II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 206

Seite 13.
Nr. 63.
Wien, Mittwoch
Fremden-Blatt.
4. März 1896.
obendrein —
Jungser Immergrin warte auch heute noch schnend.
Fenilleton.
In dem Werke setzt es viele, zumeist verhaltene Thränen ab, und ein Zug
wehmüthiger Rührung, der nicht von der Bühne weicht, verschafft allen
nicht hypersentimentalen Zuhörern den schönsten Gemüthsrheumatismus.
Berliner Theaterbrief.
Wenn der Vorhang aufgeht, himmelt die Jungfer das Bild ihres
Das Theater des Westens.
Schnitzler's „Liebelei“ im

Schatzes an und plaudert länglich mit ihm: sie weiß, daß die Tugend
Deutschen Theater. — „Jungfer Immergrün", Schauspiel in 1 Aufzug
und „Der Junge von Hennersdorf“, Volksstück in 2 Aufzügen, beide
siegen muß und daß sie triumphiren wird über Alle, die ihres frommen
von Ernst v. Wildenbruch. (Lessing=Theater.) — „Der Thron seiner
Glaubens spotten. Wenn der Vorhang niedergeht, hat Immergrün
Väter", Lustspiel in 4 Aufzügen von Fedor v. Zobeltitz. (Lessing¬
thatsächlich Recht behalten, Schirmherr und Vogt der Tugend aber
Theater.) — „Hölel zum Freihafen“, Schwank in 3 Aufzügen von
war Se. Majestät, Friedrich Rez, der nebenbei das Laster gewaltig
Georges Feydeau. (Residenz=Theater.)
bestraft. Noch Schöneres, Romantischeres und Gerührteres begibt sich im
Von allen Berliner Theatern macht zur Zeit am meisten eins
zweiten Stücke, dem „Jungen von Hennersdorf“. War einmal ein
von sich reden, das noch gar nicht unter Dach und Fach ist: Das
Unteroffizier, der leider Gottes bei Hohenfriedberg fiel, so daß er sich
neue „Theater des Westens“, und zwar besorgt es dies Von=sich=reden¬
genöthigt sah, das seiner geliebten Auguste gegebene Heiratsversprechen
machen ganz einfach durch mehr als ausgiebige Versendung von Wasch¬
zu brechen. Auguste aber hielt sich vor Gott für seine Frau, und
zetteln aller Größe und Güte. Blaue Wunder werden darin von der
während ihr Knäblein zu Hennersdorf die Schweine hütete, stand sie,
noch nie dagewesenen Pracht erzählt, die uns in der kommenden
bieder und brav, zu Berlin im Dienste eines niederträchtigen Rentiers.
Saison aus dem jüngsten Musentempel der Reichshauptstadt entgegen¬
Nun begab sich zweierlei. Der bübische Rentier war mit einem
prunken soll. Garderobe und Buffet sind zu unerhörten Preisen ver¬
schurkischen Kammerdiener bekannt, und Beide faßten den schwarzen
pachtet worden, aber wenn der etwaige Besucher dafür auch von den
Plan, Auguste nach Dresden zu verschle##, wo der lustige Sachsen¬
Pächtern entspr##nd unerhört geschröpft wird, so bleibt ihm die tröst¬
und Polenfürst urfidelen Hof hielt; Damenbesuch war immer gern
liche Gewißheit, daß die Theaterverwaltung „selbst den vom Bahnhof
gesehen. Daneben aber entschloß sich der Alte Fritz, bei Hennersdorf
Zoologischer Garten bis zum Hause führenden Weg in reichster Weise
die Sachsen aufs Haupt zu schlagen, und im Interesse aller Betheiligten
elektrisch zu beleuchten beabsichtigt". Da jedoch zu Berlin schon mehrere
war es just der Sohn Augustens, der strategisch veranlagte Schweine¬
Luxustheater chronisch leer stehen, ist dringend zu wünschen, daß nicht
hirt, der Ziethen's Husaren über Sumpfland den Sachsen in den Rücken
nur „die Beleuchtung des Theaters des Westens an Schönheit und
führte. Diese Geschehnisse kombinirt der Poet aufs Erbaulichste. In
Lichtfülle alle übrigen Theater Berlins übertrifft“, sondern daß sich
Berlin hat sich die Nachricht von einer Niederlage des Königs ver¬
ein Gleiches auch von seinen künstlerischen Darbietungen sagen läßt.
breitet, oben bemeldeter Rentner reißt, um seine Habe fürchtend, nach
Ueber diesen Punkt freilich schweigen die Reklamenotizen verlegen
Sachsen aus, wird aber zurückgebracht, und erzählt, daß die Angst vor
und mit erstaunlicher Bescheidenheit. Aber alle dekorative Märchen¬
den Panduren ungerechtfertigt sei: Friedrich sei Sieger geblieben.
herrlichkeit aus 1001 Nacht gewährleistet einer Bühne noch keine
Jubelgeschrei, Fanfaren: Ziethen kommt daher geritten, den Jungen
1001 Abende.
von Hennersdorf im Sattel, Auguste wird im Namen „König Fritzekens“.
Weniger als das werdende Theater nehmen die fertigen das
für die Frau und Witwe des bei Hohenfriedberg gefallenen Braven
öffentliche Interesse in Anspruch. Sogar die Kassa=Rapporte werden
erklärt, eine Witwenpension bleibt nicht aus. Das lärmvolle Stück
dem Zeitungsleser nicht mehr zum Morgenkaffee vorgelegt — vielleicht,
verräth nur zuweilen die dramatische Begabung Wildenbruch's; es ist
weil sich mit ihnen zur Zeit wirklich nicht renommiren läßt, vielleicht
mit ganz äußerlichen Mitteln gearbeitet, ganz auf grobe Coulissen¬
aber auch, weil die Direktionen auch an diesem Lockmittel verzweifeln,
effekte angelegt, aber all' diese Mittel versagten, und all' die patrio¬
der stumpfen, zirkusstürmenden und musenhausmeidenden Masse gegen¬
tischen, rührseligen und Bumbum=Trarrah=Effekte verpufften.
über. Besser als die Theaterleiter haben es die Männer, die sich an¬
aeblich mit Kunstkritik befassen; sie feiern seit Wochen frohe Feste.
Erfolglos blieb im Lessing=Theater auch Fedor v. Zobeltitz'
Kein Stück taucht auf, das mit der Kunst auch nur das Geringste zu
Lustspiel „Der Thron seiner Väter“ Herr v. Zobeltitz nimmt
thun hat. Schnitzler's Liebelei“ diese reifste Schöpfung der
unterm Berliner Dichteradel nicht den letzten Platz ein; seine No¬
soi-disant naturalistischen Moderne, hat in Wien längst die innige
vellistik ist nicht nur beim Familienblatt=Publikum beliebt, und daß
Würdigung gefunden, die ihr gebührt. Es scheint, als könne das Deutsche
sein Schauspiel „Ohne Geläut“ zu schönen Hoffnungen anregte, be¬
Theater auch mit dem äußeren Erfolg des Werkes zufrieden sein; ein
merkte ich bereits. Aber das neue Lustspiel ließ keine davon in Er¬
Schlager im gewöhnlichen Sinne ist es freilich nicht, und es fragt sich
füllung gehen. Dabei ist die Idee keineswegs übel, der Verfasser hätte
sehr, ob es ihm gelingen wird, die Zuschauer wieder anzulocken, die
nur nöthig gehabt, sich auf sie zu konzentriren, und ein Sieg wäre
durch die dröhnenden Mißerfolge der 'letzten Zeit aus dem Theater
ihm sicher gewesen. Aber die satirische Kraft Zobeltitz' reichte nicht
Brahm's gejagt worden sinb.
aus, um den Kampf eines jungen Thronerben, der zwischen Krone und
Die neuen Darbietungen der übrigen Bühnen stehen außerhalb
Braut wählen muß, lustig zu vertiefen; er blieb an der Oberfläche
der Literatur und sind weniger im kritischen Theile einer Zeitung als
haften, sagte wohl manch' komisches Wort und ersann ein paar wirklich
in der Rubrik „Vergnügungsschau“ zu besprechen. Dabei sind es doch
drollige Szenen, ohne uns doch den Gegenstand menschlich näher zu
zum Theil recht stolze Flaggen unter denen diese „Theaterdichtungen“
rücken. Er half sich durch endlose Wiederholungen, das Karoussel
segeln: Ernst von Wildenbruch, Fedor von Zobeltitz — der
drehte sich viermal um dieselbe Achse, und immer huschten dieselben
Autor des vielversprechenden, märkischen Schauspieles „Ohne Geläut“
Gedanken vorüber. Weil indeß vier Akte selbst durch die unbarm¬
über däs ich Ihnen seiner Zeit eingehend und freudevoll berichtete.
herzigste Ausquetschung der Zitrone nicht genugsam gewürzt werden
Wildenbruch hat dem Lessing=Theater zwei Werke überlassen, einen
konnten, mußten die üblichen Lustspielscherze weidlich herhalten. Neben
Einakter: „Jungfer Immergrün“, und ein Volksstück in zwei
dem jungen Gardelieutenant, den ein ungeahnter Zufall auf den Thron
Aufzügen: Der Junge von Hennersdorf“ Beide Stücke
des Bundesstaates Hegenau hebt, und seinem ihm nun nicht mehr
sind eine Huldigung vor den Manen des alten Fritz, aber Huldigungen
ebenbürtigen Cousinchen gibt es noch unterschiedliche andere Liebes¬
von der Art, die man besser im einsamen Kämmerlein, nicht vor einem
paare, die sich zum Schluß gleichfalls Alle kriegen. Dann wird auch
Parket von Premikregängern vornimmt. Herr v. Wildenbruch hat
die komische, ältliche Dame gegeißelt, die in unserem Falle Vorsitzende
eine eigene Manier, vergangene Zeiten zu sehen und zu schildern; er
einer Abtheilung der europäischen Friedensgesellschaft ist und alle Hebe.
sieht und schildert sie genau so, wie es dem jeweilig herrschenden
in Bewegung setzt, den Thronfolger Christian mit seinen 28 Mann
Geschmacke entspricht. Daß der historische Dichter eigentlich verpflichtet
Kontingent zur Abrüstung zu bewegen. In einem Soldatenstück darf
ist, seinen Geschöpfen aus verschollenen Tagen Geist und Blut zu geben,
der unfreiwillig humoristische Einjährig=Freiwillige nicht fehlen, der sich
erkennt er nicht an; er behilft sich mit rasch zusammengeborgten
hier besonders dadurch auszeichnet, daß er partout keine Braut bekommt.
Maskenkostümen in seinen schwächeren Arbeiten, mit Einwebung neu¬
All diese Handlungen und Wirrungen hat Herr v. Zobeltitz nach bestem
zeitlicher Ideen in seinen besseren Schöpfungen. Anachronismen scheinen
Können durcheinander gerührt und so viel Geschichtchen und Mätzchen
diese wie jene. „Jungfer Immergrün“ und Der Junge von Henners¬
hinaufgegossen, daß es fast unmöglich ist, festzustellen, wonach das
dorf“ sind keine Juwelen in Wildenbruch's Dichterkrone, muthen Einem
Ragont eigentlich schmeckt. Da das Stück in den beiden ersten Akten
vielmehr wie schnell hingeschriebene Gelegenheitswerke an, die auf
wesentlich straffer geführt war als gegen Schluß, wo es sich in hundert
Gewerbe=Ausstellungen und bei patriotischen Feierlichkeiten ihren Zweck
Einzelheiten zerfaserte, ließ das Interesse bald nach, und Herr v. Zobeltitz:
erfüllen mögen, mit dem Theater aber nichts zu schaffen haben.
vermochte nicht die Erbschaft Moser's anzutreten, was er wohl ge¬
Jungfer Immergrün ist die Braut eines ewigen Predigtamtskandidaten,
hofft hatte.
eines Hans im Unglück, auf den sie nun schon zwanzig Jahre lang
Wenn die Franzosen neuerdings zwar auch davon absehen, ihren
sehnend wartet. Aber noch immer ist keine Hoffnung, daß der Pech¬
Schwänken eine einheitliche Idee zugrunde zu legen, so vermeiden sie es
vogel endlich zu einer Anstellung und damit in den Besitz seines
doch mit Glück, ihre komische Kraft zu verzetteln. Niemals rauben die
Bräutchens gelange. Wäre nicht ein Tückebold von Beamter gewesen,
Nebenfiguren den Hauptrollen Luft und Licht, und drängen sie für
der ihn seines aus Nürnberger Batzen bestehenden, kleinen Vermögens
ganze Akte in den Hintergrund zurück. Alles ist dazu auf die Schlu߬
beraubte, mit der Motivirung, daß König Friedrich das Geld verboten
pointe zugeschnitten; malt man anfangs auch mit behaglich breitem
habe; wäre nicht der König dazu gekommen und hätte dem Kandidaten
Pinsel,
verfeinert sich der Strich sichtbar im letzten Aufzuge.
seine Batzen wiedergegeben und die Braut zusammt einer Lehrerstelle 1 G. Feydeau's neuer Schwank „Hotel zum Freihafen“ ist