liebt einen Freund ihres Mannes. Sie kämpft
Es fehlt diesem zweiten Akte die Steigerung, das Interesse
mit ihren Gefühlen und bleibt die treue Gattin. Der Freund tödtet
neuer Ueberraschungen, die zwingende Wahrhaftigkeit und der
sich aus unerwiderter Liebe zu ihr. In den nachgelassenen Briefen
Hintergrund eines gewinnenden Gedankens. Er könnte ruhig ge¬
findet sich der Beweis hiefür. Der Gatte klügelt, zweifelt und hetzt
strichen werden und es würde das Verhältniß zum letzten Akte nicht
sie, ganz wider die Abrede, und kommt endlich mit offener An¬
anders sich gestalten. Denn hier erst ist, was im ersten Akte in
klage. Sie empört sich gegen den Zweifler und Kläger und sie
der Scene mit dem „Herrn“ vorbereitet war, herausgewachsen.
gesteht: sie empfindet die Reue ihrer Treue. Denn er, der Gatte, habe
Die künstlich aufgehaltene Consequenz wird hier gezogen. Der
ihr Leben vergiftet mit seinen Rechten der Gatten, denen sie die
Bube Fritz fiel im Duelle. Der alte Weiring, Theodor Kaiser
Rechte der Seele, die einem anderen gehörte, geopfert. Nun will
und Mizzi Schlager theilen dies schonend Christinen mit. Man
sie frei sein und fort, wie dies bei Ibsen öfter geschieht. Und er
kann sich hier menschlich warmer Regungen in der Gestalt des
will sie trotzdem wieder lieben, wie es bei Porte Riche der Fall
alten Weirig erfreuen. Dagegen ist wiederum der Theodor Kaiser
ist. Es kommt dieses Werk nicht aus einem inneren Triebe; es
unbegreiflich, der, um einer unbequemen Situation ein Ende zu
kann uns nur als ein Versuch nachzufühlen erscheinen. In „Rechte
bereiten, nicht wenigstens die Lüge findet, „der Todte hat ein
der Seele“ wird für das Recht des Unrechts plaidirt, mit Argumenten,
letztes Mal an Dich gedacht!" Er quält sie dafür mit Reden, die,
die plausibel scheinen wollen und nicht gewinnen können. Das ist
einmal unvorsichtig hingeworfen, ihm beweisen, wie sehr sie ver¬
die Schwäche des Stückes; im Stücke aber sind immerhin interessante
wundeten. Statt sie zu meiden, bringt er sie immer wiederum vor.
Wendungen und der Vortheil für den Schauspieler, gute Rollen
Was unbewußt einmal kam, kann ein zweites Mal nur bewußte
und Gelegenheit geschaffen zu haben, sich zeigen zu können. Davon
Absicht bringen. Die könnte jedoch nur ein Unmensch hegen, der
machte Frau Hohenfels ausgiebig Gebrauch. Sie bot in einem
dieser Leheknabe, trotz aller Schwächen, nicht ist. Man fühlte also,
neuen Fache eine Meisterleistung. Wüßte sie noch gewisse Kehlentöne
was früher schon anklang, die Absicht des Dichters, im Sinne
und Kopfbewegungen aus dem Register der Naiven zu meiden,
der Maeterlink'schen Technik die Spannung zu steigern, von einem
man könnte sie vollendet nennen. Den seelisch betrogenen Gatten
zum anderen, immerzu. Und was in des belgischen Dichters „Les
Paul gab Herr Hartmann, anfänglich mit schöner Selbstzucht,
Aveugles“ oder im „Interieur“ aus dem Organismus der Scene
dann plötzlich, wie unter einem krampfartigen Anfall, stöhnend,
heraus sich entwickelt, erscheint hier äußerlich und ebenso ausgeklebt
gestikulirend, kreischend, daß alle tragische Wirkung floh. Es spielt
wie der Abschluß, der wiederum an den blinden Großvaier in im „Recht der Seele“ gegen Giacosa wie er in „Einsame Menschen“.
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