hassen nämtlich die Fräien, die Dn on den
Frauen, die uns gleichgültig sind. Da ist der melancholische
und charakterschwache Fritz. Da sind die beiden prächtigen
Wiener Mädels: die flatterhafte, schelmische, genußfrohe Mizi
und die herzige, gemüthstiefe Christine: alle mit vollendeter
Kunst ausgemeißelte Figuren. — Und ferner, wie weiß uns
Schnitzler in den Bereich der Stimmungen zu ziehen! Bald
nimmt Angst, bald Wehmüth, bald göttlicher Leichtsinn unser
Herz gefangen.
Un doch, ist das in einem Drama alles? Ist es nur
nöthig, daß uns die Charaktere gezeichnet, daß das Milieu ge¬
schildert, daß uns einige Stimmungsbilder gegeben werden?
Soll nicht vielmehr das Drama ein Stück Leben in seinen
Schnitzler's Technik ist
Hauptbeziehungen wiedergeben?
Novellenstil, ist japanische Malerei. Er giebt uns einen „Aus¬
schnitt aus dem Leben“ schneidet aber aus dem Riesengemälde
der Welt sein Stückchen so heraus, daß wir von den Personen,
die uns durch ihre Beziehungen zur Haupthandlung lebhaft
interessiren, oft nur einen Kleidersaum oder nur einen Rock¬
ärmel zu sehen bekommen.)— Verfolgen wir einmal die Hand¬
lung des Stückes! Theodor hat es wieder und wieder versucht,
seinen Freund Fritz von der Leidenschaft für eine „dämonische
Frau abzubringen. Als alles vergebens ist, will er ihn durch
eine andere, harmlose Liebschaft fesseln und bringt ihn häufig
in die Gesellschaft Christinens, die auch auf Fritz wirklich Ein¬
druck zu machen beginnt Auch heute hat er die beiden frischen
—arers zum Avendeffen in Fritz' Wohnung geladen. Das
Picknick verläuft äußerst drollig. Fritz fühlt sich glücklich in
diesem harmlos lustigen Kreise — da plötzlich erscheint der Gatte
jener „dämonischen Frau. Fritz schickt die Mädchen ins Neben¬
zimmer und empfängt den Gast. Der wirft ihm die Briese
vor die Füße, die er seiner Frau geschrieben, und fordert ihn
zum Duell. Soweit der erste Akt. Im zweiten Aufzuge wird
nur der Abschied der dunkel ahnenden Christine von dem leiden¬
schaftlich geliebten Fritz geschildere, im dritten Rufzuge die Augst
des jungen Mädchens, das von Fritz längere Zeit keinen Brief
erhalten hat, und schließlich ihre Verzweiflung bei der Nachricht,
daß ihr Geliebter im Duell für eine Andere gefallen ist. Die
dämonische Frau, das Verhältniß Fritzens zu ihr, der Gemahl
dieses Dame, alles, was in der Seele dieser beiden Gatten vor
und nach dem Duell vorgeht, wird vollkommen im Dunkel
gelassen. Ist das berechtigt? Ist das nicht eine selbstverständ¬
liche Forderung, wenn wir verlangen, gerade über Fritz' un¬
glückliche Neigung etwas zu erfahren? Der Charakter des jungen
Mannes wird uns nicht vollkommen klar, wir können die Tragik
seines Schicksals nicht vollkommen verstehen, wenn wir nicht
erfahren wie die Frau beschaffen war, die ihn an sich fesselte.
Tief erschütternd hätte gerade sein Schicksal wirken können,
wenn uns der Dichter einen Einblick in sein Liebesleben
wenn er nur nicht hätte vermuthen
gestattet hätte,
die Neigung zu jener Frau eine
daß
lassen,
unselige Leidenschaft, aber keine herzenswarme Liebe war. Doch
von alledem nichts! Höchstens ein Apergu aus dem Munde
Theodor's. — Dieses leise Andeuten und Ahnenlassen ist alles
andere als dramatisch und ist wohl nur eine übertriebene
Reaction gegen die breiten, allzubreiten Ehebruchsschilderungen
der naturalistischen Schule. — Im zweiten Akte ist von einem
Fortschritte der überaus mageren Handlung oder auch nur von
seelischer Entwicklung überhaupt keine Rede. Er ist eigentlich
nichts weiter als ein ruhendes Bild, zum Zwecke der Milieu¬
schilderung entworfen. Doch dies gilt nicht nur vom zweiten
Aufzuge allein, sondern cum grano salis vom ganzen Stücke.
Das seelische Verhältniß der Personen zu einander bleibt vom
Beginn bis Ende genau dasselbe: Fritz fühlt sich von Christinens
echter Weiblichkeit angezogen, Christine liebt Fritz leidenschaftlich.
Eine scheinbare Handlung wird nur dadurch erzeugt, daß Fritz
durch ein zufälliges Mißgeschick der Christine entrissen wird und
diese über die Art seiner und ihrer Liebe zur fürchterlichen Klar¬
heit kommt. Der Aufbau dieses Dramas schlägt allem ins
Gesicht, was bisher — auch bei Ibsen — als dramatische Regel
galt. Stimmungsmalerei und Milieuschilderung müssen alles
ersetzen, was bisher von einem guten Drama gefordert wurde:
Handlung, frische fortschreitende Handlung und seelische Ent¬
wicklung der Personen. Die Fabel des Stückes ist eine vortreff¬
liche. Wären alle seelischen Beziehungen zur Ausgestaltung
gekommen, wäre der Stoff erschöpfend behandelt, wäre das
Ganze ein wenig nach dem Principe der dramatischen Wirksam¬
leit aufgebaut, so hätten wir ein dramatisches Meisterwerk er¬
halten. So wie die Dichtung ist, können wir sie, besonders
auf der Bühne, nur als Gourmets genießen, uns am Einzelnen,
das so echt künstlerisch gedacht und so fein ausgeführt ist, er¬
freuen. Als Ganzes, als Drama ist es mißlungen.
iebele
box 10/1
5. L1
(Na D rae
MWt
1
(3.040g. 0.
tul Gec
5. Liebelei. Schauspiel in drei Acten von Arthur Schnitzler.
Berlin, S. Fischer, Verlag. 1896. 8. 2 M.
Arthur Schnitzler ist den Lesern d. Bl. kein Unbe¬
kannter. Vor einiger Zeit konnte sein Schauspiel „Das
Märchen“ mit Anerkennung besprochen werden, es ent¬
hielt in vielseitiger Charakteristik eine Anzahl wiener Ge¬
stalten, die mit sicherer Hand und scharfem Verstand zu
der Idee des Stücks in Beziehung gebracht waren.
Diesmal ist die Handlung ganz schlicht, wenige Personen
treten auf, aber die Beobachtung des Lebens und das
warme Gemüth fesseln ungemein. Das Stück wurzelt
ganz und gar im Wienerischen, aber es reicht hinauf ins
Ewig=Menschliche. Verhältnisse, wie sie hier geschildert
werden, sind nur in Wien so frei und harmlos möglich,
allerdings auch hier nur so gedankenlos und so naiv un¬
sittlich. Fritz Lobheimer, ein junger reicher Mann, hat
ein Verhältniß zu Christine, der Tochter eines Violin¬
spielers am Josephstädter Theater. Er betrachtet die Be¬
ziehung als angenehme Abwechselung, denn er unterhält
auch mit einer verheiratheten „dämonischen“ Dame aus
der wiener Gesellschaft ein Verhältniß, allerdings mit in¬
nerm Grauen. Bei einem kleinen Abendessen, wo Christine
und ihre allerliebst verdorbene Freundin Mizi nebst deren
Geliebten anwesend sind, bricht das Verhängniß herein:
der Gatte der treulosen Dame fordert Fritz. Aber dessen
Verhältniß zu Christine hat sich fast gegen seine Absicht
schon vertieft und veredelt. In schmerzlicher Bewegung
besucht er Christine bei ihrem Vater, und Fritz erkennt
erschüttert die innige Liebe des Mädchens zu ihm. Von
einem Freunde Fritzens erfährt sie nach einigen Tagen
von dem Duell und gleichzeitig den Tod ihres Geliebten.
Der Ausbruch der Leidenschaft des einfachen Mädchens,
dem damit ihr alles genommen worden ist, und das nun
weiß, daß ihr Geliebter für eine andere Frau in den
Tod gegangen ist, ohne daß sie sein Angesicht jemals wieder¬
sehen wird, ist schön und tief und wahr empfunden. Das
ganze Schauspiel ist außerordentlich einfach, es beruht
auf einer intimen Kenntniß der Menschen und des Lebens
in Wien, aber es würde nicht besonders hochzustellen
sein, wenn nicht alle Einzelheiten und Kleinigkeiten so
rein zusammengestimmt wären und wenn man die Liebe
nicht fühlte, die diese Menschen geschaffen hat. Daß von
einem solchen wohlgelungenen, aber immerhin kleinen
Kunstwerk noch ein weiter Schritt zu einem Meisterwerk
sei, das zu sagen ist eine unerfreuliche kritische Pflicht,
Frauen, die uns gleichgültig sind. Da ist der melancholische
und charakterschwache Fritz. Da sind die beiden prächtigen
Wiener Mädels: die flatterhafte, schelmische, genußfrohe Mizi
und die herzige, gemüthstiefe Christine: alle mit vollendeter
Kunst ausgemeißelte Figuren. — Und ferner, wie weiß uns
Schnitzler in den Bereich der Stimmungen zu ziehen! Bald
nimmt Angst, bald Wehmüth, bald göttlicher Leichtsinn unser
Herz gefangen.
Un doch, ist das in einem Drama alles? Ist es nur
nöthig, daß uns die Charaktere gezeichnet, daß das Milieu ge¬
schildert, daß uns einige Stimmungsbilder gegeben werden?
Soll nicht vielmehr das Drama ein Stück Leben in seinen
Schnitzler's Technik ist
Hauptbeziehungen wiedergeben?
Novellenstil, ist japanische Malerei. Er giebt uns einen „Aus¬
schnitt aus dem Leben“ schneidet aber aus dem Riesengemälde
der Welt sein Stückchen so heraus, daß wir von den Personen,
die uns durch ihre Beziehungen zur Haupthandlung lebhaft
interessiren, oft nur einen Kleidersaum oder nur einen Rock¬
ärmel zu sehen bekommen.)— Verfolgen wir einmal die Hand¬
lung des Stückes! Theodor hat es wieder und wieder versucht,
seinen Freund Fritz von der Leidenschaft für eine „dämonische
Frau abzubringen. Als alles vergebens ist, will er ihn durch
eine andere, harmlose Liebschaft fesseln und bringt ihn häufig
in die Gesellschaft Christinens, die auch auf Fritz wirklich Ein¬
druck zu machen beginnt Auch heute hat er die beiden frischen
—arers zum Avendeffen in Fritz' Wohnung geladen. Das
Picknick verläuft äußerst drollig. Fritz fühlt sich glücklich in
diesem harmlos lustigen Kreise — da plötzlich erscheint der Gatte
jener „dämonischen Frau. Fritz schickt die Mädchen ins Neben¬
zimmer und empfängt den Gast. Der wirft ihm die Briese
vor die Füße, die er seiner Frau geschrieben, und fordert ihn
zum Duell. Soweit der erste Akt. Im zweiten Aufzuge wird
nur der Abschied der dunkel ahnenden Christine von dem leiden¬
schaftlich geliebten Fritz geschildere, im dritten Rufzuge die Augst
des jungen Mädchens, das von Fritz längere Zeit keinen Brief
erhalten hat, und schließlich ihre Verzweiflung bei der Nachricht,
daß ihr Geliebter im Duell für eine Andere gefallen ist. Die
dämonische Frau, das Verhältniß Fritzens zu ihr, der Gemahl
dieses Dame, alles, was in der Seele dieser beiden Gatten vor
und nach dem Duell vorgeht, wird vollkommen im Dunkel
gelassen. Ist das berechtigt? Ist das nicht eine selbstverständ¬
liche Forderung, wenn wir verlangen, gerade über Fritz' un¬
glückliche Neigung etwas zu erfahren? Der Charakter des jungen
Mannes wird uns nicht vollkommen klar, wir können die Tragik
seines Schicksals nicht vollkommen verstehen, wenn wir nicht
erfahren wie die Frau beschaffen war, die ihn an sich fesselte.
Tief erschütternd hätte gerade sein Schicksal wirken können,
wenn uns der Dichter einen Einblick in sein Liebesleben
wenn er nur nicht hätte vermuthen
gestattet hätte,
die Neigung zu jener Frau eine
daß
lassen,
unselige Leidenschaft, aber keine herzenswarme Liebe war. Doch
von alledem nichts! Höchstens ein Apergu aus dem Munde
Theodor's. — Dieses leise Andeuten und Ahnenlassen ist alles
andere als dramatisch und ist wohl nur eine übertriebene
Reaction gegen die breiten, allzubreiten Ehebruchsschilderungen
der naturalistischen Schule. — Im zweiten Akte ist von einem
Fortschritte der überaus mageren Handlung oder auch nur von
seelischer Entwicklung überhaupt keine Rede. Er ist eigentlich
nichts weiter als ein ruhendes Bild, zum Zwecke der Milieu¬
schilderung entworfen. Doch dies gilt nicht nur vom zweiten
Aufzuge allein, sondern cum grano salis vom ganzen Stücke.
Das seelische Verhältniß der Personen zu einander bleibt vom
Beginn bis Ende genau dasselbe: Fritz fühlt sich von Christinens
echter Weiblichkeit angezogen, Christine liebt Fritz leidenschaftlich.
Eine scheinbare Handlung wird nur dadurch erzeugt, daß Fritz
durch ein zufälliges Mißgeschick der Christine entrissen wird und
diese über die Art seiner und ihrer Liebe zur fürchterlichen Klar¬
heit kommt. Der Aufbau dieses Dramas schlägt allem ins
Gesicht, was bisher — auch bei Ibsen — als dramatische Regel
galt. Stimmungsmalerei und Milieuschilderung müssen alles
ersetzen, was bisher von einem guten Drama gefordert wurde:
Handlung, frische fortschreitende Handlung und seelische Ent¬
wicklung der Personen. Die Fabel des Stückes ist eine vortreff¬
liche. Wären alle seelischen Beziehungen zur Ausgestaltung
gekommen, wäre der Stoff erschöpfend behandelt, wäre das
Ganze ein wenig nach dem Principe der dramatischen Wirksam¬
leit aufgebaut, so hätten wir ein dramatisches Meisterwerk er¬
halten. So wie die Dichtung ist, können wir sie, besonders
auf der Bühne, nur als Gourmets genießen, uns am Einzelnen,
das so echt künstlerisch gedacht und so fein ausgeführt ist, er¬
freuen. Als Ganzes, als Drama ist es mißlungen.
iebele
box 10/1
5. L1
(Na D rae
MWt
1
(3.040g. 0.
tul Gec
5. Liebelei. Schauspiel in drei Acten von Arthur Schnitzler.
Berlin, S. Fischer, Verlag. 1896. 8. 2 M.
Arthur Schnitzler ist den Lesern d. Bl. kein Unbe¬
kannter. Vor einiger Zeit konnte sein Schauspiel „Das
Märchen“ mit Anerkennung besprochen werden, es ent¬
hielt in vielseitiger Charakteristik eine Anzahl wiener Ge¬
stalten, die mit sicherer Hand und scharfem Verstand zu
der Idee des Stücks in Beziehung gebracht waren.
Diesmal ist die Handlung ganz schlicht, wenige Personen
treten auf, aber die Beobachtung des Lebens und das
warme Gemüth fesseln ungemein. Das Stück wurzelt
ganz und gar im Wienerischen, aber es reicht hinauf ins
Ewig=Menschliche. Verhältnisse, wie sie hier geschildert
werden, sind nur in Wien so frei und harmlos möglich,
allerdings auch hier nur so gedankenlos und so naiv un¬
sittlich. Fritz Lobheimer, ein junger reicher Mann, hat
ein Verhältniß zu Christine, der Tochter eines Violin¬
spielers am Josephstädter Theater. Er betrachtet die Be¬
ziehung als angenehme Abwechselung, denn er unterhält
auch mit einer verheiratheten „dämonischen“ Dame aus
der wiener Gesellschaft ein Verhältniß, allerdings mit in¬
nerm Grauen. Bei einem kleinen Abendessen, wo Christine
und ihre allerliebst verdorbene Freundin Mizi nebst deren
Geliebten anwesend sind, bricht das Verhängniß herein:
der Gatte der treulosen Dame fordert Fritz. Aber dessen
Verhältniß zu Christine hat sich fast gegen seine Absicht
schon vertieft und veredelt. In schmerzlicher Bewegung
besucht er Christine bei ihrem Vater, und Fritz erkennt
erschüttert die innige Liebe des Mädchens zu ihm. Von
einem Freunde Fritzens erfährt sie nach einigen Tagen
von dem Duell und gleichzeitig den Tod ihres Geliebten.
Der Ausbruch der Leidenschaft des einfachen Mädchens,
dem damit ihr alles genommen worden ist, und das nun
weiß, daß ihr Geliebter für eine andere Frau in den
Tod gegangen ist, ohne daß sie sein Angesicht jemals wieder¬
sehen wird, ist schön und tief und wahr empfunden. Das
ganze Schauspiel ist außerordentlich einfach, es beruht
auf einer intimen Kenntniß der Menschen und des Lebens
in Wien, aber es würde nicht besonders hochzustellen
sein, wenn nicht alle Einzelheiten und Kleinigkeiten so
rein zusammengestimmt wären und wenn man die Liebe
nicht fühlte, die diese Menschen geschaffen hat. Daß von
einem solchen wohlgelungenen, aber immerhin kleinen
Kunstwerk noch ein weiter Schritt zu einem Meisterwerk
sei, das zu sagen ist eine unerfreuliche kritische Pflicht,