II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 129

iebel
box 10/1
5. L.1
Bühnenwelt.
Burgtheater.
Akthur Schnitzler schrieb einmal einen reizenden Einacten
Episode“; er ist in seinem „Anatol“ enthalten. Anatol, — das ist der
loderne, künstlerische Lebensgourmand, dem das Denken die Empfindung
nd sdie Empfindung das Denken verwirrt
der elegante Frauen¬
iebling Anatol leidet unter dem Gedanken, daß er für immer das
Lesen eines Mädchens an sich gekettet habe, während sie längst als
ine Episode aus seinem Leben verschwunden ist. Er meint, daß sie, wo
e auch sei, von der Erinnerung an ihn beherrscht werde, und er schilt
ich undankbar und gewissenlos. Bald darauf führt ihn ein Zufall mit
er Dame zusammen; sie weiß nicht einmal mehr, wie er heißt.
die „Liebelei“ wendet das Motiv. Anatol — er heißt hier Fritz Lobheimer
hat eine Liebelei mit einem Mädel aus der Vorstadt,; für ihn ist
aß „süße Mädel“ eine Erholung in dem aufregenden Verhältniß mit
ner „dämonischen Frau“. Als er dann in einem Duell wegen dieser
HU
Dame fällt, und die Christine, sein „süßes Mädel“ so nebenbei von all
dem erfährt, da fragt sie: Ja, was war denn dann ich in seinem Leben,
wenn er wegen einer anderen in den Tod geht, und wenn man ihn be¬
graben kann, ohne daß ich dabei bin? — Diese Frage kommt nur aus
dem Herzen eines echten Menschen und eines echten Dichters. Diese
selige Hingabe des Mädels dem der Geliebte die ganze Welt ist und
die tändelnde, gedankenlose Liebelei des Mannes — das ist ein ergreifendes
Bild, das den Blick tief ins Leben hinabführt. Es ist das Medeaschicksal,
in weicherer, stillerer Form: Ich alles und du nichts? So enthält denn
die „Liebelei“ eine literarisch und dramatisch herrliche Scene, an die drei
Acte noch vorne angehängt sind. In diesen früheren Seenen ereignet sich
fast nichts; nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Sie bringen
äußerst anmuthige und fein getönte Stimmungsbilder, wie sie nur einem
Künstler von Rang gelingen, aber das Interesse bleibt immer ein ruhig
betrachtendes; die Bilder ziehen vorbei und greifen nie tiefer in die
Seele. Dabei muß freilich anerkannt werden, daß der Dialog natürlich
und charakteristisch ist, und daß es lebendige Menschen sind, die auf der
Bühne reden. Aber die Bühne will Bewegung, Kraft, Leidenschaft,
und das gibt die „Liebelei“ erst in der letzten Seene. Um wie viel mäch¬
tiger schritt da doch „Das Märchen“ über die Scene, wie war
da alles Leben und Wärme! — Die „Liebelei“ hat übrigens einen großen
Erfolg erworben. Der dritte Act schlug siegreich durch. Und so ist
Schnitzler endlich zu verdienten Ehren gekommen. Freilich, diejenigen,
die die junge Wiener Literatur nicht erst seit Donnerstag kennen — es
sind ihrer nicht Allzuviele — waren von der „Liebelei“ etwas ent¬
täuscht. Daß Schnitzler eine feingeurtete Künstlernatur ist, das hat er in
den drei Büchern, die bisher von ihm erschienen, unwidersprechlich be¬
wiesen. Aber diese Erscheinungen kündeten immer nur einen engen
Empfindungskreis aus: „Die Leiden des jungen Anatol“; die
Liebelei“ gliederte sich ihnen organisch an. Das war eine Enttäuschung,
denn man hatte gehofft, daß Schnitzler endlich den Lebensinhalt seiner
Jugendtage überwunden haben werde und der Gestaltung anderer — man
darf wohl auch sagen bedeutsamerer — Lebensformen zustrebe. Anatol
bei Sacher — Anatol brustkrank — Anatol vors einem Duell
das ist das ganze literarische Menu, das Schnitzler bisher bietet. Aber
ein und dasselbe Fleisch, wenn auch verschieden bereitet und garnirt,
verdirbt doch den Appetit, und wenn man bei dieser Bewirthung den
ersten Bissen im Munde fühlt, dann weiß man schon, was man auf
dem Teller hat und ißt ein Bischen verstimmt weiter. Schnitzler muß
heraus aus diesem eintönigen Milieu oder er verfällt dem bösesten
Schicksal eines Künstlers: er wird uninteressant.
Gespielt wurde
vortrefflich. Wenn auch Sonnent hal und Frl. Sandrock
die charakteristischen volksthümlichen und wienerischen Züge vermissen
ließen, so waren doch beide von einer herzbewegenden Jnnigkeit und
Wahrheit. Frl. Kallina war frisch und lebendig und Herr von
Zeska bei liebenswürdigstem Humor. Störend wirkte nur Herr
Kutschera. Er war trocken und langweilig, statt warm und schwer¬
müthig. — Den Beginn des Abends bildetekein Schaupiel von Gia¬
cosa „Rechte der Seele“, ein fein gearbeiteter, teperamentvoller
Act, der von Frau Hohenfels und Herrn Hartmann virtuos
gespielt, starke Theilnahme weckte.
h.
De#t#.theater.
jen öffent= Interpenanon eindringen.
rt.
Der
22
Theater.
1
(Burgtheater.) Vor drei Jahren noch war der Di¬
el
rector in Ungnade und die Aufführung eines Gerhard
Hauptmann identisch mit einer Entweihung der Hofbühne.
en.
Dann begann man die unbequemen Stücke zu verzeihen und
n Landes¬
der Director seine „unglückliche Hand“ zu verlieren, die
ehedem so heillose Mißgriffe gethan hatte. Heute ist Arthur
24jährige
Schnitzler eine selbstverständliche Erscheinung im Reper¬
gasse 43
toire, der nicht mehr „unberufene“ Director versteht es, das
ftet und
alte Burgtheater — unberufen! — mit modernem Geiste zu
vilcapell¬
erfüllen. Ja, er ist ein moderner Director, der den Fiaker
ich einen
überwunden hat und, ein Bahnbrecher, auf dem Bicycle
durch die Mariahilferstraße dahinsaust. Das ist dieselbe Vor¬
urtheilslosigkeit, die „Liebelei“ dem Burgtheater zuge¬
Leopold
führt hat. Wir wollen Herrn Arthur Schnitzler seine kleinen
4 Uhr
reise nicht stören; — sein gewissenhaftes Talent bewegt sich
Bähring
noch immer innerhalb der Grenzen von Provinz Anatolien,
#ete der
noch immer sind seine Menschen nicht von des Gedankens
hn und
Blässe angekränkelt. Hermann Bahr, der allen Fieberwechseln
d wurde
der neuen Literatur den Puls fühlt, hat unseren „hiesigen“
tissariate

Dichtern „weiche, warme, Wiener Luft“ verordnet. I
ersuchten
Horizont sind darum die „stillen Gassen am Sonntag=Nach¬
Nr. 41
weiter.
mittag“ und die „gewissen traurigen Tische im einsamen
Met.
Praterwirthshaus“. Von der Dachstube eines süßen Vor¬
95, 146
stadtmädels aus kann man dann auch die Sensation ge¬
nießen, die in dem „Gedanken“ liegt, daß von da unten wohl
Schlefi
nie das Geräusch eines Wagens heraufdringt. Wenn jedoch
Erster
sie hierauf in ihrer liebenswürdigen Naivetät einwirft:
Naid
Arfa
„Nein — aber eine Schlisserwerkstätte ist unten,“ so mag er
Platz:
in einer stimmungsvollen Anwandlung von Ollendorf selig
erwiedern: „Das ist unangenehm.“ „Liebelei“ ist reich an
Lud.
solchen Feinheiten. Dergleichen Stimmung nun wird von
hofer
den jungen Wienern programatisch betrieben. Eine der nied¬
930
lichen Anatol=scenen in drei Acte ausgewalzt und mit tödt¬
als 2
lichem Ausgang, heißt: „Liebelei.“ Schnitzler ist seinem
Lebemann mit der Wichtigkeit eines „Problems“ an den
Leib gegangen und hat nun endlich sein Lebenswerk „Anatols
Glück und Ende“ hinter sich. — In dem übrigens technisch
gelungensten ersten Act wird der Doppeladler=Marsch ge¬
spielt — hiedurch fühlt sich die Tradition der Hofbühne
mitte
heute nicht mehr entweiht; ob aber darum das Schauspiel
nach
„modern“ ist, möchten wir bezweifeln. Der „Verismus“ des
Der
Verfassers ergeht sich in der betaillirten Wiedergabe der
kleinen Lebensgewohnheiten seiner kleinen Helden; die Zeit
Agr
hat ihm keinerlei Gedanken einzuflößen vermocht. Der Musikus
Miller spricht das erlösende Wort seiner Zeit, der Musikus
ford
Weyring, der ihm vielfach gegenübergestellt wurde, die Sprache
auf,
einer Theatermutter. Der Theaterzettel allein behauptet kühn
da d
den Boden der Gegenwart. — Dem Versuche Schnitzler's,
Der
seine novellistische Begabung dramatisch zu verwerthen, ging
das technische Virtuosenstückchen Giacosa's „Rechte der
wirk
Seele“, in guter Verdeutschung von O. Eisenschitz,
Ro
voran.
Por
(Deutsches Volksrheater). Mit David's „Regentag“ hat
pfai
das Volkstheater einen eclatanten Mißerfolg erlitten. An dieser That¬
sache etwas beschönigen zu wollen hieße der Wahrheit ins Gesicht 1 K5