Lie
3. An
box 10/2
Montagsblatt a. B. Nr. S.
Fritzens mit elegantem Comfort ausgestattetem Jung¬
gesellenheim zu einem fröhlichen Abendessen versammelt.
Aber eine eigentlich dehagliche Stimmung will nicht
recht in Gang kommen. Es liegt über der trefflich aus¬
geführten Scene wie Gewitterschwüle. Theodor ist ver¬
gebens bemüht, Fritzens Besorgnis, daß seine Bezie¬
hungen zu jener Dame entdeckt sind, zu zerstreuen,
und erzwingt im Verein mit Mizi, der einzig Unbe¬
fangenen in der Gesellschaft, eine forcirte Lustigkeit¬
Da klingelts draußen. Die Gäste gehen ins Neben¬
zimmer, und hereintritt der betrogene Gatte. Nach
kurzem Wortwechsel fordert er Fritz zum Zweikampfe.
Die Mädchen, über die Bedeutung des Besuches ge¬
täuscht, bleiben noch eine Weile und entfernen sich
dann mit Theodor in aller Lustigkeit. Die beiden fol¬
genden Aufzüge spielen in Christinens Wohnung drau¬
ßen in der Vorstadt. Wir lernen ihren Vater kennen
den alten Weiring, einen Mann von gereifter, abgeklärter
Lebensanschauung. Er betrauert den Tod einer gelieb¬
ten Schwester, die er erzogen hat und der er zeitlebens
ein gewissenhafter Beschützer war. Zu spät hat er er¬
kannt, daß ihr in dieser treuen Hut die Jugend in
aller Ehrbarkeit einsam und freudlos hingeschwunden
und daß sie ein einsames altes Fräulein geworden ist.
Und so ist sie gestorben, ohne das Glück ihres Lebens
gefunden zu haben. So soll's bei seinem Kinde nicht
auch wieder werden. Christine soll das Glück ihrer
Jugend, oder was sie dafür hält und die Erinnerung
an dieses Glück für ihr späteres Leben haben und
darum duldet er ihren Roman stillschweigend, in der
Hoffnung, ihre gesunde Natur werde selbst die schwerste
Enttäuschung verwinden. Hierin irrt er aber. Als
Christine erfährt, daß Fritz im Zweikampfe um einer
Frau willen gefallen ist, ohne ihr auch nur das kleinste
schriftliche Zeichen seiner Liebe zurückgelassen zu haben,
geht sie verzweifelnd in den Tod . .. . Was uns das
Stück interessant macht und wodurch es sich von der
Masse der Alltagsschöpfungen bedeutungsvoll abhebt,
das ist der Goldhauch echter Poesie, der die Sumpf¬
luft des gewählten Milieus überall durchdringt; ein
Duft schwermüthiger Romantik schwebt über den „rea¬
listischesten“ Scenen dieses Werkes eines wirklichen Dich¬
ters, der mit den einfachsten Mitteln tiefgreifende
Wirkungen erzielt. Die Aufführung wurde dem Autor
im großen Ganzen gerecht. Theodor, der brutale Egoist
des Glücks, der seichte Augenblicksmensch, der Cyniker
ohne Pflichtbewußtsein und Mizi, die beschränkte und
gutmüthige Grisette, waren durch Herrn Tauver¬
und Fräulein Moller sehr gut vertreten. Dasselbe
gilt von der Darstellung der Strumpfwirkers¬
gattin Katharina Binder, einer Klatschbase „vom
Grund“, durch Fräulein Klein. Die Gegen¬
spieler des flotten Paares sind Fritz (Herr
Gregory) und Christine (Frl. Fasser), während
der alte Weiring die Contrastfigur zur Frau Binder
bildet. Herr Gregory, dessen scharfe norddeutsche
Sprache von dem Wiener Dialecte seiner Mitspieler
unvortheilhaft abstach, war nicht ganz der sensitiv über¬
reizte, von Gewissensscrupeln gequälte Schwächling, der
infolge einer lässigen Weichlichkeit seines Naturells der
moral insanity, der geistigen Fäulnis verfallen ist;
er erschien zu schwerblütig, zu apathisch, zu wenig ner¬
vös erregt. Am besten gelangen ihm die Momente
plötzlicher Gefühlsregung. Frl. Fasser bot als
Christine eine sorgfältig durchgearbeitete Leistung. Sie
war das schlichte, tief empfindende, hingebungsvoll
vertrauende Mädchen, das die Erkenntnis von der Un¬
würdigkeit des geliebten Mannes mit dem eigenen
Leben bezahlt. In richtiger Erkenntnis des darzu¬
stellenden Charakters vermied Frl. Fasser allzustarke
Ausbrüche der Leidenschaft und war selbst in der er¬
schütternden Schlußscene des Stückes von maßvoller
Zurückhaltung. Herr Reucker vermittelte ganz ent¬
sprechend die milde, duldsame Art des alten Weiring
und Herr Schmidt spielte die kurze Scene des be¬
trogenen Ehemannes im ersten Acte mit wohlberech¬
neter knapper Gehaltenheit des Ausdrucks sehr wir¬
kungsvoll.
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Montagsblatt a. B. Nr. S.
Fritzens mit elegantem Comfort ausgestattetem Jung¬
gesellenheim zu einem fröhlichen Abendessen versammelt.
Aber eine eigentlich dehagliche Stimmung will nicht
recht in Gang kommen. Es liegt über der trefflich aus¬
geführten Scene wie Gewitterschwüle. Theodor ist ver¬
gebens bemüht, Fritzens Besorgnis, daß seine Bezie¬
hungen zu jener Dame entdeckt sind, zu zerstreuen,
und erzwingt im Verein mit Mizi, der einzig Unbe¬
fangenen in der Gesellschaft, eine forcirte Lustigkeit¬
Da klingelts draußen. Die Gäste gehen ins Neben¬
zimmer, und hereintritt der betrogene Gatte. Nach
kurzem Wortwechsel fordert er Fritz zum Zweikampfe.
Die Mädchen, über die Bedeutung des Besuches ge¬
täuscht, bleiben noch eine Weile und entfernen sich
dann mit Theodor in aller Lustigkeit. Die beiden fol¬
genden Aufzüge spielen in Christinens Wohnung drau¬
ßen in der Vorstadt. Wir lernen ihren Vater kennen
den alten Weiring, einen Mann von gereifter, abgeklärter
Lebensanschauung. Er betrauert den Tod einer gelieb¬
ten Schwester, die er erzogen hat und der er zeitlebens
ein gewissenhafter Beschützer war. Zu spät hat er er¬
kannt, daß ihr in dieser treuen Hut die Jugend in
aller Ehrbarkeit einsam und freudlos hingeschwunden
und daß sie ein einsames altes Fräulein geworden ist.
Und so ist sie gestorben, ohne das Glück ihres Lebens
gefunden zu haben. So soll's bei seinem Kinde nicht
auch wieder werden. Christine soll das Glück ihrer
Jugend, oder was sie dafür hält und die Erinnerung
an dieses Glück für ihr späteres Leben haben und
darum duldet er ihren Roman stillschweigend, in der
Hoffnung, ihre gesunde Natur werde selbst die schwerste
Enttäuschung verwinden. Hierin irrt er aber. Als
Christine erfährt, daß Fritz im Zweikampfe um einer
Frau willen gefallen ist, ohne ihr auch nur das kleinste
schriftliche Zeichen seiner Liebe zurückgelassen zu haben,
geht sie verzweifelnd in den Tod . .. . Was uns das
Stück interessant macht und wodurch es sich von der
Masse der Alltagsschöpfungen bedeutungsvoll abhebt,
das ist der Goldhauch echter Poesie, der die Sumpf¬
luft des gewählten Milieus überall durchdringt; ein
Duft schwermüthiger Romantik schwebt über den „rea¬
listischesten“ Scenen dieses Werkes eines wirklichen Dich¬
ters, der mit den einfachsten Mitteln tiefgreifende
Wirkungen erzielt. Die Aufführung wurde dem Autor
im großen Ganzen gerecht. Theodor, der brutale Egoist
des Glücks, der seichte Augenblicksmensch, der Cyniker
ohne Pflichtbewußtsein und Mizi, die beschränkte und
gutmüthige Grisette, waren durch Herrn Tauver¬
und Fräulein Moller sehr gut vertreten. Dasselbe
gilt von der Darstellung der Strumpfwirkers¬
gattin Katharina Binder, einer Klatschbase „vom
Grund“, durch Fräulein Klein. Die Gegen¬
spieler des flotten Paares sind Fritz (Herr
Gregory) und Christine (Frl. Fasser), während
der alte Weiring die Contrastfigur zur Frau Binder
bildet. Herr Gregory, dessen scharfe norddeutsche
Sprache von dem Wiener Dialecte seiner Mitspieler
unvortheilhaft abstach, war nicht ganz der sensitiv über¬
reizte, von Gewissensscrupeln gequälte Schwächling, der
infolge einer lässigen Weichlichkeit seines Naturells der
moral insanity, der geistigen Fäulnis verfallen ist;
er erschien zu schwerblütig, zu apathisch, zu wenig ner¬
vös erregt. Am besten gelangen ihm die Momente
plötzlicher Gefühlsregung. Frl. Fasser bot als
Christine eine sorgfältig durchgearbeitete Leistung. Sie
war das schlichte, tief empfindende, hingebungsvoll
vertrauende Mädchen, das die Erkenntnis von der Un¬
würdigkeit des geliebten Mannes mit dem eigenen
Leben bezahlt. In richtiger Erkenntnis des darzu¬
stellenden Charakters vermied Frl. Fasser allzustarke
Ausbrüche der Leidenschaft und war selbst in der er¬
schütternden Schlußscene des Stückes von maßvoller
Zurückhaltung. Herr Reucker vermittelte ganz ent¬
sprechend die milde, duldsame Art des alten Weiring
und Herr Schmidt spielte die kurze Scene des be¬
trogenen Ehemannes im ersten Acte mit wohlberech¬
neter knapper Gehaltenheit des Ausdrucks sehr wir¬
kungsvoll.