II, Theaterstücke 5, Liebelei. Schauspiel in drei Akten, Seite 220

wie sie, glückseng enttauscht, dem Liebsten ihr Stuochen, ihre
Zu
Siebensächelchen zeigen darf, wir sehn bei alledem in ihrer
zun
Brust die dumpfe Ahnung, daß dieses Maienglück verwehen wird,
gut
wie draußen die Blüthen des Flieders. Sie möchte alles wissen
Be
von ihrem Liebsten, und er sagt ihr nichts. Sie möcht' ihn
zus.
immer fragen, und er verbietet ihr das Fragen. In dieser Un= nie
gewißheit, wankend zwischen Furcht und Hoffnung, verzehrt sie De
sich; als die Gewißheit kommt, sind auch schon Verzweiflung vor
und Tod da. Man hat ihn sterben lassen, ohne sie zu nu
rufen. Man hat ihn begraben, ohne ihr's anzusagen.
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Denn was soll ein kleines „Verhältniß“, eine kleine
schi
„Liebelei“ unter den standesgemäßen Leidtragenden? Sie hat ihn
sch!
auf Erden im Leben und im Tode nicht finden können. Nun sucht
Ho
sie ihn dort drüben. Wir bleiben zurück bei dem Papa, dem sie
der
sich envertraut hatte, der ihr das bischen Erdenglück gegönnt
zur
hätte, auch wenn es flüchtig gewesen wire, und dem nun seine
der
alten Beine den Hilfedienst versagen: er hat nicht die physische
we
und seelische Kraft, sein Kind ins glücklose Dasein zurückzuretten. 1 un
Obwohl der Dichter von einer künstlerischen Konstruktion aus¬
geht, obwohl er nach alter Lustspieltechnik das ernste Liebespaar die
zu!
zu einem muntern Liebelpärchen in künstlichen Gegensatz stellt] ein
und eins durch das andre fortwährend beleuchtet, so ist doch alles 1 wir
wundervoll echt, wahr und klar in dem Stück; mit einem einzigen
kühnen Griff ins Leben ist das Komplizirteste so gefaßt daß
auf der Hand=liegt.
seiner wohlig
formuli
Bemerkungen, aber sie
uni
ation un
Lenten, die sie machen, In
ein
ensgenuß hebt sich eine süße 2
b, als fielt
vom Flieder die Blüthen ab. Einer
Auffassung vo
ben und Liebe, dem übermüthigen Spiel
W
rzen und Sinnen setzt das Memento mori die Schranke.
e den Dichter ein ebenso gutes Finderglück zu neuen, reifern
twürfen tragen; denn die Anatols kennen wir nun schon.
dat
Der Dichter stellt an die Bühnendarstellung sehr kecke die
Forderungen. Der Gatte, der in das Haus des Ebebrechers
tritt, um den vergessenen Schleier seiner Frau zu holen, der
zweimal gegen den armen Sünder die Faust hebt und dann weg¬ haf
geht, um ihn todt zu schießen, ist nicht von erstwem zu spielen. kla
Herr Nissen stollte meisterhaft dar, wie die gesellschaftliche Er¬
ziehung des vornehmen Herrn der natürlichen Brutalität des
empörten Mannes Halt gebot. Ebenso fein gab Frau Marie
Meyer in einer anderen Episode die Unfeinheit einer Wienerin,
die sich in ihrem Strumpfwirkerdasein nicht gern an Vergangenes
erinnert und nun auf Klatschen und Kuppeln lüstern wurde.
Den alten Papa, der im Josephstädter Theaterorchester
spielt.
Herr Reicher
der prachtvollen
Maske des ergrauten Künstlers, der zu verzichten verstand und
ur Erinnerung an das, wonach er einst strebte, sich seinen
ubert auf den Ofen stellt. Von den beiden Liebespaaren
en Herr Jarno und Frau Schneider das muntere, Herr
sch
tner und Frau Sorma das ernste. Frau Schneider, fesch
Eine, brachte ein ganzes Praterglück und ein halbes] fin
rglück dazu nach Berlin; die Ehe mit Herrn Nissen be¬
dieser schönen Schauspielerin auch künstlerisch vorzüg=] Er
Hätte Herr Jarno nicht seinen lustigen Abend
und in der flotten Leichtigkeit seiner Spielerei sich
bertroffen, so wäre mir der Wunsch einer Umbesetzung! hat
kommen. Hoffentlich wird „Liebelei“ noch fürs nächste

vorhalten. Dann müßte Herr Rittner den munteren
reg
er
hmen und den schwereren Jungen Herrn Kainz;
in Augen und Haltung die Melancholie des sme
s mitbrächte, und den der Dialekt seiner Wiener Heimath
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rhetorischer Unnatur hier schon bewahren würde.; nic
nitzler hat in der Erfassung des wienerischen Liebens ein
Lei
hen von seinem Landsmann Grillparzer geerbt. Das
E
inte sein Landsmann Kainz ihm bringen. Herr Rittner war
zu spröd und zu derb, und wo er nach Weichheit und Wärme
suchte, blieb es beim Suchen. Schon die Erscheinung, für die
der blondbärtige, braunäugige Kopf des Dichters das Vorbild
gäbe, war zu niedrig gegriffen. Herrn Schnitzlers Fritz speist
beim Sacher hinter Verschluß Austern und crevises à la Judic; 1 I
Herrn Rittners Fritz speist (auch sehr delikat) im Imperialhotel
Rindsguylacz mit Nockerln, aber im Gassenschank neben dem #
Fiaker Bratfisch.
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Von Frau Sorma als Christine habe ich schon gesprochen. trä
Man hat sie zu vornehm gefunden. Innerlich kann diese Luise na
Millerin der Wiener Vorstadtdachstube gar nicht vornehm genug
nb
sein; äußerlich war es entzückend, wie schen und schamhaft der
M
Schalk aus der kleinen Schwärmerin hervorlugte. Wie dann
mit
aus diesen tiefen dunklen, bangen Augen das Schicksal wider¬
spi
leuchtete, war tief ergreifend. Christine, die sonst so wortkarge,
wird im Unglück sehr gesprächig. Für jeden Vorwurf, für jede
1
Vergegenwärtigung ihrer Lage findet sie ein passendes Wort. Sie
hat zu lange geschwiegen, um nun nicht sprechen zu können. Diesen
feelischen Prozeß schauspielerisch zu begründen, kann nicht leicht
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sein; Frau Sorma war gerade hier am bedeutendsten; als Ahnung
zur Gewißheit wird, als das liebliche Gesicht leichenhaft erstarrt, der
stand das Gebärdenspiel auf Dusehöhe.—
Da Schnitzlers „Liebelei“ nicht „den Abend füllt“, wie Theater= Be
kassirer sagen, so diente Kleists einziges und unvergleichliches,
enus zu bewunderndes, zu verehrendes und zu liebendes Fri
el „Der zerbrochene Krug“ als Beigabe, wozu es
eigentlich zu schade ist. Ich habe die Aufführung gestern früh Hu
„ganz gut“ genannt und bitte dabei den Ton auf gut zu legen. stel
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